Ulf Zaspel erzählt eine Legende

Die Sage vom Bauerngraben

Montag
15.01.2024, 18:17 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Der Bauerngraben, auch periodischer See oder episodischer See im Südharz, ist schon etwas Besonderes: ein See, der entsteht und vergeht. Da können nur höhere Mächte ihre Hand im Spiel haben, sagte man. Die Wissenschaft meint, es wären Karsterscheinungen, aber die Sage weiß es so...

Hintergrund ist die Wassernixe Agnes, ein Wesen, welches den Bauerngraben beseelt. Einst war er ein ganz normaler See. Der Ort Agnesdorf wurde nach dieser Nixe benannt. Folgendes soll sich vor undenklichen Zeit zugetragen haben:

Nachdem der Herr die Welt erschaffen hatte ruhte er bekanntlich. Vorher stellte er jedes Gebirge unter den Schutz eines besonderen Geistes. Im Riesengebirge war dies Rübezahl, im Harz ist es der Harzgeist, der über das schöne Gebirge wachet.

Kein Tier und keine Pflanze kann ohne Wasser leben. Quellen und Gewässer sind von je her heilig. Seine Töchter betraute der Harzgeist mit der Pflege der Gewässer. Seine ihm sehr liebe Tochter Agnes mit der Wacht über den Bauerngraben, welcher vorzeiten ein ganz normaler See war, mit fast immer gleichem Wasserstand.

Agnes war eine Wasser-Fee, welche mit der Natur im Einklang lebte. Die wenigen Menschen in ihrer Gegend hatten durch das Wasser ein gutes Auskommen. Sie half allen Tieren und Menschen, welche in Not gerieten. Verletzte sich ein Tier, so heilte sie es mit ihrer Zauberkraft und Heilkunst. Einer ihrer Heilsprüche wurde sogar aufgeschrieben. Es ist der zweite Merseburger Zauberspruch zur Heilung von Gelenkverletzungen, welcher im Merseburger Dom noch gelesen werden kann.

Jeden Tag bei Sonnenaufgang saß die Nixe Agnes auf dem hohen Felsen am Südrande des Bauerngrabens. Bei den ersten güldenen Sonnenstrahlen kämmte sie ihr güldenes Haar mit einem güldenen Kamm. Manche sagen auch, es war ein Kamm von reinem weißen Bergkristall. So ging die Zeit ins Land.

Einst kam auch der Teufel mit seinen Spießgesellen und seiner Hexenbande auf der Suche nach einer neuen Heimstadt in den Harz. Der Harzgeist gestattete ihnen, den Brocken zu bewohnen. Mit der Bedingung, die übrigen Bewohner und Geister des Harzes nicht zu stören. Oben auf dem Brockengipfel war die Teufelsbrut weit weg von den übrigen Leben im Harz.

Mit der Zeit siedelten sich immer mehr Menschen im und am Harz an. Im Süden des Harzgebirges legten die Menschen die Auen der Zorge und Helme trocken und fingen an, sich anzusiedeln. Hier entstand die güldene Aue, welche wir heute noch als goldene Aue kennen.

Die Menschen buken Brote und hatten ein gutes Auskommen. Mit der Zeit brauten sie Bier und später ein berauschendes Getränk, manche sagen der Teufel hatte dabei die Hände im Spiel, denn man spricht noch heute vom Teufel Alkohol.

Die Teufelsbande hatte bald heraus bekommen, wie gut es sich in den Schenken in und um Nordhausen feiern lässt. Sie kam oft vom Brocken nach Nordhausen geflogen, zechte bis tief in die Nacht. Nur zur Geisterstunde zog sie sich auf den Brocken zurück.

Einstmals aber ging die Zecherei zu lange. Die Geisterstunde war schon lange vorüber. Die Sonne schaute schon hinter dem Horizont hervor, schickte ihre ersten güldenen Strahlen. Als der Teufel dies sah, rief er schnell seine Bande herbei. Doch diesmal lag man falsch, flog in Richtung Sangerhausen.

Auf der Höhe des Bauerngrabens bemerkte der Leibhaftige den Irrtum. Laut krachend, einem Feuerschweif hinter sich her ziehend, wechselten sie ihre Richtung Brocken mit lautem Getöse.

Die gute und stille Wassernixe Agnes, die gerade auf dem Felsen saß und ihr Haar kämmte, bekam einen riesigen Schreck. Aufschreiend warf sie ihren Kamm von sich, fiel in das Wasser des Bauerngrabens, tauchte unter den Grund des Sees. Mit sich nahm sie das gesamte Wasser. Der See war trocken.

Die Teufelsbande flog weiter zum Brocken. Der Harzgeist erlaubte ihnen aber nur noch zu Walpurgis den Brocken zu verlassen. Deshalb sieht man nur noch in der wilden Walpurgisnacht Hexen und Teufel auf dem Brocken tanzen.

Die vielen kleinen Vertiefungen rund um den See aber, die die Wissenschaft für Erdfälle hält, seien in Wirklichkeit Grabungslöcher von Menschen und Geistern, welche den güldenen Kamm der Wassernixe Agnes suchen. Doch nur ein Sonntagskind mit reinem Herzen, welches den 2. Merseburger Zauberspruch in Originalsprache aufsagen kann, wird den Kamm der Nixe Agnes finden. Hier die ersten Worte des Zauberspruches im Original:

Phôl ende Wuodan fuorun zi holza.
dû wart demo balderes folon sîn fuoz birenkit....

Phol und Wotan ritten in das Gehölz.
Da wurde dem Balders-Fohlen sein Fuß verrenkt....

Lange war der Bauerngraben völlig trocken, doch von Zeit zu Zeit war wieder Wasser im See. Dann stieg die Wassernixe Agnes aus ihrem Reich unter dem Seegrund auf und schaute, ob wieder Ruhe in ihren Gefilden herrscht. Sieht sie laute und lärmende Menschen, so steigt sie wieder herab und das Wasser folgt ihr.
Ulf Zaspel