Katholische Kirche zur Weihnacht:

Predigt des Erfurter Bischofs Ulrich Neymeyr

Montag
25.12.2023, 11:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
An Weihnachten feiern wir Christen das Fest der Menschwerdung Gottes. Wir glauben, dass Gott in Jesus von Nazareth nach einer wundersamen Zeugung auf dem natürlichen Weg der Schwangerschaft und der Geburt Mensch geworden ist...

An Weihnachten schauen wir auf das Kind, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt. Mit der Geburt wird die Menschwerdung Gottes konkret. Der Begriff Mensch ist ein Allgemeinbegriff, der Säugling, den wir in der Weihnachtskrippe bestaunen, ist ein konkreter Mensch. Mit der Geburt ist auch für den menschgewordenen Gottessohn Vieles festgelegt:

Wir wissen zwar nicht das genaue Geburtsdatum Jesu, aber es war etwa zu Beginn unserer Zeitrechnung in der Pax Augusta. Jesus hat zwar die Spannungen mit der römischen Besatzungsmacht erlebt, aber keinen Krieg.

Sein Geburtsort war nach der Überlieferung des Lukas Bethlehem, aber prägend wurde für ihn die Stadt Nazareth, in der er aufgewachsen ist. Er hieß Jesus von Nazareth und das war kein Gütesiegel. Auch einer der späteren Jünger Jesu fragte: „Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen?“ (Johannes 1,46).

Jesus kam als Junge zur Welt. Wie wichtig die Determinierung durch das Geschlecht ist, zeigt das Schicksal derer, die nicht mit eindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden oder die sich sicher sind, dass sie im Körper des falschen Geschlechts leben. Jesus hat sich zu seinem Geschlecht nicht geäußert, ist aber unbefangen mit allen Geschlechtern umgegangen.

Jesus ist auch in eine Nation hineingeboren worden, nämlich in das Römische Reich. Er hatte als auch die römische Nationalität. Sein Verhältnis zur römischen Besatzungsmacht kommt in dem berühmten Satz zum Ausdruck: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört“ (Matthäus 22,21).

Jesus ist gesund ohne körperliche oder geistige Beeinträchtigung zur Welt gekommen, hatte aber eine große Sympathie und Empathie für alle Menschen, die unter einer körperlichen oder seelischen Krankheit oder Beeinträchtigung leiden.

Natürlich sind wir Menschen auch dadurch geprägt, wie wir aussehen. Offensichtlich war Jesus dies nicht besonders wichtig. Jedenfalls hatte er kein Portrait von sich anfertigen lassen.

Sehr wichtig für einen Menschen sind natürlich auch seine Eltern. Seine Mutter Maria begleitete ihn bis zum Tod. Für seinen Vater gilt, was für alle Menschen gilt: Pater semper incertus est; der Vater ist immer ungewiss. Wir wissen nicht, wie lange der Heilige Josef sich um Jesus sorgen konnte. Während seines öffentlichen Wirkens wird er nicht mehr erwähnt. So bleiben uns die schönen Gemälde, in denen Jesus in der Werkstatt des Heiligen Josef kleine Kreuze bastelt.

Mit seiner Geburt durch Maria ist Jesus in einer Hinsicht festgelegt, die ihm sicher die wichtigste in seinem Leben war, nämlich seine Religion. Maria war Jüdin, also war Jesus auch Jude. Das Judentum ist die einzige Religion, in die ein Mensch hineingeboren wird. Wenn die Mutter Jüdin ist, ist das Kind ebenfalls Jude. Auch wenn es nicht beschnitten ist oder keine Bar Mizwa gefeiert hat. Die Heilige Edith Stein wurde als Jüdin vergast, obwohl sie nach einer Zeit des Atheismus katholisch und sogar Ordensfrau geworden ist. Jesus war aber nicht nur von Geburt an Jude, sondern aus tiefster Überzeugung. Das Lukas-Evangelium berichtet, dass Jesus acht Tage nach seiner Geburt beschnitten worden ist (Lukas 2,21).

Dieser Abschnitt aus dem Lukas-Evangelium wird immer acht Tage nach dem Weihnachtsfest als Tagesevangelium verkündet. Leider wird dies bei uns kaum beachtet, da dieser Tag als Neujahrstag gefeiert wird. Als erwachsener Mann wusste sich Jesus nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt (Matthäus 15,24). Die Evangelien berichten nur ganz selten, dass Jesus Menschen durch ein Wunder geheilt hat, die nicht Juden waren. In jedem Fall ist er nicht zu den Kranken nach Hause gegangen, sondern hat sie aus der Ferne geheilt. Er hat die Distanz gewahrt, aufgrund seines tiefen jüdischen Glaubens und seiner tief empfundenen Zugehörigkeit zum Volk der Juden. Deswegen hat Papst Franziskus den prägnanten Satz gesagt: „Ein Christ kann kein Antisemit sein!“ Das darf uns nicht ruhen lassen, gegen jede Form von Antisemitismus vorzugehen und geschwisterliche Beziehungen zu den Jüdinnen und Juden zu pflegen. Wir dürfen als Christen niemals mehr behaupten, die Juden seien schuld am Tode Jesu gewesen, wenn wir in jedem Glaubensbekenntnis den Mann mit Namen benennen, der die Schuld und Verantwortung dafür trägt: Pontius Pilatus. Wir müssen uns mit den christlichen Wurzeln des Antijudaismus befassen, die auch in unserem Dom ihre Spuren hinterlassen haben. Die furchtbare antijüdische Schmähdarstellung am Chorgestühl unseres Domes können wir nicht einfach heraussägen.

Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass diese Schmähdarstellung eine furchtbare Wirkungsgeschichte hatte, weil sie wenige Jahre vor dem Judenpogrom von 1349 in unserer Stadt angebracht worden ist. Wir können das nicht verharmlosen, aber wir können und müssen bedenken, welche Beziehung wir als Christen zum Judentum haben. Eine der Bildtafeln des Langhauses zeigt die Darstellung der Wurzel Jesse. Es zeigt, wie tief Maria und damit auch Jesus verwurzelt sind in die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus. Gemeinsam mit den Juden erwarten wir den Messias, auch wenn wir als Christen daran glauben, dass er schon einmal hier war, in dem Kind, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt. Wir glauben, dass wir durch seine Auferstehung mit ihm in lebendiger Gemeinschaft sein können, die durch die Sakramente grundgelegt und vertieft wird. Wir warten aber auch auf seine Widerkehr. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber hat dazu eine Geschichte erzählt: Wenn der Messias wiederkehrt, werden Juden wie Christen zu ihm laufen. Es könnte sein, dass dann jemand ruft: Messias, bist Du nun das erste oder schon das zweite Mal gekommen? Martin Buber sagte, er würde dann rufen: Messias, antworte nicht.
Bischof Ulrich Neymeyr