Pyrotechnik – kontra Naturschutz

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben

Sonnabend
19.08.2023, 17:14 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Ein Zeitungsartikel berichtete mit folgernder Überschrift: „Filmeffekte und grandioses Spektakel – 20 Pyrotechniker aus ganz Deutschland kommen zu Austausch und Weiterbildung mit explosiven Neuheiten ins Eichsfeld“...

Warnhinweis (Foto: W. Roth) Warnhinweis (Foto: W. Roth)
Es ist seit 2010 das sechste Mal, dass ein engagierter Pyrotechniker am 25. Oktober 2021 von 9 bis 23 Uhr im Eichsfeld sein Feuerwerksbegehren mit möglicherweise alten und neuen Sprengkombinationen in großer Dimension installiert. Die strukturreiche und vielfältige Natur um den Ortsteil Kalteneber / Heiligenstadt ist hierbei nicht nur den Veranstaltern gleichgültig. Die Kirmesburschen übernahmen das Aufstellen eines großen Zeltes und organisierten neben der Verpflegung auch ihre Feierstunden.

Die Heiligenstädter Schützengarde überließ ihr Domizil im Schützenplatz Pferdebach zu einem Seminar mit „faszinierenden Vorträgen“.
VERDAMMT! Soll ich dazu schweigen oder schreiben? Vor dem Heiligenstädter Stadtrat hat mich der Altbürgermeister Ernst Beck im Namen des Ministerpräsidenten Dieter Althaus als Naturschützer gewürdigt.

Mit dem PKW meines Freundes fahren wir zum Alten Sportplatz, dem ersten Szenarium der Feuerwerker und sind sogleich entsetzt, was wir dort erblicken. Heiligenstadt errichtete an diesem Ort 2011 eine Streuobstwiese als ökologische Ausgleichsfläche. Aus 12.500 m² wurden 77 Obstbäume mit überwiegend alten Apfelsorten, wie Kaiser Wilhelm, Gelbe Butterbirne, Elsbeere und Wangenheimer Pflaume, mit einer Schautafel am Wanderweg angezeigt. Neben einer artenreichen Heckenfläche liegen große Lesesteinhaufen in bunter Wiese, wo der seltene Steinschmätzer erfolgreich brütete.

Wanderer werden zum Schutz von bis zu 5.000 Insektenarten ersucht. Neben Fehlstellen weisen viele Bäume eine rissige Borke mit abgestorbener Baumkrone auf. An ihren hochstämmigen Wuchs wurden zahlreiche Feuerwerksbatterien mit noch sichtbaren Zündschnüren zur Explosion gebracht. Sie hinterließen noch zu riechende Schmauchspuren, die von zwei sachkundigen Amtspersonen und einem Diplombiologen beurteilt wurden. Dieser heimatkundliche Ort hat mit solchem Schmutz seine Würde verloren!

Auf dieser kalten, windigen und trockenen Höhenlage, ohne große Mulchscheiben haben besonders die Wärme liebenden Obstsorten einen ungenügenden ökologischen Standort mit wenig Blüte und verlorener Ernte.

Der Alte Steinbruch mitten in der Natur wurde im bereits erwähnten Artikel als Veranstaltungsort angezeigt, jedoch nicht benutzt. Es ist kein Steinbruch mit kahlen, langen und tiefen Felswänden wie in Geisleden, wo auch der Uhu brütet. Ein lichter Flugwald mit nahrungsreichen Hecken, Schwemmsand mit Laub, kleine Höhlen im Sonnengestein sowie artenreiche Pionierpflanzen für viele auch seltene Insekten bieten hier einen neuartigen Lebensraum.

Mittels ihrer beladenen Fahrzeuge wurden auf dem bereits in der Saat stehenden Getreidefeld erhebliche Fahrspuren festgestellt, wo sie unmittelbar ihre Pyrotechnik zündeten. Mit fragwürdiger Genehmigung des Agrarbetriebes Agroma wurde ebenfalls eine Wiese zur Aufnahme der Sprengkörper benutzt, wobei die Kleinelemente auf dem Boden verblieben. Sind Eigentumsrechte von den naturschutzwidrigen Handlungen befreit? Der Mutterboden ist nur geliehen.

Das Ordnungsamt Heiligenstadt kontrollierte pflichtgemäß das Abräumen ausgebrannter Körper. Die Untere Naturschutzbehörde des Landkreises Eichsfeld wurde vor dem Beginn der Flächennutzung nicht informiert. Die benachrichtigte Polizei kontrollierte das unbewachte Zelt mit den offenen Kisten der Pyrotechnik. Zweimal wurde der Sprengmittelbeseitigungsdienst von Erfurt gerufen. Eine noch scharfe Ladung hing im Wald an einem Jägerhochsitz.

Die Bürger haben das Spektakel mit weitläufiger Absperrung „Achtung Lebensgefahr!“ erlebt, ebenso das Erklingen der Gläser in ihren Schränken. Kinder weinten und alte Leute erschraken und dachten, es wäre Krieg. In den benachbarten Dörfern heulten erschreckt die Hunde. Die Explosionen hatten eine unerträgliche granatenähnliche Dimension, sodass die Druckwellen den PKW eines Bürgers erfassten, welche bei starkem Nebel und hohen Rauchwolken mit der Silvesterknallerei nicht vergleichbar ist.

FAZIT:
Die Rücksichtslosigkeit schadet der Vielfalt des Lebens, nicht nur mit dem Verlust der Biodiversität, sondern auch der Selbstachtung der Bürger vor der Schöpfung. Hier geht es um Sachkenntnis zur Verunreinigung der Luft und der Vergiftung des Bodens mit der Verseuchung des Grundwassers und die vielen Elemente, die in die Nahrungskette übergehen.

In Zeiten des Artensterbens und des Klimawandels ist hierbei keine Mitverantwortung der Gesellschaft erkennbar. Lutz Reißland als engagierter Naturschützer vom Verein der Ornithologen Thüringens konstatiert: „Tausende Vögel verlassen vor Schreck ihren Schlafplatz, mit Verletzungsgefahr, Orientierungslosigkeit und Todesfolge“. Wie könnte ich als Naturschützer dies bei einer toten Waldohreule mit einem Herzinfarkt durch Pyrotechnik beweisen? Wer betrachtet das Leben der bereits mit 75 % gestorbenen Insekten? Ebenso Fledermäuse, Igel und Eidechsen geraten durch zahlreiche Explosionen in Lebensgefahr.

Wie reichhaltig diese ruhige Naturlandschaft ist, belegt mein 13jähriges Vogelmonitoring auf 1 km² strukturreicher Fläche zwischen Kalteneber und dem Naturpark Fürstenhagen mit 73 Vogelarten, mit der Hohl- und Turteltaube, Neuntöter, Spechte und der Heidelerche. Ein besonderes Erlebnis waren die Beobachtungen eines prachtvollen Mufflon Widders mit seinen sieben weiblichen Schafen in ihrem Einstandsgebiet.

Werden die Bürgermeister von Heiligenstadt und Kalteneber ihrem Eid zur Schadensabwehr nicht gerecht? Sollte die Thüringer Allgemeine erneut über dieses euphorische Feuerwerksspektakel berichten, um wieder mit dem Lob aus ganz Deutschland anreisenden Gäste in Kalteneber ausgiebige Angebotsflächen nutzen zu können? Das nächste Treffen soll bereits am 30. September 2023 veranstaltet werden.

Als Naturschützer ist unser Protest vollends berechtigt – mögen Bürger und zuständige Ämter dieses gewissenhaft beurteilen und zur Ablehnung dieses Frefels entscheiden.
Wilhelm Roth