Nordhausen zusammen kündigt weitere Aktionen an

Demokratie passiert nicht einfach so

Donnerstag
21.03.2024, 08:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Im Mai und September werden an den Wahlurnen Richtungsentscheidungen für Nordhausen und für Thüringen getroffen. Jenseits der Parteien will sich dabei auch die Zivilgesellschaft in den Wahlkampf einmischen, das Bündnis "#nordhausen zusammen" hat weitere Aktionen angekündigt...

Im September 2023 lud das hastig zusammengekommende Bündnis #nordhausen zusammen zum Fest für die Demokratie auf den Rathausplatz geladen, für die anstehenden Wahlkämpfe hat man nun weitere Aktionen angekündigt (Foto: agl) Im September 2023 lud das hastig zusammengekommende Bündnis #nordhausen zusammen zum Fest für die Demokratie auf den Rathausplatz geladen, für die anstehenden Wahlkämpfe hat man nun weitere Aktionen angekündigt (Foto: agl)


An einem frischen Vorabend Ende Februar versammeln sich um die 600 Menschen in Sundhausen. Die einen applaudieren in der Festhalle dem Wahlkampf der AfD, die anderen stehen etwas weiter weg in der Kälte und protestieren gegen die Partei, ihre Kandidaten und wofür diese in den Augen der Demonstranten stehen. Zwei Welten, 150 Meter voneinander entfernt.

Dabei sei die AfD nur das Symptom eines tief sitzenderen Problems, das seit Jahren in der Gesellschaft wachse, sagt Melanie Schade, eine der drei Sprecherinnen des Bündnisses „Nordhausen zusammen“, das in Sundhausen zum Protest gerufen hatte. „Der Minimalkonsens in der Gesellschaft zerbricht, wird gebrochen und es wird schlimmer. Wir können und wollen aber nicht zulassen, das dass geschieht und der Kampf dagegen fängt nicht erst bei der AfD an.“

Die Umfrage- und Wahlergebnisse des „Symptoms“ zeigten zuletzt vor allem eine Richtung an: nach oben. Der Aufstieg der AfD scheint unaufhaltsam, warum also kämpfen? Warum nicht einfach die Koffer packen und gehen, das womöglich bald „blaue“ Thüringen, das vielleicht bald „blaue“ Nordhausen hinter sich lassen? Weil man hier zu Hause ist, sagt Stephanie Tiepelman-Halm, ebenfalls Bündnissprecherin. „Natürlich könnten wir unsere sieben Sachen packen, alle nach Leipzig gehen. Aber wenn wir hier das Feld räumen, sieht es dort in zehn Jahren genauso aus. Wir wollen hier bleiben, wollen hier leben. Mein Heimatgefühl steht dem einfach im Weg, ich kann und will meine Heimat nicht dem Rechtsextremismus überlassen.“

Das der Weg der AfD nicht zwingend nur aufwärts führt, das Protest und „Aufklärungsarbeit“ Wirkung entfalten können, dass hat die Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen im vergangenen Herbst gezeigt. Das hastig zusammengeschmiedete Bündnis darf sich durchaus auf die Fahnen schreiben maßgeblich dazu beigetragen zu haben, dass AfD Kandidat Jörg Prophet vom Wahlsieger im ersten Wahlgang zum Wahlverlierer in der Stichwahl wurde. Man hat etwas erreicht, das vielerorts und gerade im Osten des Landes nicht mehr möglich schien und das hat Mut gemacht, nicht nur in Nordhausen. Für einen kurzen Moment waren die Augen der Welt und der Nation auf die kleine Stadt im Südharz und ihre Zivilgesellschaft gerichtet und nun, wo die nächsten Wahlen ihre Schatten voraus werfen, schaut man wieder hin. Bevor das Bündnis heute zum Pressegespräch in die Bibliothek lud, stand man dem Deutschlandfunk über eine Stunde lang Rede und Antwort und aus anderen Ecken des Freistaates kommen Anfragen und Besuche von Menschen, die es den Nordhäusern nachtun wollen.

Ein Patentrezept haben die zwar auch nicht, aber ein paar Ansätze, um das Aufbäumen gegen rechtsextreme Bestrebungen anders anzugehen. Einige der inzwischen auf 60 Mitglieder angewachsenen Vereinigung bringen Erfahrung aus dem „BgR“ dem alten „Bündnis gegen Rechts“ mit. Man weiß, wie es damals lief, man weiß, was man anders machen will. „In den alten Bündnissen sind Institutionen zusammengekommen und das hat man auch nach außen getragen. Wir wollen als Gemeinschaft auftreten, keine Partei, kein Verband, keine Gewerkschaft, kein Verein soll im Vordergrund stehen, es geht um uns als Zivilgesellschaft, darum, als Bürger dieser Stadt etwas zu ändern und anderen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind“, sagt Alexander Scharff, der sich unter anderem im Medienteam des Bündnisses engagiert. Die Filterblasen, in denen sich die Meinungsbildung heute vielfach abspiele, müsse man versuchen aufzubrechen um mit denen ins Gespräch zu kommen, die noch für Diskussionen und andere Sichtweisen offen seien.

Die AfD spricht für sich selbst
Die passenden Kanäle dazu sind über die sozialen Medien vorhanden, das „Wie“ ist aber auch eine Gratwanderung. So befasst man sich im jüngsten Versuch noch einmal mit dem Sundhäuser „Bürgerdialog“ und lässt im Video die Kandidaten der AfD reden. Über Remigration und Pädophilie, Grundwerte, freie Presse, Homosexualität und das Recht auf Asyl. Gänzlich unkommentiert bleiben die Tonmitschnitte aus der Wahlkampfveranstaltung nicht, man schneidet Nachrichtenbeiträge aus den Tagen vor und von der Veranstaltung selbst zwischen und nach die Aussagen. Eine engere Einordnung, warum das Gesagte problematisch sein könnte, will man aber nicht vorgeben. „Die AfD ist viel vorsichtiger geworden in den letzten Jahren, man umschreibt Dinge eher, anstatt sie direkt zu benennen, aber wenn man hinhört, weiß man was eigentlich gesagt werden soll“, meint Katrin Tschernatsch-Göttling, die dritte Sprecherin im Bunde. „Wir wollen denen, die das sonst nicht hören, die Möglichkeit geben, sich ein eigenes Bild zu machen und wir vertrauen auf die Selbstverantwortung des Zuschauers, sich Gedanken zu machen. Man sollte die Leute an der Stelle nicht unterschätzen, wir müssen niemanden bevormunden und sagen, was hier problematisch ist. Die AfD spricht für sich selbst, wer hinhört, erkennt die Kontraste.“

Drei Leute aus den eigenen Reihen hat man im Saal sitzen, zwei stehen gegen Ende der Veranstaltung auf, zeigen eine Regenbogenflagge und sagen einen Satz: „Für die Freiheit, komm.“ Auch das ist im Video festgehalten und die Reaktion im Saal, - „schwule Schweine“ und „Faschisten“ wird gerufen, dann wird geschubst. Der dritte im Bunde bleibt still im Saal sitzen, beobachtet die Reaktion seiner Mitmenschen und zieht seine eigenen Schlüsse. „In einem Moment konnte ich mit den Leuten Gespräche führen als wären es Nachbarn im nächsten Moment kommt Höcke herein und ich fühle mich an den Geschichtsunterricht erinnert, das war erschreckend“, sagt der junge Mann heute, der lieber anonym bleiben möchte.

Mit wem kann man reden und wer ist nicht mehr zu erreichen? Auch darüber denkt man nach. Dialog, da ist man sich im Bündnis sicher, braucht es. Ansprechen möchte man gerne die Gesellschaft als Ganzes und nicht nur in Nordhausen, deswegen auch die Präsenz auf YouTube und Co. Darüber hinaus plant man für die kommenden Wochen und Monate aber auch analoge Aktionen jenseits des Netzes. Am 25. Mai, einen Tag vor der Kommunalwahl, will man an das Bürgerfest aus dem letzten Herbst anknüpfen um noch einmal für den Urnengang zu sensibilisieren. Außerdem plane man eine Nicht-Wählerkampagne sowie eine Flyeraktion.

Die bisher größte Demonstration mit knapp 2.500 Teilnehmern hatte man Ende Januar nach bekanntwerden der „Correctiv“ Recherchen auf die Straße bringen können, ein sichtbarer Erfolg für „Nordhausen zusammen“, aber wie auch die Aktionen im September, kein Leichtes, meint Scharff. „Wir sind inzwischen ganz gut darin geworden, in kurzer Zeit Veranstaltungen zu organisieren, der Kommunalwahlkampf wird aber nochmal ein ganz anderes Spielfeld“. Der wird nicht nur in der Stadt, sondern auch in der Breite des Kreises ausgetragen und dahin reichen die Fühler des Bündnisses nur bedingt. „Wir sind in Nordhausen glaubhaft, weil wir von hier kommen. Ich muss nicht vier Nordhäuser nach Lipprechterode oder Kraja schicken, um den Einwohnern zu erklären, was Sache ist. Das muss aus den Ortschaften und ihrer Einwohnerschaft selber kommen. Im Gemeinderat, beim Kaffeekränzchen, im Verein oder dem Seniorenheim. Da passiert Dialog und da herrscht Vertrauen“, so Scharff weiter. Anzeichen dafür, dass das auch geschieht gibt es, auch ein „Bleicherode zusammen“ gibt es inzwischen und Signale höre man auch aus Ellrich und anderen Orten, bis hin nach Sondershausen.

Wie die Sache ausgeht, ob das Engagement am Gesamtgefüge etwas ändert oder der Hoffnungsschimmer der OB-Wahl nur ein aufflackern war, weiß man nicht. Infratest dimap hat den Finger nicht am Puls der Nordhäuser Wählerschaft. Sicher ist, dass Bündnis wird in seinem Selbstverständnis als Zivilgesellschaft bei den Wahlen in diesem Jahr hörbar mitreden wollen. Und das ist zu begrüßen, denn wie heute aus jenen Reihen zu vernehmen war, Demokratie passiert nicht einfach so.
Angelo Glashagel