Zum 100. Geburtstag von Heinz Scharr

Würdigung einer Künstlerlegende

Donnerstag
27.06.2024, 08:44 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Mit einer Festwoche bis zum 1. Juli erinnert die Musikstadt Sondershausen an ihren bedeutenden Künstler Heinz Scharr, der am 1. Juli diesen Jahres 100 Jahre alt geworden wäre. Nun zieht auch die Rolandstadt nach – oder besser gesagt: die Kreissparkasse...

Unvergessen: in der Kreissparkasse wurde gestern eine Ausstellung zum Werk Heinz Scharrs eröffnet  (Foto: Hans Georg Backhaus) Unvergessen: in der Kreissparkasse wurde gestern eine Ausstellung zum Werk Heinz Scharrs eröffnet (Foto: Hans Georg Backhaus)


In der dortigen Galerie wurde am Mittwochabend zu Ehren des Künstlers eine beeindruckende Werkschau eröffnet…

Zahlreiche Kunstinteressierte werden sich gerne noch an den „großen Bahnhof“ für Heinz Scharr anlässlich seines 90. Geburtstages im Kunsthaus Meyenburg vor 10 Jahren erinnern. Da zeigte sich Hannelore Haase (DIE LINKE) in ihren Begrüßungsworten sichtlich erfreut über „das überwältigende Interesse“ am Künstler und seiner Kunst. An diesem Mittwoch glichen sich die Bilder: Eine riesige Fangemeinde hatte sich (wieder) eingefunden. Lediglich die Örtlichkeit war eine andere.

Nach der gewohnt freundlichen Begrüßung durch das Mitglied des Sparkassen-Vorstandes Jan Oberbüchler, der besonders herzlich die Witwe des Künstlers, Jutta Scharr aus Sondershausen begrüßte, hob Kunsthaus-Leiterin Susanne Hinsching zum Loblied auf den Jubilar an und rief zunächst das Leben Scharrs in Erinnerung.

Am 1. Juli 1924 in Sondershausen als drittes Kind von Otto und Martha Scharr geboren, war er nach Absolvierung der Schule und der Handwerkerlehre zunächst im Kalibergbau tätig, „da zu dieser Zeit die Kunst noch nicht den Mittelpunkt seines Lebens bildete“, so Hinsching. Er wurde Soldat bei der Marine, lernte die Schrecken des Krieges kennen und geriet u.a. in französische, spanische und englische Gefangenschaft. All diese Erfahrungen verarbeitete er Jahre später in seiner Kunst.



Zuvor aber (von 1947 – 1952) nahm er an der Hochschule für Grafik und Buchkunst ein Studium auf. Bedingt durch sein wachsendes Interesse für Skulpturen und Plastiken wechselte er Jahre später in die Bildhauerklasse von Walter Arnold. Scharr erhielt kein Stipendium, und so gestaltete sich seine Studienzeit als eine Zeit voller Entbehrungen.

Nach dem Studium zog es ihn zurück in seine Heimatstadt Sondershausen. Ab 1952 engagierte er sich im Verband Bildender Künstler der DDR (freischaffend), nahm an verschiedenen Symposien teil, beteiligte sich an Architektur bezogenen Projekten und richtete sich 1955 ein Atelier in Weimar ein. Studienreisen führten ihn u.a. nach Norwegen, Island, Polen und in den Kaukasus.

Alsbald trat Jutta Frank in sein Leben, sie heirateten 1963 und richteten sich zunächst in der „Stillen Mühle“ im Helbetal wohnlich ein. 1976 zog es beide in den Kreis Nordhausen. In Utterode nahe Rehungen hatten sie ein Jahr zuvor den Komturhof des Deutschritterordens – einen sehr heruntergekommenen Vier-Seiten-Hof – erworben und bauten ihn in den Folgejahren zum Wohn- und Arbeitsort aus. So gestaltete sich Utterode als ein Ort, der Zurückgezogenheit bot und dadurch „die Quelle für seine Kunst“ wurde.

Heinz Scharrs künstlerisches Wirken fand insbesondere in Grafiken und zahlreichen Metallplastiken für den öffentlichen Raum seinen Niederschlag. Herausstechend war hier zweifellos das 40 Meter lange und drei Meter hohe Kupferrelief für die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, „dessen Schaffen sowohl künstlerisch als auch technisch zu den großen Herausforderungen für Heinz Scharr gehörte und das in den eingeschränkten Gegebenheiten des real existierenden Sozialismus“, machte die Laudatorin die damalige nicht gerade leichte Situation deutlich.

Weit über vier Jahrzehnte lebte und wirkte Heinz Scharr mit seiner Frau Jutta in Utterode und legte damit Zeugnis ab für seine Verbundenheit zur Natur, aus der er stets die nötigte Energie für seine Kunstwerke schöpfte. Zudem forderte auch die Erhaltung und der fortwährende Ausbau des Vier-Seiten-Hofes den Eheleuten viel Kraft ab.1990 richteten sie schließlich eine Galerie vor Ort ein.

Die aktuelle Ausstellung gewährt dem Betrachter einen kleinen Einblick in die Vielseitigkeit des künstlerischen Schaffens von Scharr. Zu sehen sind u.a. Arbeiten auf Papier in unterschiedlichen Techniken, aber auch in verschiedenen Abstraktionsstufen. Daneben schmücken zahlreiche großformatige Holzschnitte in Schwarz-Weiß die Wände der Galerie. Sie stammen aus der 1992 geschaffenen Serie „Utterode“ und waren typisch für Scharrs Kunst.

Scharr liebte das Experiment, ließ „durch die Kombination verschiedenartiger Strukturen in seinen Arbeiten Spannung und Ekstase“ entstehen. Susanne Hinsching verwies des weiteren auf die sogenannten Schüttbilder (Aquarelle), ging auf die unbetitelten Monotypien aus dem Jahr 1989 ein und vergaß auch nicht zu erwähnen, dass Scharr nicht ausschließlich Abstraktes geschaffen hat, sondern dass zu seiner Kunst ebenso gegenständliche Arbeiten (Zeichnungen mit Rötel und Kohle) gehören.

Neben der grafischen Kunst beschäftigte er sich auch mit der Formung von Metall. Dazu zählen die abstrakten Schweißkonstruktionen und die filigranen Kunstwerke, die durch den Einsatz der Schweiß-Schmelz-Technik entstanden sind. Zwei von ihnen sind in der Ausstellung zu sehen. Scharrs Plastiken zeichneten sich nicht durch „Ebenmäßigkeit“ aus. Ihn faszinierten beim Werkstoff Eisen eher dessen „Rauheit, Sprödigkeit und Schärfe“, wie es Hinsching formulierte.

Die Laudatorin charakterisierte den Künstler Heinz Scharr zum Abschluss ihres Vortages als einen, der “in seinen Werken stets die Auseinandersetzung mit den Prozessen des Werdens und Vergehens“ sucht. „Sein Künstlerisches Anliegen war es nicht, Vorhandenes abzubilden, sondern einen veränderlichen Prozess darzustellen.“ Scharr habe die Fähigkeit besessen, seine Gefühle durch die Kunst auf den Betrachter zu übertragen.

Schließlich richtete auch die Witwe des Künstlers, Jutta Scharr, zu Herzen gehende Dankesworte an die anwesenden Gäste und alle, denen diese Ausstellung zu verdanken ist. Zudem ließ sie das Leben und Wirken ihres am 5. September 2017 verstorbenen Mannes aus rein persönlicher Sicht nochmals Revue passieren, wofür ihr mit außerordentlich herzlichem Applaus gedankt wurde.

Die musikalische Einstimmung auf die neue Ausstellung übernahmen an diesem Abend Marlene Lauterberg und Sylke Franz-Prauße von der Kreismusikschule mit ihren Gitarren. - Die aktuelle Werkschau „Unvergessen“ anlässlich des 100. Geburtstages von Heinz Scharr ist bis zum 6. September 2024 zu den Öffnungszeiten der Sparkasse am Nordhäuser Kornmarkt, Montag bis Freitag von 8.00 bis 18.00 Uhr, zu sehen.
Hans-Georg Backhaus