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Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Sonntag
21.04.2024, 12:02 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Seit einigen Jahren habe ich mich aus der aktuellen Politik in Stadt und Landkreis und darüber hinaus freiwillig verabschiedet. Das heißt nicht, dass ich mich dafür nicht interessiere. Das heißt auch nicht, dass ich alles “in mich reinlasse”, dafür ist die 35jährige Berufshaut zu dick geworden. Trotzdem wird sie immer mal wieder durchlässig…

Gelesen (Foto: Steve Buissinne auf Pixabay) Gelesen (Foto: Steve Buissinne auf Pixabay)
Ich lese regelmäßig lokale, regionale und überregionale Medien. Von taz, SPON oder Zeit bis Junge Freiheit, Welt, NZZ oder NIUS ist alles dabei. Was mich dabei vor allem interessiert, ist die Auswahl der Themen und deren Einordnung durch die jeweiligen Redaktionen.

Klar, ich bilde mir zu all dem, was da tagtäglich auf mich als “Konsument” einprasselt, eine Meinung. Daneben entsteht jedoch auch ein Gefühl. Ein Gefühl, dass in diesem Gemeinwesen einiges nicht mehr in der Ordnung zu sein scheint, das vielleicht zwingend notwendig für das Funktionieren genau dieses ist. Und ich denke, fühle und glaube, ich bin da nicht allein auf dieser Welt.

Zum Gefühl: Es beginnt zum Beispiel im Dorfgemeinschaftshaus in Herreden. Da geht es in einem städtischen Ausschuss unter anderem um das Mähen von Grünflächen in der Verantwortung der Stadtverwaltung. Eine Stadträtin der Grünen mahnte an, dass die Wiesen nicht allzu oft gemäht werden sollten. Sie könne nicht verstehen, dass Menschen in dieser Stadt im Rathaus anrufen und eine Mahd fordern, weil der Löwenzahn zum Ausschwärmen ansetzt. Es wäre doch schön, wenn man die Grünflächen nachhaltig sich selbst überlassen könne. Trotz der fachlichen Einwände und Erklärungen aus der Verwaltung bestand sie auf ihrer Auffassung.

Die dahinter stehende Ideologie, die im Herreder Dorfgemeinschaftshaus noch keine Auswirkung auf künftige Mähverhalten des Rathauses haben wird, die ist in der Landes- und in der Bundespolitik immer deutlicher sichtbar. Aus Politik wird Ideologie und die Mehrheit der Medien sind mit im Boot der indeologisierten Politik. Sie begleiten die Regierenden nahezu euphorisch, kämpfen um die Plätze im Regierungsflieger statt tagtäglich das Regierungshandeln zu hinterfragen und wundern sich, warum sich immer mehr zahlende Rezipienten von ihnen abwenden. Vor dem Abwenden steht meist ein Gefühl, dann folgt der Check mit ihrer unmittelbaren Realität. Wenn sich Frauen mit Einbruch der Dunkelheit nicht mehr durch Parks trauen, wenn sie sich ein Taxi bestellen, statt mit dem Fahrrad von einem Kurs nach Hause zu kommen. Oder dass Bahnfahren in Südthüringen keinen Spaß mehr macht.

Sie wenden sich ab, wenn bei der Berichterstattung zur jährlichen Polizeilichen Kriminalstatistik zum Themenbereich “nichtdeutsche Tatverdächtige” ellenlange Erklärungen zur Einordnung der Zahlen abgegeben werden. Dann werden aus “nichtdeutschen Tatverdächtigen” eben Touristen, die sich zufällig in Deutschland aufhalten.

Ich denke und hoffe immer noch, dass einstige Kolleginnen und Kollegen im lokalen und regionalen Umfeld so schreiben müssen, wie sie schreiben oder sprechen. Sozusagen laut Vorgabe. Ein Beispiel aus der zurückliegenden Woche machte mich dann wieder fast fassungs- und sprachlos. Es ging um die Unternehmerschaft in diesem Landkreis und deren “Beziehung” zur AfD unter der Überschrift “Starke AfD bereitet Wirtschaft Bauchschmerzen”. Wer nach der Überschrift weiterliest und das vielleicht bis zum Ende durchhält, wird sich verwundert die Augen reiben: Die Aussagen von Vertretern der IHK, des NUV und der Hochschule tangierten das in der Headline suggerierte wirtschaftsfeindliche Agieren der AfD überhaupt nicht. Selbst der Chef der Nordhäuser Hochschule, die nicht unbedingt für konservative Ansichten in Erscheinung tritt, konstatierte “keine Gefahr für den Wissenschaftsstandort Nordhausen”.

Da reibt man sich noch die Augen, um zwei Tage später als Leser doch wieder auf Linie gebracht zu werden. Der selbe Präsident, der am Donnerstag noch zitiert wurde, dass er momentan keine Standortgefährdung durch die AfD auf dem Schirm habe, ruderte zwei Tage später zurück: das stimme so nicht. Vermutlich haben die Journalisten nicht richtig wiedergegeben oder etwas falsch verstanden. Kenne ich aus eigenem Arbeitserleben.

Trotzdem: Schlimmer geht es kaum, die Leserinnen und Leser nehmen es zur Kenntnis. Die etwas ältere Generation zieht automatisch Vergleiche zur Zeit vor der friedlichen Revolution und ich frage mich, warum sich Kolleginnen und Kollegen in den Chefetagen der journalistischen Zunft nicht einmal die Mühe machen und die gleichen Fragen an die Vertreter der Wirtschaft stellen und dabei nicht die Rechtsaußen der Politik, sondern die Linksaußen ins Spiel bringen. All das, was in den zurückliegenden drei Jahren in Deutschland wirtschaftlich passiert ist, sollten sich die politischen Protagonisten in Berlin und Erfurt auf ihre Fahnen und Plakate für die nächsten Wahlkämpfe kleben. Die rote Wirtschafts-Wachstums-Laterne steht doch für grün-linke Wirtschaftspolitik. Meines Wissens ist die AfD nirgendwo an einer Regierung beteiligt.

Aber vielleicht hilft den Vertretern von IHK und Hochschule mal ein Blick in die entsprechenden Programme der Regierenden: So beschreibt zum Beispiel die Linke, immerhin noch Regierungspartei in diesem Ländle, in ihrem Grundsatzprogramm das Ziel ihres Agierens: “Um dies zu erreichen, brauchen wir ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus…Wir kämpfen für einen Richtungswechsel der Politik, der den Weg zu einer grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft öffnet, die den Kapitalismus überwindet.” Auf dem besten Weg dorthin befindet sich dieses Land vermutlich bereits. Mit freundlicher Unterstützung von Teilen der Wirtschaft und Wissenschaft.
Peter-Stefan Greiner