Provienienzforschung in Heiligenstadt

Auf der Suche nach NS-Raubgut

Donnerstag
06.06.2024, 13:07 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Die Provenienzforscherinnen des Museumsverbandes Thüringen haben das Literaturmuseum „Theodor Storm“ und das Eichsfeldmuseum in Heilbad Heiligenstadt zu Hinweisen auf NS verfolgungsbedingten Entzüge untersucht. Nun liegen die Abschlussberichte vor...

Das Literaturmuseum „Theodor Storm“ gehört zu einem der 17 Museen des vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste geförderten Erstcheck-Projektes des Museumsverbandes Thüringen auf der Suche nach Hinweisen auf NS-Raubgut. Damit unterstützt der Museumsverband die teilnehmenden Mitgliedsmuseen bei der Provenienzforschung, die nicht über die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen verfügen.

Die Provenienzforschung am Thora-Fragment, v.l.n.r. Katharina Taxis (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle Provenienzforschung), Dr. Gideon Haut (Direktor der städtischen Museen Heilbad Heiligenstadt), Sabine Breer (Koordinatorin der Koordinierungsstelle Provenienzforschung) und Dr. Mai Lin Tjoa-Bonatz (Provenienzforscherin für den Museumsverband) (Foto: Museumsverband Thüringen) Die Provenienzforschung am Thora-Fragment, v.l.n.r. Katharina Taxis (wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle Provenienzforschung), Dr. Gideon Haut (Direktor der städtischen Museen Heilbad Heiligenstadt), Sabine Breer (Koordinatorin der Koordinierungsstelle Provenienzforschung) und Dr. Mai Lin Tjoa-Bonatz (Provenienzforscherin für den Museumsverband) (Foto: Museumsverband Thüringen)


Das Literaturmuseum wurde 1988 gegründet, daher war es bis jetzt nicht gewiss, ob sich Erwerbungen aus der NS-Zeit im Sammlungsbestand befinden. Der Erstcheck zeigte, dass es circa 1.000 Objekte im Museum gibt, die vor 1945 entstanden sind und die damit potenziell NS-Raubgut sein könnten. Während der ersten kursorischen Prüfung an circa 150 ausgewählten Objekten fanden sich aber keine Hinweise auf unrechtmäßigen Entzug in der NS-Zeit. Dr. Mai Lin Tjoa-Bonatz, die als Provenienzforscherin die wissenschaftlichen Recherchen für den Museumsverband durchführt, fasst ihre Forschung wie folgt zusammen:

„Mobiliar, Fotos und Kunsthandwerk des 19. oder frühen 20. Jahrhunderts im Literaturmuseum zeigen wichtige Provenienzmerkmale: doppelte Signaturen, Aufkleber oder Inventarnummern von anderen Museen, die auf frühere Eigentumsverhältnisse verweisen. Ich habe versucht, die aufgefundenen Herkunftsmerkmale wie zum Beispiel genannte Personennamen oder Stempel in speziellen Forschungsdatenbanken und im Austausch mit Kolleginnen zu identifizieren und konnte dabei keine eindeutigen Indizien auf Raubgut finden. Dennoch besteht weiterer Forschungsbedarf. Das betrifft verschiedene Inschriften, Widmungen und Exlibris in den Büchern, die eingehender studiert werden müssten. Sie vermitteln uns ganz persönliche Details über die Lesenden oder die Eigentümer und Eigentümerinnen der Bücher.“

Im Eichsfeldmuseum Heilbad Heiligenstadt führte Katharina Taxis, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinierungsstelle Provenienzforschung des Museumsverbandes Thüringen., die Recherchen zu Hinweisen auf NS-Raubgut durch. Da die Gründungszeit des Museums in die 1930er-Jahre fällt, galt es zu klären, ob Objekte zwischen 1933 und 1945 an das Museum gelangten. Eine erste Prüfung belegte 463 Zugänge in das Museum für diesen Zeitraum. Bei dem Großteil der Objekteingänge ist die Herkunft und Art der Erwerbung noch nicht eindeutig geklärt und bedarf weiterer Forschung, was insbesondere die Waffen und Gegenstände von vermutlich NS-Verfolgten betrifft. Beispielsweise gelangten zwei Fragmente einer Thora-Rolle in den 1960er-Jahren in das Museum. Ein Thora-Fragment wurde bereits 1989 restituiert und an die Jüdische Landesgemeinde Thüringen übergeben, das andere befindet sich noch im Museum. Durch die Forschung konnten wichtige Provenienzetappen und Thesen zur Herkunft des Thora-Fragments anhand von Archivalien und Briefwechseln zusammengetragen beziehungsweise aufgestellt werden.

Durch beide Erstchecks wurden neben der Erforschung der Provenienzen der Objekte auch wertvolle Erkenntnisse zum jüdischen Leben, zur Shoah sowie zur Zwangsarbeit und Verfolgung durch das NS-Regime im Eichsfeld gewonnen. Die Museumsobjekte sind immer auch mit Biografien regionaler Persönlichkeiten sowie der Ortsgeschichte verbunden. Dieses neu erworbene Wissen möchte Dr. Gideon Haut, Direktor der städtischen Museen Heilbad Heiligenstadt, in die Dauerausstellungen der beiden Museen einfließen lassen:

„Die Ergebnisse der wochenlangen Untersuchungen liefern wichtige Erkenntnisse, die neue Impulse für unsere tägliche Arbeit setzen sowie konkreten Einfluss haben werden auf die Neugestaltung der Dauerausstellungen in beiden Häusern. Für viele Museumsobjekte haben wir nun Antworten zu den historischen Zusammenhängen ihrer Herkunft. Dass sich in vielen Fällen die Verdachtsmomente nicht erhärtet haben, bedeutet auch eine gewisse Erleichterung für die Mitarbeitenden und die ehrenamtlich Tätigen. Ich bedanke mich ausdrücklich bei allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit und die handfesten Hilfestellungen für die Museumsarbeit gerade in kleinen Museen im ländlichen Raum. Es zeigt sich abermals, wie sinnvoll und förderlich die Mitgliedschaft im Museumsverband Thüringen ist, der dieses Projekt initiierte.“

Mit Hilfe der Erstchecks werden lediglich erste Prüfungen des Sammlungsbestandes zu Hinweisen auf NS-verfolgungsbedingte Entzügen vorgenommen, sodass noch weiterer Forschungsbedarf bezüglich der Objektprovenienzen besteht, auch über die NS-Zeit hinaus. Der Museumsverband Thüringen e. V. und die teilnehmenden Heiligenstädter Museen stehen dazu weiterhin im Austausch.

Das Erstcheck-Projekt „Auf der Suche nach NS-Raubgut an 17 Thüringer Museen“ wird vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert.