An den Schulen bleibt noch viel zu tun

Lehrstunde in Bürokratie und Sachlichkeit

Dienstag
25.07.2023, 16:20 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In der vergangenen Woche luden die Elternvertreter der Löwentorschule in Bleicherode Politik und Verwaltung ein, um auf die Missstände in ihrer Schule aufmerksam zu machen. Musste sich die Bürgerschaft mit Mistgabel und Fackel Gehör verschaffen? Nein, es geht auch noch sachlich…

Die Regelschule Löwentor in Bleicherode (Foto: agl) Die Regelschule Löwentor in Bleicherode (Foto: agl)


Es hat ja schon fast etwas erfrischendes wenn ein Aufeinandertreffen von Politik, Verwaltung und Bürger nicht von überhitztem Gemüt und Entrüstung bestimmt wird. Es gibt sie noch, die zivilisierte, sachliche Debatte, mag man das nach dem täglichen „doom scrolling“ durch die Kommentarspalten des Netzes kaum noch glauben.

Doch so ist’s geschehen in der vergangenen Woche an der Löwentorschule in Bleicherode. Ein gewisses Maß an „Feuer“ ging der Einladung der Elternvertreter nicht ab - die größte Regelschule des Kreises gehe seit Jahren leer aus, Geld fließe stattdessen in die Gymnasien, die Sicherheit der Kinder sehe man gefährdet. Der Einladung leistete sowohl die Schulverwaltung, das Schulamt wie auch der Kreistag, genauer der Finanz- und Schulausschuss in Person von René Fullmann, Carola Böck, Franka Hitzing sowie der Bürgermeister der Landgemeinde, Frank Rostek, folge. Was sich ergab war ein faktenorientierter Austausch, ein Blick hinter die Kulissen und auf den bürokratischen Alltag und auf das, was an den Schulen des Kreise noch alles zu tun ist.

Aber zunächst zur Löwentorschule. Die sieht von außen schick aus, die Fassade wurde bereits erneuert und auch innen drin hat der Kreis einiges an Geld verbaut, etwas über eine Million Euro in Summe. Freilich, die meisten Mittel flossen in den Brandschutz, also die Pflicht. Die Kür vermisst man an der Regelschule derweil schmerzlich. Die Bausubstanz stammt noch aus den 1970er Jahren, insbesondere die Elektronik ist marode, vom digitalen Lernen des 21. Jahrhunderts sieht man sich weit entfernt und die Wunschliste für neue Ausstattung ist lang.

Realitätscheck
In Sachen Digitalisierung konnte die Schulverwaltung in Person von Leiter, Hans-Georg Müller und Uwe Seifarth, dem Leiter der Vergabestelle im Landratsamt, Fakten auf den Tisch legen. Rund drei Millionen Euro hat der Kreis seit 2019 allein für den Ausbau der WLAN-Infrastruktur erhalten. Bevor man die Mittel jedoch ausgeben kann, fordert der Geldgeber ein „power audit“, also eine Überprüfung durch einen Gutachter und die braucht man zu eben jenem Zwecke nicht nur in Nordhausen, sondern bundesweit. Die Überprüfung konnte man schließlich an der Löwentorschule im Januar vergangenen Jahres durchführen. Das Ergebnis: WLAN in jedem Klassenraum geht nur, wenn auch das Stromnetz angegangen wird. Das stammt in Teilen noch aus dem Jahre anno domini 1973, lediglich der Hauptverteiler ist neu. Sorgen um die Sicherheit der Schüler müsse man sich trotzdem nicht machen, ein Gefährdung durch die elektrotechnische Anlage bestehe nicht, alle Geräte und Anlagen würden regelmäßig geprüft, sagt Seifarth und Müller hat 592 Prüfprotokolle in der Datenbank, die das belegen können. Die letzte Prüfung fand im August 2022 statt, die nächste steht bald an.

Im Amt fängt man nach dem „audit“ an zu rechnen und „auf Heller und Pfennig“ zu planen, berichtet Müller weiter. Gefördert wird allerdings nur das „pädagogische Netzwerk“, also alles was den Unterricht betrifft. Rund 660.000 Euro bekommt man dafür zusammen. Die Aufrüstung der schulinternen Verwaltung schlägt extra zu Buche, mit rund 52.000 Euro, die zwingend notwendige Erneuerung der Elektroverkabelung kostet noch einmal 165.000 Euro und beides wird nicht gefördert. Abseits der monetären Kosten wird man rund 160 Bohrungen in verschiedenen Größen im ganzen Schulgebäude vornehmen müssen.

Idealerweise sollte das während der Ferien passieren und so schreibt man die Aufgabe auch aus, allein es findet sich auch nach zwei Anläufen kein williger Bewerber. Im dritten Anlauf erweitert man die Zeitvorgabe in das neue Schuljahr hinein und wird endlich fündig. Damit das klappt und der Unterricht nicht im gänzlich im Bohrlärm untergeht, muss nun aber eine komplette Etage der Schule freigezogen werden. Das lässt sich räumlich nicht ohne weiteres auffangen, also müssen zwei neue Unterrichtsräume samt Ausstattung hergerichtet werden. Intensive Arbeiten werden nach den Ferien erst nach 13 Uhr angegangen, so der Kompromiss, danach folgt Trockenbau und malerische Instandsetzung. „Es ist ein Brocken“, sagt Seifarth, alle Arbeiten in sechs Wochen durchzuziehen sei „illusorisch“ und wirbt um Verständnis. Die Ellricher Schulleiterin Carola Böck sekundiert, da man an ihrer Regelschule reichlich Erfahrung mit Bauarbeiten im laufenden Betrieb sammeln konnte. Vorangehen muss es, den Einschränkungen für den Unterricht zum Trotz, denn bis Mitte nächsten Jahres muss man fertig sein. Dann läuft der Digitalpakt aus und der Kreis müsste nicht ausgegebene Gelder zurückzahlen.

Es bleibt viel zu tun
Die Sache rollt, die Bauarbeiter sind schon im Haus. Hat man also alles richtig gemacht? Mitnichten. Die Eltern sorgen sich zu Recht um die Zukunft der Schule und den Stand der Regelschule im Allgemeinen. Die sollte „die Regel“ für die Mehrzahl der Schüler sein, fühlt sich aber im Alltag oft wie eine Schule zweiter Klasse an, heißt es am Abend. An der Löwentorschule müssen Tafeln erneuert werden, die Turnhalle ist voller Dellen, das Dacht ist undicht, auf dem Sportplatz dahinter wuchert das Grün, die Toiletten seien schon vor 20 Jahren Mist gewesen und seien es noch, Rückzugsmöglichkeiten gibt es keine, eine angenehme Lernatmosphäre liegt im Reich der Träume. Es geht, aber es geht nicht gut. Es fehlt die Kür und die betrifft nicht nur das Leben und Lernen der Schülerinnen und Schüler. Ohne die entsprechende moderne Ausstattung werde es zunehmend schwer, neue Lehrkräfte an der Schule zu halten, sagt Schulleiter Dr. René Lang. Das nächste Bundesland ist nicht weit und da sehen die Bedingungen mitunter ganz anders aus.

Viel Sachlichkeit trotz großer Runde: in Bleicherode kamen Eltern, Lehrer, Politik und Verwaltung zusammen (Foto: agl) Viel Sachlichkeit trotz großer Runde: in Bleicherode kamen Eltern, Lehrer, Politik und Verwaltung zusammen (Foto: agl)


Es krankt an allen Ecken und Enden, der Investitionsstau an den Schulen im Kreis wird insgesamt auf rund 80 Millionen Euro geschätzt. Summen, die man nicht mal eben aus dem Hut zaubern kann, schon gar nicht unter vorläufiger und streng reglementierter Haushaltsführung. Und selbst wenn man das nötige Kleingeld hätte, könnte man nicht alle Probleme auf einen Schlag angehen, siehe Ausschreibungsdilemma.

Man muss mit dem arbeiten was man aufbringen kann und damit steht man sich auch manchmal selbst im Weg, räumt Georg Müller ein. Der Sportplatz ist so ein Beispiel. Der war zwischenzeitlich fast schon ein kleines Birkenwäldchen und diente mehr dem abendlichen Hundespaziergang als dem Schulsport. Es bestand Handlungsbedarf also habe man gehandelt, erzählt Müller weiter, im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten und der Vorgaben in denen man handeln darf. Für eine ordentliche Tartan-Bahn reichte es damals einfach nicht, dass Ergebnis kann sich heute kaum noch sehen lassen. Also werde man den Platz noch einmal angehen müssen. Und so ein Klein-klein wolle man eigentlich vermeiden, wenn etwas gemacht werde, dann besser gleich richtig so dass danach für die nächste 30 Jahre Ruhe ist. Das kostet nicht nur Geld sondern auch Zeit und ohne grünes Licht von höherer Stelle zu haben, kann das Schulverwaltungsamt nicht handeln.

Nun ist es nicht so, dass man im Kreistag Däumchen drehend dasitzen würde und zusieht, man kennt die Sorgen, gerade aus den Regelschulen. Aber auch hier kann man nicht zaubern, ist nicht frei von Restriktionen. Ende vergangenen Jahres hat man einen Schulinvestitionsplan beschlossen, mehrere Milllionen Euro sollten in Jahrestranchen in die Bildungseinrichtungen investiert werden. Rund 2,4 Millionen Euro hatte man pro Jahr vorgesehen, 410.000 davon für die IT, führte Renè Fullmann aus, der Vorsitzende der CDU Fraktion und des Finanzausschusses.

In der aktuellen Haushaltsplanung wird der Beschluss aber nur in Teilen umgesetzt, es seien viel zu wenig Mittel eingestellt, gerade für die Regelschulen, dass hatte man bereits vor den Ferien gegenüber dem Landrat deutlich kritisiert. Der weist daraufhin, dass sich zusätzliche Ausgaben auf die Abgabenlast der ohnehin gebeutelten Kommunen auswirken würde, die CDU will an anderer Stelle Mittel einsparen und auch das Landesverwaltungsamt, dass den Haushalt des Kreises in Gänze letztlich für tragbar befinden muss, hat noch ein paar Worte mitzureden. Der Handlungsspielraum ist begrenzt und Fullmann, Böck, Hitzing und auch Bürgermeister Frank Rostek tun ihr Bestes, die Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Politik aufzuzeigen und verständlich zu machen. Was man beeinflussen könne, das tue man auch, versichern Politik und Verwaltung unisono.

So wird weiter diskutiert, meist hinter den Kulissen aber auch öffentlich, wobei der zumeist eher trockene, lokalpolitische Alltag trotz Berichterstattung sicher nicht in jedes Nordhäuser Wohnzimmer durchdringen wird. Zumindest noch bis in den Herbst hinein wird man verhandeln, dann soll der Haushalt endgültig beschlossen werden.

Und damit steht man dann eigentlich erst am Anfang der Debatten, denn 2024 muss man die Schulnetzplanung erneuern. Neben dem grundsätzlichen Aufgabenberg steht ein Ringtausch von Berufsschule, dem Förderzentrum St. Martin und der Volkshochschule im Raum, für Niedersachswerfen wird laut über die Schaffung einer Gemeinschaftsschule nachgedacht, der Neubau der Grundschule in Ilfeld steht in den Startlöchern, in Klettenberg wird es derweil wohl noch etwas länger dauern. Die Bleicheröder müssen sich vorerst mit der Pflicht begnügen, ehe es an die Kür gehen kann. Immerhin: für die Dachsanierung der Turnhalle steht bereits eine halbe Million Euro im Plan und die neue Tartan-Bahn ist zumindest beantragt. Woran man ganz ohne viel Geld weiter arbeiten kann und muss ist die Kommunikation und da war das Treffen in der Löwentorschule ein vielversprechender Anfang.
Angelo Glashagel