Großflächigen Holzeinschlag vermeiden

Freifahrtsschein für "Raubbau" im Wald?

Sonnabend
17.12.2022, 12:09 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In den zurückliegenden Monaten wendeten sich wiederholt besorgte Bürgerinnen und Bürger an den Naturschutzverband "NABU" und berichteten über großflächige Einschläge und teils Kahlschläge in Naturschutz- und FFH-Gebieten in Thüringens Wäldern...

Bis zu 100 Hektar Wald sollen aktuell im Naturschutz- und FFH-Gebiet „Mittelgrund” bei Ruppersdorf gerodet werden. Ein Großteil ist schon geschlagen und wartet, auf zahlreichen Holzpoltern gestapelt, auf den Abtransport oder ist bereits verkauft worden.

Der Bundesforst als Flächenverwalter dieser Naturerbfläche hat die Fällungen als forstrechtlich erforderliche Maßnahmen des abwehrenden Forstschutzes begründet. Insbesondere sollen die Eingriffe zur Bekämpfung von Kalamitäten und zum Schutz des angrenzenden Privateigentums dienen. Aus Sicht des NABU Thüringen steht dieses Vorgehen dem Leitbild der Naturerbfläche entgegen. In dem Gebiet hätten sich alte, strukturreiche Laubmischwälder für Raufußkauz, Schwarzstorch und Sperlingskauz entwickeln sollen. Das Ziel war es in den kommenden Jahrzehnten, etwa 393 Hektar monotone Nadelholzbestände behutsam in naturnahe Wälder mit Buche, Fichte und Tanne umzubauen. Auch Habitatbaumgruppen sollten bis zum natürlichen Absterben auf der Fläche verbleiben und anschließend als Totholz im Wald belassen werden.

Kahlschlag im Wald (Foto: Franziska Spindler) Kahlschlag im Wald (Foto: Franziska Spindler)


Anstatt die natürliche Waldentwicklung zu unterstützen, hat der Bundesforst mit seinen radikalen Flächenräumungen das System Wald in seinen verwundbarsten Zustand versetzt.

„Als Maßnahme zur Bekämpfung des Borkenkäfers sind, in diesem Fall, die meisten Bäume viel zu spät gefällt worden. Wenn die Nadelbäume bereits ihre Rinde verlieren, ist der Borkenkäfer schon lange ausgeflogen und das stehen gebliebene Totholz bildet keine Gefahr mehr für umstehende Fichten“, sagt Dirk Hofmann, der stellvertretende Vorsitzende des NABU Thüringen und argumentiert weiter: „Was wir gerade bei Ruppersdorf erleben, wirft die natürliche Waldentwicklung um Jahrzehnte zurück. Anstatt die Flächen vollständig zu räumen, hätte es bessere Alternativen gegeben. Insbesondere schattengebendes stehendes und liegendes Totholz in der Fläche zu belassen, würde vielen Tieren und der kommenden Baumgeneration einen dringend notwendigen Schutz zum Überleben bieten.“

Insbesondere von den staatlichen Akteuren und Behörden erwarten die Bürgerinnen und Bürger eine größtmögliche Sensibilität im Umgang mit Schutzgütern. Laut NABU Thüringen muss der Staat als Eigentümer und der Bundesforst als Bewirtschafter hier seiner Vorbildfunktion gerecht werden. Der Verband fordert von der Politik und von den Behörden, forstliche Maßnahmen in Zukunft kritischer zu bewerten, auch wenn diese in der sogenannten Positivliste für forstwirtschaftliche Maßnahmen aufgeführt sind. Grundsätzlich darf der Umstand, dass eine Maßnahme die in der Positivliste geführt wird, nicht als Freifahrtschein für Raubbau am Wald dienen. Im Zweifel müssen die zuständigen Akteure und Behörden in Schutzgebieten zugunsten von Pflanzen und Tieren entscheiden. Ökonomische Interessen sollten nicht weiterhin im Vordergrund stehen dürfen.

„Fakt ist, der Borkenkäfer wird uns auch die nächsten Jahrzehnte noch begleiten. Dies sind die Folgen einer über 100 Jahren mit Nadelbäumen betriebenen Forstwirtschaft, die auf Monokulturen setzte“, sagt Silvester Tamás, zuständig für die Aktion LuchsWald beim NABU Thüringen. „Werden die Wälder in Schutzgebieten großflächig kahlgeschlagen, können dort kaum noch günstige natürliche Prozesse ablaufen. In Zeiten der Klimaaufheizung wird es auf den kahlen Flächen auch schwer mit der Aufforstung werden. Viele Aufforstungen aus den letzten Jahren sind einfach vertrocknet. Sterbende Bäume und Totholz begünstigen hingegen auch Entwicklungen, die unsere Zukunftswälder in Hinblick auf die Klimaaufheizung, resistenter und belastbarer machen. Wollen wir weiterhin Wald bewirtschaften, müssen wir unser Handeln an die neuen Umweltbedingungen anpassen.“

Aus Sicht des NABU muss jetzt so viel Holz wie möglich in den Wäldern, vor allem in Schutzgebieten, belassen werden. Außerdem dürfen, wenn überhaupt, nur maximal bodenschonende Erntetechniken zum Einsatz kommen. Schutzgebietswälder, zu denen insbesondere FFH-Gebiete und Naturschutzgebiete zählen, sollten gerade jetzt in Zeiten einer sich drastisch verschlechternden Klimasituation gar nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt, sondern zuallererst im Interesse des Klima- und Artenschutzes geschont und entwickelt werden.