Ein Absacker zum Wahlkampfende

Wahlkampfkunst am Laternenpfahl

Freitag
30.08.2024, 12:30 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Der Wahlkampf neigt sich seinem Ende entgegen. Ehe all die vielen Plakate im Papiermüll landen, haben wir uns zum feierlichen Abschluss der ganzen Wahlversprechen und -versprecher ein paar Motive noch einmal ganz genau angesehen und einer eingehenden Kulturkritik unterzogen…

Bald ist die Wahlkampfkunst am Straßenrand wieder verschwunden, Zeit für eine kurze Fundamentalkritik (Foto: agl) Bald ist die Wahlkampfkunst am Straßenrand wieder verschwunden, Zeit für eine kurze Fundamentalkritik (Foto: agl)

Wir hatten hier einmal die schöne Tradition, das Ende der langen Wahlkampfzeit mit einem „Sommerinterview“ aufzulockern. Leider haben die lieben Freunde und Genossen der Partei „DIE PARTEI“ die politische Frontlinie vor einiger Zeit verlassen, die Nordhäuser Ortsgruppe hat sich aufgelöst.

Müssen wir also dröge und humorbefreit zur Wahlurne schreiten? Gebeugt und erdrückt von der Alltagsmüh? Ich sage: Nein! Statt dem Gespräch mit der großen Vorsitzenden verlegen wir uns stattdessen auf Kulturkritik von Reich-Ranicki’scher Güte und werfen heute mal einen genaueren Blick auf die Plakate für unsere „Schicksalswahl“.

Ich möchte mit der AfD beginnen. Die hat, und das sage ich ohne jegliche Häme, einen fantastischen Plakatwahlkampf hingelegt. Wieder einmal, muss man sagen. Man plakatiert früher und stärker als alle anderen, mit mehr Vielfalt und Abwechslung, einprägsamen Sprüchen und subtilem „messaging“.

Ein Plakat hat es mir besonders angetan. Wobei „angetan“ vielleicht das falsche Wort ist. Eher unangenehm berührt. „Cringe“, würde die Jugend heute wohl sagen. Wenn ich auf dem Heimweg den Parkplatz vor der Haustür ansteuere, fahr ich an dem Motiv vorbei. Björn Höcke lächelt süffisant auf mich herab, leicht verschmitzt, die Hände überkreuzt, das Haupt sanft abgestützt. „Ministerpräsident“ steht darunter zu lesen. Ganz alleine hängt er da, weit und breit ist kein anderes Plakat, kein Gegenentwurf zu sehen. Im vorbeigehen denke ich: wie er da so sachte lächelt will er einem gleich süße Nichtigkeiten ins Ohr flüstern. „Komm Schatz, komm herüber. Lass uns Höcke oder Hitler spielen. Du willst es doch auch.“

Das Porträt in silber-grau sticht heraus, das Potpourri der AfD-Plakate setzt sonst mehr auf starke Bilder und starke Sprüche. „Simson statt Lastenrad“ ist so ein markiger Satz, der sich mir aber nicht ganz erschließen will. Die Kreise derer, die Simson fahren und derer, die auf’s Lastenrad steigen überschneiden sich meiner Erfahrung nach eher nicht. Die „Simme“ ist was für die Jugend, das Lastenrad eher was für meine angehenden bald Mitvierziger. Ehrlich, die Dinger sind höllenpraktisch, mehrere erfolgreiche Herrenausflüge mit mindestens einem Lastenrad im Tross können das empirisch felsenfest untermauern.

Schilderwald in der Innenstadt (Foto: agl) Schilderwald in der Innenstadt (Foto: agl) Tatsächlich ist die Gegenüberstellung aber um einiges subtiler, ja nachgerade brillant. Die Simson repräsentiert nicht die heutige Jugend, nein, sie soll vielmehr die Erinnerung an die eigenen, unbeschwerten Jugendtage des Wählers wachkitzeln, nostalgische Erinnerung an „die gute alte Zeit“. Das Lastenrad bedient derweil diffuse Ressentiments gegen „die Grünen“. Die Vorstellung der dicken Dinkel-Dörte, die auf dem Lastenrad den Verkehrsfluss ehrlicher, deutscher Autofahrer stört, drängt sich ins Unterbewusstsein. Zur vertiefenden Lektüre empfehle ich die Leserzuschriften des „Postillon“ zu studieren. Da taucht die Dörte öfter auf.

Jugendlich frisch zeigt sich der blaue Spitzenkandidat auch selbst auf dem Moped, ohne Helm, ganz hemdsärmelig und cool. Da kann sich Tom Cruise eine Scheibe von abschneiden, ist schon ein Mordskerl, unser Bernd.

Kleines Bild und große Geste, Wahlwerbung der FDP (Foto: agl) Kleines Bild und große Geste, Wahlwerbung der FDP (Foto: agl)

So ein richtiger Macher ist auch der Herr Kemmerich von der FDP. Die Liberalen haben sich bei ihrer Wahlwerbung nicht lumpen lassen und sehr wahrscheinlich den Fotografen von Steve Jobs angeheuert. Die Motivwahl lässt keinen anderen Schluss zu: schwarz-weiß, dunkler Kragenpulli, spritzige Gestik, tiefgründige Mimik, der Kemmerich hat einfach alles, was auch den Steve groß gemacht hat.

Und haben Sie das Plakat mit den Blumenstrauß gesehen? Ein historischer Moment ist hier festgehalten, Anno Domini 2019, die Linken-Chefin pfeffert dem designierten Ministerpräsidenten das Bouquet vor die Füße. Der MP hieß Kemmerich und er ist „Zurückgetreten um Anlauf zu nehmen“. Das ist schon ein Husarenstück. Nicht die Eier gehabt Mutti und dem Chrissi die Stirn zu bieten und die Nummer durchzuziehen, nun wieder ganz dick auftragen. „Chuzpe“ muss man haben, dann bringt man auch so ein Ding. In die Geschichte wird er ganz sicher eingehen, der Herr Kemmerich, in den Fußnoten findet sich bestimmt ein Platz für die Thüringer FDP.

Die Motivwahl und Gestaltung des Blumenplakats an sich ist übrigens großartig, bestätigen mir unsere eigenen Werbefachleute anerkennend. Die SPD hat bei der Auswahl ihrer PR-Agentur dieses Jahr hingegen eher ins Klo gegriffen. Spitzenkandidat ist Innenminister Georg Maier, ein großformatiges Wahlplakat steht einen Steinwurf von der Redaktion entfernt. Darauf stand bis vor kurzem zu lesen „Der Fairermacher“.

Mutmacher in Türingen (Foto: agl) Mutmacher in Türingen (Foto: agl)

Das rollt nicht sonderlich gut von der Zunge und das hat man wohl auch bei den Genossen gemerkt. Inzwischen ist Georg der „Mutmacher“. Ich weiß nicht ob man sich den Begriff so gut überlegt hat. Ein Schritt in die richtige Richtung, aber kein sehr großer. Mehr ein Schrittchen. Ich muss beim „Mutmacher“ eher an die kleinen Schnapsfläschchen an der Supermarktkasse denken. Neben Kümmerling und Kleiner Feigling jetzt ganz neu: der „Mutmacher“. Und selbst für Kleinspirituosen wäre das kein Glanzstück des Marketings.

Noch besser haben es nur die Grünen getroffen. „Freistaat ohne Grün ist wie Türingen ohne h“, steht da zu lesen. Die Botschaft ist klar, wenn die Grünen nicht im Parlament bleiben, dann würde dem Land etwas fehlen. Starke Botschaft, ganz großartig.

Warum aber, in Gottes Namen, streicht man aus dem Wort ausgerechnet den stillen Buchstaben? Der eine Buchstabe, dessen Fehlen im Alltag nicht weiter auffallen würde? Hm? Weil's den Grünen genauso ergehen wird? Kopf trifft Tischplatte.

Kommen wir noch einmal zurück zur AfD. Da gibt es noch ein Motiv, das mir immer wieder mal durch den Kopf gegangen ist. Im Flachwasser sind zwei Röhren zu sehen, die Flaggen Deutschlands und Russlands prangen auf dem Stahlgehäuse.

Jugendliche 55: mit Sarah Wagenknecht geht das "BSW" in den Landtagswahlkampf (Foto: agl) Jugendliche 55: mit Sarah Wagenknecht geht das "BSW" in den Landtagswahlkampf (Foto: agl) Papa Putins pralle Pipelines - bei dem Bild ist dem „BSW“ bestimmt das Wasser im Munde zusammengelaufen. Die Neuen auf dem politischen Parkett haben außer einer jugendhaft entrückten Rosa Wagenknecht plakattechnisch nicht viel zu bieten. Da gibt’s noch einen anderen Typen, der sieht so aus wie ein Bekannter von mir, wenn der sich einen Schnurrbart stehen lassen würde. Muss mich echt mal wieder bei dem melden. Und neulich hab ich noch ein Porträt einer Dame entdeckt, die entfernt an die britische Premierministerin erinnert. Nicht Theresa May, die andere, die gegen den Kohlkopf verloren hat.

Der CDU Spitzenkandidat für Thüringen, Mario Voigt (Foto: agl) Der CDU Spitzenkandidat für Thüringen, Mario Voigt (Foto: agl)

Haben wir noch jemanden vergessen? Ach ja, die CDU. Mario Voigt sieht auf seinen Wahlplakaten aus, als hätte man ihm als Kind auf dem Schulhof das Milchgeld geklaut. Ansonsten gibt es hier nicht viel zu sagen. Farblich hat man sich mit einem zarten blau-türkis Ton ja schon ein wenig der AfD angenähert. Wenn die „Brandmauer“ zerbröckelt und Björn dem Mario die Macht anbietet, dann geht der Abriss schon gleich leichter von der Hand? Oder man will AfD Wähler verwirren? Schwer zu sagen.

Zur MLPD fällt mir nichts ein. Ein Sinnbild, das wir hier ganz für sich alleine stehen lassen.

Zu guter Letzt haben wir noch Bodo. Ohne Ramelow könnte die Thüringer Linke schon jetzt geschlossen den Herbsturlaub buchen. Ich mag den Bodo ja. Aber auf den Wahlplakaten sieht es eher so aus, als würde er sich auf den Vorsitz des Seniorenbeirats bewerben. „Nähe und Vertrauen“, „Frieden braucht Mut“, „Anstand und Haltung“ - vielleicht will er auch die Ethikkommission im Landtag leiten. So viel Weichspüler ist nicht gut für die Wäsche.

Auch Bodo Ramelow will's noch einmal wissen (Foto: agl) Auch Bodo Ramelow will's noch einmal wissen (Foto: agl)

Ansonsten fährt auch die Linke nicht viel auf, die Friedenstaube hätten wir noch. Die kommt in Nordhausen immer gut. Könnte ein paar Stimmen mehr bringen. Ob's reicht, das Gleichgewicht der Kräfte noch zu verschieben? Sonntagabend wissen wir mehr.
Angelo Glashagel