Aus dem Alltag einer Handwerksfirma

Ein Leben über den Dächern der Stadt

Dienstag
09.01.2024, 17:22 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Ein Dienstagmorgen Anfang Januar, Baubesprechung bei der Dachdeckerei Lars Etzrodt. Heute geht es um ein Aufmaß auf einem Wohnblock. Mieter haben eindringendes Wasser in ihren Wohnungen festgestellt...

Arbeiten unter freiem Himmel bei jedem Wetter: Dachdecker und Dachdeckerinnen  (Foto: C.Wilhelm) Arbeiten unter freiem Himmel bei jedem Wetter: Dachdecker und Dachdeckerinnen (Foto: C.Wilhelm)

Schnell geht es durch den Hausflur nach oben. Noch ein paar Schritte auf der Dachleiter und dann bei klirrender Kälte hinaus auf die noch gefrorene Dachfläche. Heute weht kein starker Wind. Und die Sonne steigt gerade am Himmel auf.

Die Dachabdichtungsbahn ist in die Jahre gekommen und muss kurzfristig in großen Teilen durch eine Sanierungsbahn ersetzt werden. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Hinzu kommen noch einige Schornsteinanschlüsse und kleinere Reparaturen, die bei der Begehung ins Auge fallen. Auch die Lichtkuppel ist defekt und muss getauscht werden, damit sie im Ernstfall funktioniert und kein Wasser ins Gebäude gelangt. Dachdeckermeister Lars Etzrodt nimmt seinen Zollstock und vermisst die Dachfläche. „Da kommen schon einige Quadratmeter an Fläche zusammen“, stellt der Handwerksmeister fest.

Es sind die ersten Tage im neuen Jahr, aber ein Auftragsmangel ist bisher nicht zu beklagen. Ganz im Gegenteil. Im Anschluss an diesen Termin geht es gemeinsam mit zwei Kollegen in das benachbarte Sachsen-Anhalt, wo schon eine neue Baustelle wartet: „Bei dieser Witterung kann ich, sofern die Kälte nicht zu extrem ist, zumindest eine Schieferfassade sanieren. Ich habe solche Arbeiten aber bereits im vergangenen Jahr entsprechend für die Winterzeit mit eingeplant“, verrät Etzrodt. Auf dem Steildach ist es derzeit noch zu gefährlich. Selbst, wenn man die Dachfläche aufnehmen könnte. „Das geht erst, wenn der Schnee weg ist und keine Minustemperaturen mehr herrschen. Denn Sicherheit geht immer vor.“

Gemeinsam mit seiner Partnerin Cornelia Wilhelm gründete Lars Etzrodt vor knapp 20 Jahren die Firma und auch wenn es Höhen und Tiefen gab möchte das Paar seinen Beruf nicht missen. Cornelia studierte Finanzwirtschaft und Journalismus und absolvierte noch eine Ausbildung zur Bausachverständigen. So kann sie in fachlichen Dingen immer mitreden und wird unter ihren männlichen Kollegen akzeptiert. Auch bei der Arbeit auf dem Dach steht sie ihren Kollegen in nichts nach und möchte auch keine Extrabehandlung. Wenngleich sie als Frau im Handwerk mehr eine Seltenheit ist.

Die Personal- und Nachwuchssorgen fangen aber schon bei der Ausbildung an und betreffen keinesfalls nur die weiblichen Fachkräfte. Seit Jahrzehnten besteht das Problem, dass immer weniger Jugendliche in Deutschland ins Handwerk gehen. Sie studieren lieber BWL, Lehramt oder Medienwissenschaften. In diesem Jahr haben wir Millionen Studierende in unserem Land. Und dieser Trend dürfte sich wohl in den nächsten Jahren fortsetzen. Zudem steigt zunehmend der Teil der Bevölkerung, der überhaupt keinen Berufsabschluss hat.

„Viele Kollegen aus dem Handwerk suchen eine Nachfolge und finden niemand. Mehr als 200.000 Stellen in Handwerksberufen bleiben unbesetzt. So viele wie noch nie. Es fehlen Bäcker, Tischler, Klempner und natürlich auch Dachdecker. Die Suche nach dem Nachwuchs gestaltet sich zunehmend schwieriger, weil sich niemand mehr die Finger schmutzig machen möchte oder die Eltern ihre Kinder nach Abschluss der Schulausbildung darauf drängen, eine kaufmännische Ausbildung zu machen, bei der sie dann später schön im Trockenen sind“, erklärt die Dachdeckerin.

So kommt es oft zu monatelangen Wartezeiten, bis der Handwerker die Zeit findet, die beauftragten Reparatur- und Sanierungsleistungen durchzuführen. Das stößt bei einigen Kunden dann auch mal auf Unverständnis. Dabei kann sich laut Bildungsforschung jeder dritte Schulabgänger auch eine Ausbildung im Handwerk gut vorstellen.

Zurück zur Arbeit im Dachdeckerhandwerk. Als typischer Männerberuf ist exemplarisch das Handwerk des Dachdeckers stärker vom Fachkräftemangel betroffen als andere Berufe. „Hinzu kommt, dass die Preise für das Material in den letzten Jahren gestiegen sind und wir die Kosten natürlich auf die Kunden umlegen müssen“, resümiert Wilhelm. Selten beschwere sich jemand und die meisten Kunden seien froh, wenn überhaupt jemand kommt. Auch, wenn dies manchmal mit einigen Monaten Wartezeit verbunden sei.

„Das Handwerk befindet sich in einer schwierigen Lage und ist auf Dauer nur zu retten, wenn es gelingt, auch mehr Frauen von der Vielseitigkeit der unterschiedlichen handwerklichen Berufsbilder zu überzeugen“, ist sich Wilhelm sicher. Zudem sollte die körperliche Arbeit wieder mehr Wertschätzung erfahren. „Schon die Kinder in der Schule sollten wissen, dass auf dem Dach nicht die Idioten sind, die es nicht geschafft haben.“
Olaf Schulze