Sperrung der B4

Zorn für Zehntausend

Donnerstag
21.09.2023, 21:41 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Die Vertreter der Thüringer Landesamtes für Bau und Verkehr hatten heute keine dankbare Aufgabe: sie sollten die Bauarbeiten an der B4 zwischen Krimderode und Niedersachswerfen erklären und sahen sich wenig amüsierten Anwohnern und anderweitig Betroffenen gegenüber…

In Krimderode haben die Arbeiten an der B4 begonnen (Foto: agl) In Krimderode haben die Arbeiten an der B4 begonnen (Foto: agl)

In Niedersachswerfen ist man sauer. Der Kunden- und Besucherstrom aus der Kreisstadt ist versiegt, denn die Bauarbeiten an der B4 haben den Zugangsweg in den Ort abgewürgt. Eine Umleitung gibt es freilich, doch die ist gute 20 Kilometer lang.

In Petersdorf ist man sauer. Hier führt besagte Umleitung entlang, die ersten Auswirkungen, sagt Ortsteilbürgermeister Jens Karnstedt, sind schon jetzt zu sehen. Das Nadelöhr in der Dorfmitte durfte bis vor kurzem kein Laster passieren, jetzt rauschen die Lkw hindurch. Wenn sie nicht im Stau stehen.

In Buchholz, Stempeda und Rodishain ist man sauer. Hier steht man in jenem Stau, der auch die Petersdorfer ärgert. Hinzu kommt, dass man gerade ein déjà vu erlebt - den gleichen Ärger, die gleichen Entschuldigungen und Erklärungen hat man schon vor einem Jahr gehört, als die Iberg-Brücke generalüberholt wurde und sich keine Alternative zur Vollsperrung fand.

Im Landratsamt ist man sauer, weil Anmerkungen und Wünsche, die man der Stadt Nordhausen gemeldet hat, scheinbar ihren Weg nicht bis zum Landesamt gefunden haben. In der Lebenshilfe ist man sauer weil die Schützlinge aus dem Norden des Kreises, die in den Werkstätten arbeiten, nun lange Wege in die Stadt haben. Wege die vom Landkreis bezahlt werden müssen. Die Krimderöder sorgen sich derweil um die Zugänge zu ihren Grundstücken und die Sicherheit für Kindergarten und Schule.

Und das zuständige Landesamt? Kann nicht anders.

Nach Recht und Gesetz
Zu beneiden waren die drei Herren aus dem Amt nicht, die heute in Hochstedt zum Ausschuss für Ortsteile geladen waren, um die Lage rund um die Baustelle zu erklären. Claus Schneemann, der Zuständige für die Region Nord, versuchte es mit Fakten: die Sanierung der B4 steht schon lange im Plan, man arbeitet sich nach der Grimmelallee stetig gen Norden in Richtung Landesgrenze vorwärts. Die Arbeiten sind nötig, um die Bundesstraße in Schuss zu halten, die letzte Sanierung war 2010, davor 1995 mit einem kurzen Intermezzo für kleinere Reparaturen. Für derlei Verkehrssicherung ist man von Bundes wegen zuständig und verpflichtet. In diesem Jahr wird man die Arbeiten bis an den Ortsausgang führen, nach der Winterunterbrechung geht es 2024 weiter nach Niedersachswerfen. Erst 2025, so die aktuellste Planung, wird man sich mit dem Abschnitt vom Grenztriftweg bis zum Beethovenring befassen.

Soweit, so gut. Das Problem sind nicht die Bauarbeiten an sich, es ist die Vollsperrung. Dem Blutkreislauf des Nordhäuser Verkehrs wird eine Hauptschlagader abgeklemmt, an der rund 10.000 Menschen hängen. Und im Landesamt weiß man das, jeden Tag passieren 15.000 Fahrzeuge den neuralgischen Punkt, Verkehr der nun 20 Kilometer Umweg in Kauf nehmen muss oder ganz weg bleibt.

Warum aber die Vollsperrung? Noch einmal Schneemann, noch einmal die Fakten. Man kann, man darf nicht anders. In Krimderode fließt links der Fluss und rechts erheben sich nach der Wohnbebauung steile Hänge. Dahinter kommt dann zwar freies Feld aber gewonnen hat man dadurch nichts, denn die Straße ist nicht breit genug. Ein halbseitige Sperrung erlaubt das Gesetz erst ab einer Fahrbahnbreite von 8,5 Meter. Zwischen Niedersachswerfen und Nordhausen sind es gerade mal 6,3 bis 6,4 Meter.

Also umleiten, aber wo entlang? Auf Straßen, die für eine solche Verkehrslast ausgelegt sind, sprich die Landesstraßen. So will es das Gesetz. Der Feldweg hin zum Sachswerfer Freibad eignet sich nicht, schon gar nicht für 15.000 Fahrzeuge, geschweige denn Schwerlast. Außerdem kommt der Weg direkt an einer der problematischen Stellen heraus, einem Erdfall, der die Fahrbahndecke abgesenkt hat und dringend in Augenschein genommen werden muss. Auch in der Parkallee sieht man Probleme, hier steht dichter Baumbewuchs, es gibt keinen Platz zum ausweichen, aber die Problematik steht noch in der Zukunft.

Dann wenigstens länger auf der Baustelle arbeiten, die Not so kurz wie möglich halten? Geht auch nicht, die Bundesverträge sehen kein Zwei- oder Dreischichten-System vor und Nachts könne man ohnehin im städtischen Umfeld nicht bauen, da blockiert der Lärmschutz.

Ausschusssitzung in der Alten Schmiede in Hochstedt (Foto: agl) Ausschusssitzung in der Alten Schmiede in Hochstedt (Foto: agl)

Der Zorn
Antworten hat man derlei viele, sie erfreuen in Hochstedt nur leider niemanden. Ricardo Roßmell, bis vor kurzem Ortsteilbürgermeister in Stempeda, kennt die Frustration nur zu gut, mit der Krebsbachbrücke hatte man im Ort ganz ähnliche Probleme. „Man hat aus den Fehlern von vor einem Jahr exakt nichts gelernt, es sind wieder die Ortsteile, die alles abbekommen“, kritisiert Roßmell. Den Unternehmern im Steinfeld laufen die Kunden weg, man hat ernsthafte Existenzsorgen, klagt Thomas Grübel vom Happylino Indoor-Spielplatz, man nehme den Menschen die Existenzgrundlage. Der Geschäftsführer der Nordthüringer Lebenshilfe Chrisitan Völkel rechnet vor, das man dank der Sperrung rund 180.000 Umleitungskilometer wird fahren müssen. Kilometer die der Landkreis zahlen muss, weil es sich um Sonderfahrten für schwer beeinträchtigte Menschen handelt. Dauert die Fahrt zu lange, kommt man möglicherweise auch hier mit der Gesetzgebung in Konflikt.

Den Verantwortlichen vor Ort schlägt regelrechter Zorn entgegen und der führt mitunter auch etwas zu weit, eine Dame meint, man wolle die Rüdigsdorfer und Krimderöder nur dazu bringen, in Nordhausen einzukaufen um dem Herkulesmarkt in Niedersachswerfen eins auszuwischen, dass sei so gewollt und abgesprochen, deswegen fände sich keine Lösung.

Nicht jede Kritik mag valide sein, aber es gibt genug legitime Schmerzen, die im Ausschuss vorgetragen werden. Schneemann und Kollegen suchen sich zu erklären. In fünf Gremien sei die Maßnahme diskutiert worden, die Pläne wurden sechs mal überarbeitet, man hat sich Gemäß der Vorgaben mit Stadt und Landkreis in Verbindung gesetzt und über die Medien lange vor Baubeginn über die anstehenden Arbeiten informiert.

Die Details konnte man nur kurz vor Baubeginn bekannt geben, weil die letztlich der bauausführenden Firma obliegen und die muss auch dafür sorgen, dass sie rechtzeitig fertig wird und ihren Personaleinsatz entsprechend organisieren. „Das war keine schnelle Bauchentscheidung. Wir versuchen die Abschnitte so kurz wie möglich zu halten, haben die Bauträger wo es ging gebündelt und gemeinsam nach Ausweichstrecken gesucht“, erklärt Schneemann. Für die Schule und Kindergarten in Krimderode wurde die Baustelle besonders gesichert und hat Parkplätze für den täglichen Schülerverkehr geschaffen. In der Parkallee, so man denn einmal soweit gekommen ist, sollen zwei Querungshilfen eingebaut werden, ein langgehegter Wunsch der Stadtverwaltung.

Kommunikation: mangelhaft
So recht entkräften lässt sich derweil nicht, dass die Kommunikation mit den „wesentlichen Trägern öffentlicher Belange“, sprich Stadt, Kreis und Kommunen, zumindest Verbesserungswürdig ist. In Niedersachswerfen habe Bürgermeister Stephan Klante von den Bauplänen so gut wie nichts gewusst, die Informationen zu den Details sei nie bis hierhin vorgedrungen, kritisieren die Niedersachswerfener. Auch im Bauamt des Kreises seien viele Beschwerden diverser Bürgermeister eingegangen, die sich schlecht informiert fühlten, gab Fachbereichsleiter Heiko Müller zu Protokoll. Einfluss habe man als Amt kaum nehmen können, auf Änderungswünsche von Seiten des Kreises sei gar nicht eingegangen worden.

Gibt es doch noch Alternativen?
Der erste Bauabschnitt soll noch vor Beginn des Winterstopps fertig gestellt werden, versprachen die Vertreter des Landesamtes. Für eine Änderung der aktuellen Situation sind an dieser Stelle bereits alle Messen gesungen, es ist wie es ist. Eine Chance gibt es noch für die Abschnitte, die nach dem Ortsausgang kommen. Ein Ertüchtigung des Schotterweges oder eine Wegeführung über das Feld müsse immerhin diskutiert werden, sagte Müller und lud die Kollegen aus dem Landesamt zum baldigen Gespräch.

Sollten sich die Zwänge des Bauherren als Alternativlos herausstellen, wird alles reden nichts nützen. Gesetz ist Gesetz und pragmatische Lösungen, bei denen vielleicht mal die eine oder andere Stelle ein Auge zu drückt, sind kaum vorstellbar. Das hat schon an der Iberg-Talsperre nicht geklappt und da wäre es vergleichweise einfach gewesen, die Anwohner etwas abkürzen zu lassen. Ein Funken Hoffnung besteht derweil für die B4 noch. Ob der erlischt wird sich wohl erst im nächsten Jahr entscheiden.
Angelo Glashagel