Spurensuche in der Geschichte

Der Stollenbau im Kohnstein

Sonntag
14.01.2024, 11:17 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Heute kann ein kleiner Teil der Stollen im Kohnstein besichtigt werden, die über die KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora dankenswerterweise museal erschlossen worden sind. Doch wie sind diese Stollen ursprünglich entstanden? Ein Abriss …

Das Gipswerk Niedersachswerfen am Kohnstein bei Nordhausen war ein unselbständiger Betriebsteil der Leuna-Werke, die seinerzeit zum Ammoniakwerk Merseburg und der BASF gehörten. In den 1920-er Jahren wurde begonnen, Abbau- und Lagerstollen zu bauen, die zunächst als Reichsreservelager, ab 1943 schließlich zu „bombensicheren“ Produktionsstätten für sog. Vergeltungswaffen der Nazis unter massivem Einsatz von Zwangsarbeit umgewandelt und betrieben worden sind.

Die Entstehung dieser Stollen lässt sich bis 1945 in 4 Phasen aufteilen. Bereits in den 1920-er Jahren wurden Lager- und Abbaustollen angelegt. Deren Länge betrug bereits bis 200m bei diversen Firsthöhen bis zum Jahr 1936 (Phase 1). Darin gewann man Material und konnte es siloartig im Berg bevorraten.
Das damalige Reichskriegsministerium trat einem Gedanken näher, Treibstofflager in solchen Kammern einzurichten. Die Idee dazu kam aus Niedersachswerfen, die der damalige Leiter des Gipswerkes, Dr.-Ing. Max Guillaume, entwickelte. Die Kalkulation war einfach. Zusätzlich zum Verkaufserlös des Materials wurden Einnahmen für den Bau der Stollen und Kammern generiert. Bzw. konnten die Leuna-Werke den Rohstoff Anhydrit vergünstigt beschaffen, der dort zu Düngemitteln oder auch Material für Sprengstoffe weiterverarbeitet wurde.

Dabei sollte im Lagerprojekt nicht nur an Fässer gedacht werden, sondern man experimentierte mit speziell ausgekleideten Betonbehältern, die zunächst nicht hinreichend erfolgreich mit Igelitfolie ausgekleidet worden waren. Dann kam es zum ersten Auftrag für Lagerstollen des Reiches (geheim), der 16 Lagerkammern bis 1937 umfasste (Phase 2).

Für das eigentliche Lagerprojekt mit 20.000 t Kapazität für Treibstoffe waren 12 Kammern bei 4 Zugangsstollen geplant. Der Auftrag „Sachsenberg“ mit 250.000 cbm wurde über die WIFO abgewickelt, auch die Lagerungsversuche wurden diversifiziert. Nunmehr auf Basis von Eisenbetonbehältern mit Beschichtungen, u.a. aus Ton und Material der Agfa Bitterfeld. Die Arbeiten wurden mit 280 Mann, Ausrüstung und dreischichtig begonnen. Die 12 Kammern selbst waren mit 166m Länge, einer Breite von 12m und einer Höhe von 6m geplant worden. Die Fahrstollen A und B kamen mit 535m Länge, 9m Breite und 6m Höhe hinzu.
Es folgte ab März 1937 unmittelbar die Phase 3, die zusätzliche 27 Lagerkammern umfassen sollte und diverse Neuprofilierungen vorsah.

Das Vorhaben wurde seitens der SS bewacht, eine SS-Wache wurde ab Juli 1937 im Gebäude Ni.47 untergebracht. Logistisch waren die Arbeiten mittels Schmalspurbahn mit 7 Dieselloks im Berg, 5 Dampfloks im Betriebsgelände, Bewetterung, Raupenbaggern usw. unterstützt. Die Ausbruchsmasse wurde mit 5,48 Reichsmark je cbm bezahlt. Auch Fremdarbeiter wurden eingesetzt, 1940 16 Italiener, bereits 1941 sollen es 46 Mann gewesen sein. Die Zahl der eingesetzten Zwangsverpflichteten stieg auf rund 300 Personen (1944, Geilenbergprogramm, B11) an. Desweiteren wurden viele Häftlinge (Tausende!) aus dem KZ Mittelbau-Dora und seinen Außenlagern (Hans, Harzungen) in den Vorhaben des Gipswerkes, wie B11, eingesetzt.

Eine 4. Phase kann ab 1944 abgeleitet werden als große, neue Verlagerungsvorhaben, wie B11, B17 und B12 (Jäger-/Rüstungsstab) für Benzin, Flüssigsauerstoff, Räume, Fluggerät (Junkers), Raketen (B3), medizinische Einrichtungen usw. erbaut werden sollten. Die SS unter Leitung von Dr. Hanns Kammler leitete und kontrollierte über „Führungsstäbe“ an und rechnete insbesondere die Leistungen darüber ab. Häftlinge aus dem KZ Mittelbau wurden also massiv hinzugezogen, so dass beispielsweise ein Trupp von 4 Mann aus den Firmen etwa um 10 Häftlinge ergänzt worden ist. Übergabe der Häftlinge für das Bauvorhaben B11 fand vor dem Stollen (wahrscheinlich: Grenzstollen-d.A.) oder auf dem damaligen Platz an der Zorgebrücke statt. Hier sei exemplarisch das Vorhaben B11 am Kohnstein noch weiter skizziert: Im Vorhaben B 11 sollten plangemäß vom Juni 44- Januar 45- 40 Kammern und Stollen mit ca. 50.000 qm fertig gestellt sein.

Die Planungen mutierten in eine leiterartige Struktur mit insgesamt 90 Kammern á max. 65 Meter Länge, einer Kammerbreite von 12,5 Metern bei einer Höhe bis zur Kammersohle von 9,8 Metern, drei Haupterschließungsstollen, 13 Zugangsstollen (Gesamt). Die nutzbare Fläche gesamt sollte rund 101 000 Quadratmeter betragen, davon waren 12 700 Quadratmeter Verkehrsfläche. Diese Planungen konnten nur teilweise umgesetzt werden. Die erforderliche Mittelbereitstellung erfolgte zwar durch den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion über einzurichtende Konten, die Beauftragung und Abrechnung sollte aber weitgehend den Bauleitungen vor Ort überlassen bleiben. Zwischenprüfungen übernahm die Preisprüfungsstelle der Amtsgruppe C im Wirtschafts-Verwaltungshauptamt der SS.

Deren Chef war Dr. Kammler. Die Finanzierung dieser Bauvorhaben erfolgte also ausschließlich aus Reichsmitteln, und dazu wurde ein besonderes Konto „Ni B 11“ bei der Deutschen Länderbank AG Berlin eingerichtet. Der SS-Führungsstab B 11 forderte monatlich für das Bauvorhaben „Ku I B 11“ von der Kontingent- und Rechnungsstelle der SS-Sonderinspektion die finanziellen Mittel an, die sich in der Größenordnung von sieben bis zehn Millionen Reichsmark bewegten. Die Anlage Kuckuck war auf 150 Millionen Reichsmark veranschlagt. Der SS-Führungsstab hatte gemeinsam mit der Bauleitung Fricke (Architekt Wilhelm Fricke) gemeinsam das Postschließfach Nr. Halle/Saale 2) 1504/B11.

Aus der Zeichnung der Benzinspaltanlage kann man mehrere Maschinenräume (Kammern), Kompressoren, Destillationsraum, Ofenhäuser, Pumpenhäuser, Kammern für Elektroversorgung, für Benzinwäschen und Reinigung, Mischhäuser, Wasseraufbereitung und Betriebsüberwachung erkennen. Nach einem Plan sollten die Kuckuck-Aggregate für die Treibstoffherstellung im Berg in der Vertikalen bis 15 Meter hoch und mit Steigleitung bei 39 Metern liegen, wobei offenbar die Produktleitung durch einen Kanal im Berg bis auf 60 Meter Höhe geführt werden sollte. Vorgesehen waren u.a. Stollen für den Einbau von Büros und Sozialräumen, Küchen, Ambulanz-Klinik sowie eine Anzahl Lagerstollen. Die erprobte Technologie des Ausbruches der Stollenanlagen sah vor, dass der Vortrieb an einer Arbeitsstelle von einem Sprengmeister, vier Bohrern, einem Baggerführer, einem Lokfahrer und Rangierer mit Hilfskräften im Akkordsystem durchzuführen war. Gearbeitet wurde in drei Schichten.

Bis zum Kriegsende 1945 konnten die Phase 4 nicht fertig gestellt werden. Abbaubedingt ist heute von diesen Anlagen (B11) fast nichts mehr vorhanden. Die hier nur lückenhaft ausgeführten Darstellungen zu den 4 Phasen des Stollenbaus im Kohnstein lassen sich bspw. mit einem Besuch der KZ Gedenkstätte Mittelbau-Dora vertiefen. 


Tim Schäfer