Ramelow auf Wahlkampftour in Nordhausen

Abschiedstour oder Comeback-Tournee?

Donnerstag
01.08.2024, 11:25 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In vier Wochen bestimmen die Thüringer Wähler die Besetzung ihres Landtages neu, die Wahlkämpfer sind reisefreudig. Das beste Pferd im Stall der Linken ist und bleibt Ministerpräsident Bodo Ramelow und der war gestern Abend nach Nordhausen gekommen, um Rede und Antwort zu stehen…

Bodo Ramelow auf Wahlkampftour in Nordhausen (Foto: agl) Bodo Ramelow auf Wahlkampftour in Nordhausen (Foto: agl)


In den Wahlumfragen sieht es nicht gut aus für die Thüringer Linke, die Genossen würden, geht es nach dem Trend, wahrscheinlich auf dem vierten Platz in der Wählergunst landen, noch hinter dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Das gallische Dorf inmitten des allgemeinen linken Sinkfluges ist und bleibt Bodo Ramelow, der Ministerpräsident ist laut den Statistikern immer noch wohl gelitten, selbst unter den Wählern der anderen Parteien, sieht man einmal von denen der AfD ab.

Nachvollziehbar also, dass man mit „Team Bodo“ auf Wahlkampfreise geht und die machte gestern Station im Nordhäuser Jugendclubhaus. Der Saal war gut gefüllt, es wurden Zettel ausgegeben, auf denen Fragen eingereicht werden konnten. Bevor man „Bodo“ auf die Bühne bat, durften sich die Landtagsaspiranten der Nordhäuser Linken noch einmal vorstellen, Katja Mitteldorf und Tim Rosenstock. Mitteldorf vertritt den Nordkreis seit zehn Jahren im Landtag, ist hier wie da als die „Kulturtante“ bekannt und sieht vieles, was in dieser Zeit erreicht wurde, zuletzt der Status für Nordhausen als Oberzentrum. Rosenstock ist auch seit 10 Jahren aktiv in der Politik, allerdings lokal. Hier habe er viel gelernt und viel mitgetan, im Landtag wäre es sein Anliegen, den Freistaat und die Region für alle Generationen voranzubringen und den ländlichen Raum zu stärken.

Und dann schließlich: Ramelow. Man von ihm halten was man will, aber eines kann ihm keiner absprechen: der Mann kann reden. Frei von der Leber weg, egal zu welchem Thema und eine Thüringer Anekdote gibt es obendrein, meist noch passend zugeschnitten auf das lokale Publikum. Ramelow eröffnet mit DEUSA und Schachtbau, Sollstedt, der Hochschule, Gips und Anhydrit, dem Grubenverein „Karl Marx“, erzählt Thüringer Geschichten aus dem letzten Winkel des Freistaates und aus aller Welt. Lauter und deutlicher müsse man über die Erfolge des Landes reden, sich nicht immer nur auf das konzentrieren, was falsch laufe und Unsinn sei in Thüringen. Nicht die Asche solle man weitergeben, sondern das Feuer. Immerhin zähle man im Freistaat 100 Weltmarktführer, meist kleine und mittelständische Unternehmen, ohne deren Know-How manch großer Konzern nicht vorankommen würde. Fundamente wie die Kindergärten, das Ausbildungswesen und alte Ideen zur Gesundheitsversorgung wie die „Gemeindeschwester Agnes“ seien Dinge, die Thüringen obendrein zu bieten habe.

Tim Rosenstock und Katja Mitteldorf wollen für die Nordhäuser Wahlkreise in den Landtag einziehen (Foto: agl) Tim Rosenstock und Katja Mitteldorf wollen für die Nordhäuser Wahlkreise in den Landtag einziehen (Foto: agl)


Man habe 34 Jahre zum teil radikaler Veränderungen hinter sich und nicht alles sei gut gewesen, etwa die Treuhand-Politik. Aber man dürfe sich nicht von dem, was andere über Thüringen erzählten, gegeneinander ausspielen lassen. Der Freistaat sei mehr als „nur das Blau“ auf der Karte der Wahlergebnisse, mehr als Jammer und Wehklagen. Probleme gibt es, aber über die müsse man nicht nur lamentieren, sondern sie pragmatisch betrachten und Lösungen finden.

Positive Geschichten will der Ministerpräsident erzählen und hat auch Zahlen parat, etwa zur Bildung. Rund 600 Millionen Euro habe man in seiner Amtszeit in die Bildung investiert und 7.500 Lehrer eingestellt, was rund 43 Prozent des gesamten Lehrpersonals ausmache. Das immer noch 1000 Lehrerinnen und Lehrer fehlten, sei eine Katastrophe, aber keine, die alleine seine Regierung zu verschulden habe. Entgegen der „Falscherzählungen“ der Anderen im Wahlkampf sei man der Verantwortung eben nicht ausgewichen, sondern suche nach neuen Wegen, mehr Personal an die Schulen zu bekommen. Jüngster Streich sei ein Experiment in Sachen dualer Lehrerausbildung, das gut angenommen werde, die Schaffung von drei „Handwerkergymnasien“ und die Verankerung der alten Idee vom polytechnischen Unterricht im Schulgesetz, unter dem Namen „Tag in der Praxis“ erstmals in Nordhausen erprobt.

Das Clubhaus war gut besetzt aber nicht "ausverkauft" (Foto: agl) Das Clubhaus war gut besetzt aber nicht "ausverkauft" (Foto: agl) Ramelow reitet weiter, reminisziert über die Fluttage in Windehausen Ende vergangenen Jahres und die Reaktionen auf den sozialen Medien. Die allgemeine Verächtlichmachung anderer im Netz sei eine furchtbare Entwicklung, was stimme oder nicht sei kaum noch einzuschätzen, man müsse wieder dazu übergehen, selbst zu sehen was passiert und genau das habe er im Fall Windehausen getan.

Bei ein, zwei Sätzen bleibt Ramelow nicht, die Worte sprudeln. Warum sind so viele Kommunen Pleite? Schon die Frage stimme nicht, entgegnet der Minsiterpräsident - man habe mehr Kommunen aus der Konsolidierung geholt, als zuvor, die kommunale Unterstützung von Landesseite von zwei auf drei Milliarden angehoben und der kommunalen Schuldenstand sei zu Lasten der Schuldentilgung des Landes insgesamt gesunken. Fehler habe er bei der Gebietsreform gemacht, wichtiger sei eine Verwaltungsreform gewesen und die müsse man immer noch umsetzen.
Was kann man gegen steigende Mieten tun? Sich von der Mietpreisbremse verabschieden, die sei nur ein „Witz“. Stattdessen sollte man den kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbau stärken, sozialer Wohnraum sollte kein Spekulationsobjekt sein. Man plane derzeit dazu eine Landeswohnugsbaugesellschaft, die dort wo sie gebraucht werden standardisierten und bezahlbaren Wohnraum schaffen soll - ob man das ganze dann wieder Plattenbau nennt sei egal, Hauptsache es hilft.

Kann er sich eine Koalition mit der BSW vorstellen? An dem Punkt weicht Ramelow aus und schwenkt um auf die AfD. Eine demokratische Partei würde er nie bekämpfen, vielmehr müsse man für die 70 Prozent kämpfen, die nicht die AfD wählen. Deren Wählerschaft als Faschisten zu beschimpfen helfe nicht, vielmehr müsse man dafür sorgen, dass die Leute, die gerne Höcke wählen wollen, sich auch im klaren darüber sind, was sie dann bekommen. Und rund die Hälfte der AfD Wähler wollten eben gerade Herrn Höcke eigentlich eher nicht, meint Ramelow.
Was passiert wenn die AfD an die Macht kommt? Das müsse man nicht ihn, sondern eben den Herrn Höcke fragen und der sage das sehr deutlich. Ein bisschen Mathematik empfehle sich auch, wenn der Ausländeranteil rund acht Prozent betrage und man bei der Alternativen davon rede, man könne auf 20 Prozent der Bevölkerung verzichten, dann sollte man anfangen zu rechnen und sich vielleicht fragen, wer da genau gemeint ist. Auch die Europafrage sei für Thüringen von essentieller Bedeutung, man könne nicht ohne die EU aber das gleiche gelte umgekehrt, siehe Weltmarktführer und High-Tech Zulieferer aus dem kleinen Freistaat

Wie soll man die Gesundheitsversorgung verbessern? - Man habe keine Lenkungsmöglichkeit über die Studienplatzvergabe, also müsse man andere Wege finden, junge Ärzte zu binden, allen voran andere Zeitmodelle. Außerdem sollte man die westdeutsche Aufteilung von ambulanter und stationärer Behandlung wieder aufweichen, was am Ende wieder zur bereits erwähnten Gemeindeschwester führe. Und da ist Ramelow wieder bei den positiven Erzählungen - das Vermächtnis der DDR könne mehr sein als Grüner Pfeil und Sandmännchen.

Warum verliert die Linke stimmen und kann man die Spaltung noch verhindern? Die sei bereits vollzogen, was bedauerlich sei, denn eigentlich sollte ein plurale Linke auch unterschiedliche Standpunkte aushalten. Mit Verwunderung blicke man auf die BSW, die in Thüringen um die 50 Mitglieder und rund 1000 Aufnahmeanträge haben soll, scheinbar aber Angst davor habe, die Leute auch reinzulassen. Paradox sei auch, dass man von Seiten der CDU der Linken (und ihm, dem Westimport) ihre SED Vergangenheit vorhalte, bei der BSW aber keine derartigen Vorbehalte zu haben scheine.
Woran scheitert der Nahverkehrsverbund? An der Kultur der Kleinstaaterei, die Fürstentümer von einst seien immer noch die Grundsubstanz und manch ein Landrat habe sich in dieser Kultur gut eingefunden. Hoffnung habe das Deutschlandticket gemacht, statt dessen Finanzierung aufzugeben, sollte man Lieder das Dienstwagenprivileg halbieren. Und wo man einmal bei den Steuern ist: gehe es nach ihm, würde das Ehegattensplitting an Familien mit Kindern gebunden und zu einem Paket zur Kindergrundsicherung zusammengeschnürt.

Und so geht es weiter, gute anderthalb Stunden lang. Ramelow kann reden, keine Frage und den Ruf des Pragmatikers hat er nicht umsonst. Würde nur der Ministerpräsident allein gewählt, er hätte gute Karten es noch einmal zu werden. Allein, der Konjunktiv zählt an der Wahlurne nicht und ob ein Kapitän im Sturm das Ruder alleine herumreißen kann, ist mehr als fraglich. Ob also der gestrige Auftritt Ramelows Abschiedskonzert war, oder doch noch zur Comeback-Tournee wird, das hat der Wähler in vier Wochen zu entscheiden.
Angelo Glashagel