Niedrigwasser im Norden

Wo ist all das Wasser hin?

Dienstag
22.11.2022, 11:30 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
Der Thüringer Norden war dieser Tage mit einer schönen, weißen Schneedecke überzogen, da mag es nicht so auffallen, dass wir eigentlich in den letzten Wochen viel zu wenig Nass hatten. Dabei war der Mangel mit bloßem Auge zu erkennen…

Die Zorge im Nordhäuser Stadtpark am 09. November (Foto: agl) Die Zorge im Nordhäuser Stadtpark am 09. November (Foto: agl)


Schön war er ja, der Herbst. Vielerorts fühlte sich die eigentlich so ungemütliche Jahreszeit eher wie ein langer Spätsommer mit milden Temperaturen und viel Sonnenschein an. Dem einen oder anderen mag es da schon gedämmert haben, dass hier etwas nicht stimmt und wer mit offenen Augen durch die Landschaft gegangen ist, etwa durch den Nordhäuser Stadtpark, der konnte das auch sehen.

Der Wasserstand der Zorge war zu Beginn des Novembers so niedrig, dass sich selbst beim Laien Fragezeichen auftun müssen. Die haben die Experten schon lange, tatsächlich gibt es in Thüringen sogar ein frei zugängliches „Niedrigwasserportal“. Der Wasserstand der Fließgewässer und Talsperren kann hier tagesaktuell abgerufen werden, außerdem lässt sich ein Blick auf die zurückliegenden Monate werfen.

Der jüngste Statusbericht stammt aus dem August und unterstreicht das, was zu vermuten war: der Sommer war zu trocken. Seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 sei im Thüringer Flächenmittelwert von Mai bis Juli noch nie so wenig Niederschlag wie 2022 gefallen, steht da zu lesen, in den drei Monaten fehlten dieses Jahr 55 Prozent der Niederschläge.

Niedrigwasser in der Zorge, 09. November  (Foto: agl) Niedrigwasser in der Zorge, 09. November (Foto: agl)


Das hat sich auch auf die Pegelstände der Flüsse ausgewirkt. Insgesamt 27 Pegelstände werden regelmäßig überprüft. An 16 Stellen lag das Abflussniveau im Bereich eines 2- bis 5-jährlichen Niedrigwassers, bei sieben weiteren Pegeln darüber. Die Abflüsse an Zorge und Bere sowie an der oberen Werra und an mehreren Flüssen in Ostthüringen lagen noch unter dem Landesdurchschnitt.

Auswirkungen hatte das auch auf das Grundwasserniveau. Weite Teile des Freistaates galten als „sehr trocken“. Im Bericht heißt es: „Im Winterhalbjahr 2021/2022 hat keine ausreichende Grundwasserneubildung stattgefunden, die die Grundwasserressourcen nach der trockenen Phase 2018 2020 wieder bis zu einem jahreszeitlich typischen Niveau aufgefüllt hätte. Seit Anfang 2022 sind die Grundwasserstände daher in weiten Teilen Thüringens stark gesunken.“

Was hat der Herbst gebracht?
Mit den kommenden Niederschlägen würde sich die Lage entspannen, steht weiter in dem Monitoring-Bericht zu lesen. Und tatsächlich sah es im September so aus, als würde sich die Lage nach dem Sommer entspannen. Ab Oktober war aber Schluss mit dem Nass , musste man Anfang November konstatieren. An allen Messstellen wurde der mittlere Niedrigwasser-Abfluss um bis zu 45 Prozent unterschritten. Spitzenreiter im negativen Sinne sind die Bereiche Ammern/Unstrut und Nordhausen/Zorge. „Nach den regenreichen Monaten Januar und Februar 2022 waren insbesondere der März 2022 mit nur 34 % des Monatssolls und der Juni mit 35 % deutlich zu trocken. Mai, Juli und August registrierten etwa die Hälfte des langjährigen Vergleichswertes. Die angesammelten Defizite konnte der mit 166 % des Monatssolls sehr regenreiche September nur zum Teil ausgleichen“. Bis Ende des Jahres werde rund ein fünftel der üblichen Regenmenge fehlen, so die Einschätzung.

Fließt das Bächlein flink und schnelle
Die Niederschläge sind ein maßgeblicher Faktor für die Füllstände, aber nicht der einzige. „Die Situation an den Quellen, der Grundwasserstand und die Verdunstungsrate spielen auch eine Rolle. Das ist am Ende eine Summe von vielen Kleinigkeiten. Aber es ist auch unbestritten, das wie einen Umbau in der Natur sehen“, erklärt Kai-Michael Urspruch, der Leiter des Gewässerunterhaltungsverbandes „Helme - Ohne - Wipper“.

Dessen Hauptaugenmerk liegt auf dem Hochwasserschutz. Paradoxerweise hängt auch der, zumindest im Thüringer Norden, mit der Niedrigwasserlage zusammen. Um klassische Hochwasser muss man sich hier weniger Sorgen machen, allein die Geographie verhindere, dass es zu Katastrophen wie im Ahrtal kommen könne. Was die Experten umtreibt, sind zunehmende Starkregen-Ereignisse - viel Niederschlag über einen kurzen Zeitraum auf begrenztem Gebiet. Und die werden begünstigt, wenn die Pegel niedrig und die Böden trocken sind. Ein Fluss und seine möglichen Überschwemmungsgebiete sind leicht zu überwachen, zu ahnen wo ein Wolkenbruch Wassermassen auflaufen lässt, ist sehr viel schwieriger.

Immerhin, es kommt etwas herunter, mag man jetzt denken. Nur bleibt das Wasser in diesem Fall nicht lange. Zum einen können die ausgelaugten Böden große Wassermengen ohnehin kaum aufnehmen, zum anderen sorgen die Fehler der Vergangenheit dafür, dass das dringend nötige Nass schnell wieder weg ist. Die „Optimierung“ der Wasserläufe bezeichnen die Damen und Herren vom Fach als „Meloration“. „Der Ansatz war immer, das dass Wasser schnell weg muss, raus aus dem Dorf und der Stadt. Das Ergebnis ist heute, das die punktuell kräftigen Niederschläge quasi schon in der Elbe sind, bevor sie in der Region wirklich Wirkung entfalten könnten. Die Grundwasserpegel können sich nicht erholen, wenn das Wasser zu schnell abfließt“, erläutert Urspruch.

Gegenmaßnahmen
Aufgabe der Unterhaltungsverbände ist es, für den Extremfall Maßnahmen in der Hinterhand zu haben und bei den Betroffenen das Problembewusstsein zu schärfen. „Das passiert auch Stück für Stück. Wir hatten vor kurzem unseren Hochwasserinformationstag nachdem unter anderem die Gemeinde Sollstedt an uns herangetreten ist damit gemeinsam ein integrales Hochwasserschutz-Konzept erstellt werden kann.“

Eine Möglichkeit ist der Rückbau der „Meloration“ um Raum für das Wasser zu schaffen anstatt es schnelle, schnelle, ohne Ruh, hinfortzuführen. In Sachen Niedrigwasser sind die Möglichkeiten begrenzt aber auch hier gibt es Pilotprojekte. Eine stärkere Beschattung durch Baumbestand könnte helfen die Oberflächentemperatur und damit die Verdunstungsrate zu senken. Ob der Effekt signifikant ist, will der Verband mit Unterstützung des Thüringer Umweltministeriums an diversen Stellen in Nordthüringen erproben, berichtet Urspruch. In Niederbösa und an der Aumühle bei Sondershausen hat man bereits mit dem Versuch begonnen und Pflanzungen vorgenommen. Im Landkreis Nordhausen war Wipperdorf als Versuchsraum vorgesehen, hier stellen sich die Verhandlungen mit dem Grundstückseigentümer aber bisher als zäh heraus.

Helfen werden am Ende nur langfristige und mitunter sicher auch kostspielige Maßnahmen. Wenn nach vier Dürresommern in fünf Jahren auch die Herbsttage zu trocken bleiben, wird etwas geschehen müssen. Wer sich selber ein Bild von der Lage machen will, findet das Niedrigwasserportal
hier. Für heute, den 22. November, vermeldete die Karte für den gesamten Thüringer Norden, trotz schmelzenden Schnees, „ausgeprägtes Niedrigwasser“.
Angelo Glashagel