Wiederauferstehung für die Bleicheröder Synagoge

Es war einmal ein Gotteshaus

Freitag
15.03.2024, 08:00 Uhr
Autor:
red
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Auch im kleinen Bleicherode blühte einst das jüdische Leben inmitten der Gesellschaft. Ende des 19. Jahrhunderts lassen sich die Bleicheröder Juden eine prächtige Synagoge bauen. Gute 40 Jahre prägt sie das Ortsbild, ehe sie in der Pogromnacht angezündet und dem Erdboden gleich gemacht wird. Der Tempel soll nun im Modell wieder auferstehen...

Die alte Bleicheröder Synagoge kehrt als Modell zurück (Foto: agl) Die alte Bleicheröder Synagoge kehrt als Modell zurück (Foto: agl)

Wenn man sich die wenigen verbliebenen Bilder der Bleicheröder Synagoge ansieht, könnte man der Meinung sein, auf ein Jahrhunderte altes Gebäude zu blicken - wuchtig sind die Türme, die Form gedrungen und kraftvoll. Tatsächlich wurde das Gotteshaus erst 1882 eröffnet und bewusst im Stile von Neogotik und Neoromanik gebaut.

Über 140 Jahre wäre immer noch ein ansehnliches Alter, wenn der Tempel denn noch stehen würde. Wie auch im benachbarten Nordhausen wurde die Synagoge der Bleicheröder in der Pogromnacht 1938 von den Nationalsozialisten angezündet und brannte aus. Die Beseitigung der Trümmer muss die Gemeinde mit dem Verkauf des Grundstücks an die Stadt Bleicherode selber zahlen.

Juden gibt es in Bleicherode heute keine mehr. Was geblieben ist, sind die Erinnerungen der Alten, erzählt Kai Hartmann, die eigene Mutter habe noch in den Trümmern gespielt aber spätestens in seiner Generation sei die Existenz des Hauses und der Bleicheröder Juden, von dem 1988 eingeweihten Gedenkstein einmal abgesehen, kaum mehr präsent.

Hartmann ist Holzbildhauer und wurde jüngst damit beauftragt, die alte Synagoge im Modell wieder auferstehen zu lassen. Keine alltägliche Arbeit für den Künstler, die akkurate Darstellung des Baus in seinen Details bringt ungewohnte Herausforderungen mit sich. Und sie fördert auch Details zu Tage, die ein neues Licht auf die alte Gemeinde und ihr Leben werfen, weiß Dr. Marie-Luis Zahradnik zu berichten.

v.l.: Holzbildhauer Kai Hartmann, Dr. Marie Lius-Zahradnik und Joachim Heise vom Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" (Foto: agl) v.l.: Holzbildhauer Kai Hartmann, Dr. Marie Lius-Zahradnik und Joachim Heise vom Verein "Gegen Vergessen - Für Demokratie" (Foto: agl)

Die jüdische Gemeinde in Bleicherode formt sich im Laufe des 16. Jahrhunderts, man hat es nicht weit, viele kommen aus Obergebra und Sollstedt in die aufstrebende Stadt. Im 19. Jahrhundert steigt die Zahl der Mitglieder auf über 160 Personen und im traditionellen Betraum in der Alten Kanzlei, kaum größer als Hartmanns Holzwerkstatt heute, wird es eng. Man hatte Fuß gefasst, schon 1728 wird am Vogelberg ein Friedhof eingerichtet, nun wird der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus immer größer. „Das Anwachsen der Gemeinde machte seit längerer Zeit den Bau einer größeren Synagoge zum dringenden Bedürfnis. Der Wunsch jedoch, daß das neue Gotteshaus ein monumentaler und auch im Inneren in würdiger Weise ausgestatteter Bau werde“, resümierte Michaelis Herzfeld, Bleicheröder Fabrikant und einer der führenden Köpfen der neuzeitlichen Gemeinde, anlässlich der Grundsteinlegung 1880.

Für den Bau kann man Edwin Oppler gewinnen, ein Stararchitekt seiner Zeit, erfahren auch im Bau jüdischer Tempel. Unter anderem deswegen nahm man lange an, die Bleicheröder Synagoge habe die gleichen Maße besessen wie ihr Schwesterbau in Hameln, berichtet Historikerin Zahradnik, beim genaueren hinsehen habe man aber einige Unterschiede erkannt. „Die jüdische Gemeinde war trotz aller Wünsche nicht finanzstark genug, um den Bau aus Hameln kopieren zu können, man musste schon aufgrund der örtlichen Gegebenheiten neu und anders planen und das ging ins Geld. Interessant ist, wo gespart wurde. Statt den Bau an sich größer zu gestalten und sich dafür bei den Türmen etwas zurückzunehmen tat man genau das Gegenteil - die Türme sollten größer werden. Statt sieben Eingangsstufen gibt es hier nur drei, da spart man auch ein Geländer. Ähnliches passiert im Innenraum, Funktionalität bekommt Vorrang vor Schmuck“.

Das Innere der Syngagoe weicht von der Tradition ab (Foto: agl) Das Innere der Syngagoe weicht von der Tradition ab (Foto: agl) Gerade die Gestaltung des Innenraums gibt den Experten Einblicke in das Selbstverständnis der Gemeinde. Die überlieferte Orthodoxie hatten ihren Platz - Männer und Frauen etwa mussten getrennt voneinander sitzen, die Damen gelangten über Eingänge an den Türmen auf ihre Empore, die Herren nahmen unten Platz - aber in zentralen Elementen ging man neue Wege, die zum Teil an den evangelischen Ansatz der christlichen Nachbarn erinnerten. Das Allerheiligste findet sich im Bleicheröder Tempel nicht wie üblich in der Mitte des Raumes, Lesetisch, Kanzel und Toraschrein sind gemeinsam am Kopfende angeordnet. Der Fokus der Gemeinde habe weniger auf dem fernen und für viele nahezu unerreichbaren Jerusalem gelegen, sondern auf sich selbst und dem eigenen, geistigem Zentrum, erläutert Dr. Zahradnik, neues Denken, das in den europäischen Gemeinden des 19. Jahrhunderts noch nicht weit verbreitet ist. „Der Bau einer Synagoge war von enormer Bedeutung für eine Gemeinde, den so ein Tempel hat nicht nur eine religiöse Funktion, wo eine Synagoge ist, da ist meist auch eine Schule und damit Lehre und Bildung.“

Der Bildung soll nun auch der Modellbau dienen. Die Synagoge en miniature ist mobil und wird nicht hinter den allzu oft verschlossenen Türen der Alten Kanzlei verschwinden, versprechen die Organisatoren des Projektes vom Verein „Gegen Vergessen - Für Demokratie“. Vielmehr will man das kleine Gotteshaus in Bleicherode auf Reise schicken. Anlässlich der Jüdisch-Israelischen Kulturtage wird das fertige Modell erstmals am 24. März um 14 Uhr im Kulturhaus enthüllt, danach wird man das Holzkunstwerk auch in der St. Marien-Kirche und auf Wunsch auch in den Bleicheröder Schulen bestaunen und nutzen können.

Die nötigen Vorlagen hat man in Berlin, Hannover und Israel ausfindig gemacht (Foto: agl) Die nötigen Vorlagen hat man in Berlin, Hannover und Israel ausfindig gemacht (Foto: agl)


Das nötige Kleingeld hat der Verein über das Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ aufgebracht, neben dem Modell wird es dank der Unterstützung auch eine bebilderte Broschüre geben, welche die Forschungs- und Rechercheergebnisse zusammenfasst. Bevor das fertige Werk aber der Öffentlichkeit übergeben wird, fehlt noch ein kleines Finish: eine sogenannte „Mesusa“. „In dem Modell wird eine Erinnerung an das Projekt und seine Mitwirkenden eingefügt und „versteckt“. Es ist nicht nur Brauchtum eines „Bauherren“ eine Erinnerungskapsel zur Grundsteinlegung zu setzen, sondern auch im Judentum gibt es diesen Brauch und der heißt „Geniza“, auf deutsch bedeutet das „Lager“ oder „Versteck“. Eine „Mesusa“ ist eine kleine Kapsel, die z. B. an jüdischen Häusern angebracht wird, um Glück und Frieden zu erhalten, dies trifft auch für jeden zu, der daran vorbei geht und diese „Kapsel“ berührt. Das soll unser „Geniza“ werden, besonders in der Hoffnung, dass es dem Modell und seinem zukünftigen Betrachtenden Glück und Frieden bringe.“, sagt Dr. Zahradnik.

Eine letzte Kleinigkeit fehlt noch: die "Mesusa" (Foto: agl) Eine letzte Kleinigkeit fehlt noch: die "Mesusa" (Foto: agl)

In dem kleinem Behältnis wird ein Zettel mit Unterschriften der Mitwirkenden aufbewahrt. Auf dem Zettel steht zudem ein entlehnter jüdischer Segenswunsch: „Wir wünschen dem Modell und seiner Zukunft ein gutes Licht, in dem viele Menschen zu Hause sind, und das nicht müde wird, Liebe zu üben und Schuld zu verzeihen.“
Angelo Glashagel