Apfelgeschichten aus Nordhausen

Auf der Suche nach dem Schönen

Mittwoch
22.05.2024, 15:17 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Robust ist er, windfest und frosthart, kommt aber etwas säuerlich daher. Er ist gut angepasst an seine bergige Umwelt, gedeiht aber auch jenseits heimischer Gefilde - die Rede ist vom Nordhäuser, allerdings nicht dem Menschen, sondern dem Apfel. Über die Geschichte des „Schönen aus Nordhausen“ ist recht wenig bekannt, was ein paar Apfelenthusiasten jetzt ändern wollen…

Eine Apfelblüte in voller Pracht (Foto: Kathleen Hahnemann) Eine Apfelblüte in voller Pracht (Foto: Kathleen Hahnemann)


Mit den Äpfeln ist es ein bisschen wie mit den Menschen, wer genau hinschaut, erkennt das kaum einer ist wie der andere. Rund 30.000 Apfelarten gibt es zur Zeit, eine Schätzung fällt schwer, die Zahl ist wandelbar, erklärt Gerd Ulm, der „Streuobstgerd“ aus Neustadt. „Die meisten Apfelsorten sind nicht „Kernecht“, das heißt erst einmal, dass sie sich nicht selbst befruchten können. Wenn Sie einen Apfelkern pflanzen können Sie so alles mögliche bekommen, aber ziemlich sicher nicht die Art Apfelbaum, von dem Sie die Frucht geholt haben“, sagt der Obstbauer.

Aus zwei Apfelbäumen können so hunderte und tausende Unterarten hervorgehen, gedeihen und wieder verschwinden. Und so kommt es auch, dass neue Apfelsorten „gefunden“ werden. Einen eben solchen Fund machte Karl Kaiser im Jahr 1835 in Nordhausen. Aus einem seiner Sämlinge entsprang eine robuste Apfelsorte, die Kaiser „Der Schöne aus Nordhausen“ taufte. Die Sorte sorgte dank vielfältiger Eigenschaften für Aufsehen unter Apfelforschern, den „Pomologen“. Das ging soweit, dass der „Schöne“ im ersten Weltkrieg beinahe zum „Hindenburgapfel“ umgetauft worden wäre. Dass es nicht so kam und der „Nordhäuser“ seinen Namen behielt, hat man wohl Paul Kaiser, dem Nachkommen des Finders zu verdanken.

Auf Spurensuche
Genau weiß man es aber nicht, über die Familie Kaiser und ihre Mitglieder ist recht wenig bekannt. Das wollen Gerd Ulm und Kathleen Hahnemann von der Hofmosterei Harzungen jetzt ändern. Sowohl die Pomologen von einst wie auch den „Schönen" will man aus dem Dunkel der Geschichte holen. „Der Schöne aus Nordhausen ist die letzte alte Thüringer Apfelsorte, die man bis heute in Baumschulen im ganzen Land beziehen kann und das hat seine Gründe. Der Apfel ist eher sauer, aber sehr robust, gedeiht gut in der Fläche, kommt aber gerade auch mit Gebirgs- und Küstenklima gut klar und er kann gut gelagert werden. Für uns ist aber wichtig, dass der Baum seine eigene Geschichte hat, eine Nordhäuser Geschichte und die würden wir gerne wieder erzählen können“, sagt Hahnemann.

Nordhäuser Apfelenthusiasten auf Spurensuche: Kathleen Hahnemann und Gerd Ulm (Foto: agl) Nordhäuser Apfelenthusiasten auf Spurensuche: Kathleen Hahnemann und Gerd Ulm (Foto: agl)


Erster Schritt: ein Kataster soll her, nicht nur aber auch für den Nordhäuser Apfel. Wer noch einen „Schönen“ im Garten stehen hat, soll es bitte den Apfelfreunden melden. „Über die Mosterei bekommen wir eine Menge unterschiedlicher Sorten zu Gesicht und es kommen immer wieder Fragen zur Identifikation. Es gibt Experten, die das können und bei denen wir uns auch zu gegebener Zeit eine zweite Meinung einholen würden, im Moment müsste aber eine Sichtprüfung reichen. Wir hoffen, dass es noch Leute gibt, die wissen was für Bäume sie im Garten stehen haben. Früher wurde solches „Obstwissen“ von Generation zu Generation weitergegeben, vielleicht hilft es also auch, mal bei Oma und Opa nachzufragen.“

Der Baum ist das eine, die Menschen das andere. Sowohl zu Karl Kaiser wie auch seinem Nachfahren Paul haben die beiden bisher nur spärliche Informationen gefunden. Familie Kaiser betrieb in der Elisabethstraße in Nordhausen im 19. Jahrhundert eine Gärtnerei, etwa dort, wo heute der Horizont-Verein mit seiner Fahrradwerkstatt residiert. Auf Obst hatte man sich hier damals eigentlich nicht spezialisiert, eher auf Gemüse. Ein Herz für den Apfel hatte man aber scheinbar doch, denn es soll Paul Kaiser gewesen sein, der sich bei den führenden Pomologen seiner Zeit dafür eingesetzt hat, dass der „Schöne“ seinen Namen behielt. Seine Spur verliert sich im ersten Weltkrieg in Graudenz in Ostpreußen. „Uns interessiert grundsätzlich erst einmal alles, was die Familie Kaiser betrifft, wir wollen versuchen herauszufinden, was das für Menschen waren“, sagt Kathleen Hahnemann. „Im Nordhäuser Stadtarchiv haben sich nicht viele Spuren gefunden. Es gab in Nordhausen, Heringen und Windehausen aber Pomologenvereine und vielleicht finden sich hier noch Aufzeichnungen und Unterlagen. Ganz besonders toll wären natürlich Fotografien aber wir schauen uns alles an, was wir kriegen können.“

Zur Unterstützung hat man Dr. Jürgen Pusch vom Naturpark Südharz hinzugezogen, der in ähnlicher Richtung forscht, außerdem sind die „IG Streuobst“ vom Naturpark Südharz in Neustadt, der Landschaftspflegeverband und die Nordhäuser Stadtbibliothek mit im Boot. Ulm und Hahnemann schwebt ein Pilotprojekt vor, das den Nordhäusern ihren „Schönen“ wieder ins Gedächtnis bringt. Dabei treibt die beiden nicht nur die Liebe zum Apfel, sondern auch die Verbundenheit zu ihrer Heimat. „Wir haben über die Jahre immer wieder Leute getroffen, die regelmäßig zur Erntezeit von sonst wo her angereist kommen, weil Opa hier noch die guten Äpfel stehen hat. Der Apfel ist ein Kulturprodukt und die Streuobstwiese eine Kulturlandschaft, beide schlagen eine Brücke zu unseren Vorvätern und zu unserer Heimat. Der Begriff wird heute leider vor allem vor allem von einer politischen Strömung vereinnahmt und das wollen wir so nicht stehen lassen. Die Äpfel sind so vielfältig und unterschiedlich wie die Menschen, jeder hat seine Vorzüge und Nachteile, das ist ein schönes Symbol für die Gesellschaft an sich und auch das wollen wir in den Vordergrund rücken.“, sagt Hahnemann.

Die Ergebnisse der Nachforschungen gedenken die Apfelfreunde im Herbst zu präsentieren, dann können auch etwaige „Schöne“ genauer unter die Lupe genommen und bestimmt werden. Als Fernziel würde man sich freuen, wenn der Baum in einem der Parks der Stadt einen Ehrenplatz bekäme, zugänglich für jedermann zum freien Genuss. Auch wenn der Nordhäuser etwas säuerlich sein mag, wäre das doch eine schöne, kleine Sache, sowohl für den Baum wie für den Menschen.

Wer Informationen zur Familie Kaiser und dem „Schönen“ hat oder wer glaubt, den Nordhäuser Apfel im eigenen Garten stehen zu haben, der kann sich unter derschoeneausnordhausen@gmail.com bei Hahnemann und Ulm melden.
Angelo Glashagel