nnz Betrachtung

Wahlgedanken II

Freitag
15.09.2023, 12:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Der erste Wahlgang in der Nordhäuser OB-Wahl hat ein deutliches Bild gezeichnet. Die Stärke der Sieger ist dabei vor allem auch die Schwäche der Verlierer…

Wahlgedanken, die Zweite (Foto: nnz/wikimedia commons) Wahlgedanken, die Zweite (Foto: nnz/wikimedia commons)


Die „Wahlgedanken“ eröffnete ich gestern mit dem Verweis auf das geflügelte Wort von „Pest und Cholera“. Wie ich zur AfD stehe dürfte dem aufmerksamen Leser dieser Zeitung dabei keine Offenbarung gewesen sein, wenn dem doch so gewesen sein sollte, dann mag das daran liegen, dass ich diese Kommentare viel zu selten schreibe.

Ebenso wenig sollte es verborgen geblieben sein, dass die Redaktion der nnz mit der Administration Buchmann in den letzten Jahren nicht immer auf dem besten Fuß gestanden hat. Man hat uns verklagen wollen, weil wir unsere Arbeit gemacht haben, man hat erst uns und dann auch andere Medien im Rathaus sperren lassen. Der Umgang des OB Buchmann mit den Nordhäuser Medien, nicht allein der nnz, war nie der Beste.

Es wäre unredlich nun so zu tun, als wäre dem nicht so gewesen, weil mir die AfD missfällt und deren Kandidat nun in der Stichwahl steht. Herr Prophet trägt die Bürde seiner Parteimitgliedschaft, Herr Buchmann trägt die Bürde seiner Amtszeit. Anders als bei dem Kandidaten der AfD kann mir die Partei des Amtsinhabers nicht missfallen, weil er keine hat. Herr Buchmann steht in seiner Person alleine vor dem Wähler, einzig seine sechs Jahre an der Rathausspitze im Rücken. Das es ihm gelungen ist, den Stadtrat zu einen, nur eben gegen sich, dass habe ich hier in den letzten Jahren mehr als einmal geschrieben und mit gutem Grund. Insofern ist der Scherz von „Pest und Cholera“ aus dem gestrigen Artikel für mich durchaus zutreffend. Kein Katarrh, kein Heilsversprechen, sondern das denkbar schlechteste Ergebnis für meine Heimatstadt. Wohlgemerkt aus meiner Perspektive.

Im Englischen gibt es ein anderes Sprichwort, „to find oneself between a rock and a hard place“ - man findet sich selbst wieder zwischen einem Fels und einem harten Ort. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs hat mich an einen solchen Platz gebracht. Between a rock and a hard place. Ich kann nicht die AfD wählen, ich kann den Amtsinhaber nicht wählen, ich kann nicht Nichtwählen, denn auch das ginge mir gegen meine Ideale und wäre das erste Mal, dass ich von meinem demokratischen Recht nicht Gebrauch mache, das ich dieser Pflicht nicht nachkomme, denn was ist einem Demokratie wert, wenn man sich nicht an ihr beteiligt. Was also tun? Die Wahlgedanken oszillieren an diesem unmöglichen Ort und streifen zwangsweise die Frage, warum wir hier gelandet sind.

Die Schwäche der Anderen
Mögliche Antworten zu finden ist nicht schwierig. Falsche Wahltaktik, bundesweite Trends, gesellschaftlicher Umbruch, allgemeine Unzufriedenheit, politische Apathie, Filterblasen und algorithmisch befeuerter Antagonismus, Desinteresse an den Untiefen der Lokalpolitik, der Weltenlauf an sich, zu warm, zu kalt, schlechte Schwingungen im Scheitelchakra, wer weiß. Keine einzelne Antwort allein würde den Kern der Sache treffen, würde der Komplexität der Lage gerecht werden und ich befürchte es fehlt mir die Präzision, sie hier prägnant und treffend zusammenzufassen. Es gibt diesen Satz, der alles auf den Punkt bringt, aber ich kann ihn in mir nicht finden. Da müssen bessere Köpfe kommen. Doch genug der Nabelschau, der Titel der Überschrift wurde nicht von ungefähr gewählt.

Die Stärke der Einen ist auch die Schwäche der Anderen. Das gilt, pars pro toto zu Bund, Land und Kontinent auch für das Nordhäuser Wahlergebnis. Das politische Nordhausen hat sich gewohnt wie eh und je in den Wahlkampf gestürzt. Ein Stand hier, ein prominenter Besuch da, Hände schütteln, „gute Gespräche“ und einen „engagierten Wahlkampf“ führen, Plakate hängen, ein paar seichte Diskussionen. Mein Kollege Peter-Stefan Greiner hat das hier direkt nach der Wahl schon einmal gut zusammengefasst. Man hat sich, das sollte offensichtlich sein, klar verzettelt. Allen voran die SPD.

Frau Rieger hätte noch ein paar Jahre warten können aber sie hatte ja nichts zu verlieren, schließlich wird sie auch nach der Wahl noch im Rathaus sitzen. Trotzdem Flucht nach vorn, noch eine Stufe höher steigen, selber auf den Chefsessel vorrücken, da ist im Haus dann keiner mehr, der einem das Leben noch schwer machen kann. So oder zumindest so ähnlich haben die Genossen ihrer Bürgermeisterin die Kandidatur schmackhaft gemacht. Im Wahlkampf haben Kandidatin und Partei Entschlossenheit demonstriert, hinter geschlossener Tür hat man lange auf Rieger einreden müssen. Bei dieser Wahl anzutreten war ein Fehler. Diese Stimmen hat es im Vorfeld gegeben, diese Stimmen hat man in der SPD gehört und man hat entschieden, sie zu ignorieren. Die Parteilogik hat nach einer Kandidatur verlangt.

Dabei wäre Zurückhaltung allein schon wegen der hier vielfach diskutierten „Causa Buchmann“ angebracht gewesen, die nicht unerwähnt bleiben kann. Sowohl gegen den Amtsinhaber wie auch gegen die Bürgermeisterin laufen weiterhin Disziplinarverfahren. Der Konkurrent mit Amtsbonus angezählt am Spielfeldrand, wenige Monate vor der Wahl, was für ein Schachzug.

So es denn einer gewesen ist, war es jedenfalls kein brillanter, nicht einmal ein guter. Dass der Wähler hier zwangsweise und unabhängig vom Wahrheitsgehalt wahltaktische Spielchen sehen musste, hätte offensichtlich sein sollen. Doch die Genossen haben anders kalkuliert. Im Landratsamt wird man argumentieren, dass man als übergeordnete Dienstbehörde gezwungen war zu handeln, dem denkbar ungünstigstem Zeitpunkt zum Trotz und das es keine Schützenhilfe für Rieger, sondern schlicht juristischer Zwang war, der zur „Causa Buchmann“ geführt hat. Dass sich das Verfahren doch noch als berechtigt erweist, ist nicht unmöglich. Aber in dem Moment, in dem das SPD geführte Landratsamt Schritte gegen den OB einleitet, hätte Riegers Kandidatur zu den Akten gelegt werden müssen. Oder man hätte die Füße noch eine Weile still gehalten und der Wahlkampf wäre ohne das unsägliche Drama im Rathaus vonstatten gegangen. Aber man konnte oder wollte nicht.

Stattdessen ist man mit wehenden Fahnen vorangeschritten. Ob das dem OB eher geschadet oder am Ende nicht vielleicht doch sogar geholfen hat, wird sich nicht klären lassen. Man kann nur spekulieren.

Also spekulieren wir: hätte man sich bei der SPD zurückgehalten, dann stünde jetzt, so ließen sich die Wahlergebnisse interpretieren, wahrscheinlich Andreas Trump und nicht Kai Buchmann mit Jörg Prophet im Rennen um das Rathaus. CDU vs. AfD, Schwarz gegen Blau, beide Seiten hätten klare Positionen zueinander beziehen und sich dem Wähler erklären müssen. Und mein Leben wäre um ein Dilemma ärmer.

Parteilogik
Die Schwäche der Anderen ist aber nicht allein die Bürde der SPD. Grüne und FDP haben sich dazu entschieden, im Sinne demokratischer Vielfalt und Verantwortung, so die Erklärung Seitens der Parteivertreter, eigene Kandidaten aufzubieten, auch wenn sie mit einiger Sicherheit von vornherein chancenlos sein mussten. Moralisch mag das folgerichtig gewesen sein, taktisch war es unklug. Die Linke war immerhin ehrlich genug zuzugeben, dass man kein passendes oder williges Personal in den eigenen Reihen findet. Sternchen gibt es dafür trotzdem nicht, zeigt es doch deutlich, dass die Partei auf dem besten Wege ist, gänzlich von der Bildfläche zu verschwinden, nicht nur in Nordhausen. Man hat sich bei der letzten Wahl im Kreistag vorführen lassen, auch aus Gründen eigener Inkompetenz und hat sich nun, im ringen um den obersten Posten der größten Stadt der Region, auf sporadische Zurufe und Mahnungen von der Seitenlinie beschränkt. Der Nordhäuser Linken, die hier einst eine einflussreiche Landrätin und Ministerin gestellt und die eine Landtagsabgeordnete nach Erfurt gebracht hat, hätte es gut zugestanden, sich deutlicher in diese Wahl einzubringen. Man wollte nicht, man konnte nicht und ob es etwas am Ergebnis geändert hätte, steht ohnehin im Kaffeesatz.

Fakt ist, dass die Verlierer dieser Wahl einer dringenden Erneuerung bedürfen, inhaltlich wie personell. Die alten Rezepte, die alten Taktiken, die vertrauten Angriffsmuster und Phrasen verfangen offensichtlich nicht mehr. Das gilt auch für linksliberale Beißreflexe und lieb gewonnene Protestformen wie „bunte Straßenfeste“. Für die eigene Seele mag’s süß und ehrenvoll sein, sich zu deklamieren, zu appellieren und im Schulterschluss mit den immer gleichen und bekannten Gesichtern „Gesicht zu zeigen“. Ich weiß wovon ich rede, schließlich habe ich das just gestern hier an dieser Stelle durchexerziert. Doch hilft es auch? Wird es etwas ändern, dass einmal mehr darauf hingewiesen wurde, dass die AfD problematisch ist? Was bringt es, dass wir im immer gleichen Saft schmorend um uns selbst kreisen, einander stets versichernd, dass wir die Guten sind und das Gute letztlich triumphieren muss? Was nützt es, wenn man nur die erreicht, die die eigene Meinung ohnehin schon teilen? Das Wahlergebnis lässt vermuten: nichts.

Gänzlich bleiben lassen und frustriert im stillen Kämmerlein hocken geht dann freilich auch nicht, da ist wieder eine eigene Logik am Werk. Aber vielleicht müssen der alten Leier mal ein paar neue Töne hinzugefügt werden, die Musik droht allzu schal zu werden oder ist es für viele schon geworden.

Das kleine Dilemma, in das mich die Wahl gestürzt hat, lässt mich fatalistisch werden, deswegen beende ich die Niederschrift an dieser Stelle erst einmal. Am Ende sind wir aber noch nicht angekommen, noch haben nicht alle ihr Fett weggekriegt. Sie und Ich, liebe Leserinnen und Leser, wir fehlen noch.
Angelo Glashagel

Artikelreihe:

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