Stadtgeschichte und Stadtschmuck

Vier Jahre bleiben noch

Donnerstag
06.07.2023, 16:53 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In vier Jahren feiert die Stadt Nordhausen ihren 1100. Geburtstag. Die einstigen Stadtgründer sind nach über einem Millennium fast in Vergessenheit geraten. Ein alter Nordhäuser würde die Erinnerung gerne wieder wach rufen, doch an dem „Wo“ und „Wie“ scheiden sich die Geister…

Geht es nach Wolfgang Müller, würden die drei Nordhäuser Ottonen am Neuen Rathaus einen Platz finden. In das Modell hat Müller viel Arbeit gesteckt, final ist das als Entwurf aber nicht. (Foto: Wolfgang Müller) Geht es nach Wolfgang Müller, würden die drei Nordhäuser Ottonen am Neuen Rathaus einen Platz finden. In das Modell hat Müller viel Arbeit gesteckt, final ist das als Entwurf aber nicht. (Foto: Wolfgang Müller)


Vor über einem Jahrtausend begann einer gewisser Otto, seines Zeichens Herzog der Sachsen, damit einen Hügel am Rande des Harzes zu befestigen. Von den zunächst hölzernen Wällen aus ging der Blick über das, was wir heute die Goldene Aue nennen würden, weit hinaus ins Land. Sein Sohn Heinrich vollendet das Werk. Die ungarischen Reiterhorden, deren drohender Einfall mutmaßlich überhaupt erst zu dem Unterfangen geführt hatte, schafften es nie bis zur Burg Nordhausen. Heinrich schlug sie zurück und wurde der erste König der „Deutschen“, sein Sohn Otto vertrieb sie schließlich für immer und wurde der erste „Deutsche“, der sich die Kaiserkrone auf das Haupt setzen ließ.

Wo Heinrich dem, was einmal die Stadt Nordhausen werden sollte, ein festes Herz gegeben hatte, gab seine Frau Mathilde schließlich den Geist. Den Ort hatte ihr der Gemahl als Witwengeschenk vermacht, sie ließ hier ein Frauenstift errichten, aus dem später der Dom erwachsen sollte und die Gelehrsamkeit nach Nordhausen brachte.

Wohin mit den Stadtgründern?
Hier sind Heinrich und Mathilde bis heute zu sehen, wenn man den weiß wonach man zwischen den Heiligenfiguren im Gotteshaus zu suchen hat. Aus dem Rest der Stadt ist das Erbe der Anfänge lange verschwunden, der Zahn der Zeit, Feuer, Krieg und Zerstörung haben die Stadt mehrfach neu geformt und was übrig blieb, zeigt die Zeugen der frühen Tage meist nur denen, die Ahnung in diesen Dingen haben.
Wolfgang Müller gehört zu diesem Kreis.

In fast 80 Lebensjahren hat er für die Geschichte seiner Heimatstadt gebrannt, als archäologischer Ausgräber gearbeitet und als kostümierter Heinrich im Verein für lebendiges Mittelalter versucht, die Erinnerung wach zu halten.

Einen letzten Streich will der alte Herr noch wagen - die drei Ottonen, die Liudolfinger, die so wichtig für das Werden der Stadt waren, sollen nicht länger nur für die Wissenden hinter den dicken Mauern des Doms sondern für jeden klar erkennbar in der Stadt selbst zu sehen sein. Herr Müller hat dabei sehr genaue Vorstellungen die jedoch an gewisse Grenzen stoßen. Nachzulesen war diese "unendliche Geschichte" vor ein paar Wochen auch hier auf der nnz.

Die Idee ist gut, der Platz ist es nicht
Die Kurzfassung: Müller möchte die Drei - Heinrich, Mathilde und Otto - als Figuren in voller Montur und Farbenpracht, mit Schwert, Lanze und Feder, auf die leeren Sockel am Neuen Rathaus setzen, überdacht mit einem romanisch anmutenden Baldachin. Wo sollen die Stadtgründer hin, wenn nicht an das Rathaus?, fragt Müller.

Nicht an dieses Rathaus, sagt man im Denkmalbeirat, dem Kulturausschuss und auch im Landesamt für Denkmalpflege. Die Gegenargumente sind architektonischer wie historischer Natur. Architektonisch, weil sich die bunten Figuren in Mittelalteroptik mit dem eher zurückhaltend, schlichtem Bau des Neuen Rathauses „beißen“ würden. Monochrom und in regionalem Stein gehauen, da ließe sich vielleicht noch drüber reden, aber da ist dann auch noch die Geschichte. Da wo Müller die Figuren gerne hin hätte, da thronten ab Eröffnung des Hauses anno 1936 drei Hitlerjungen mit Trommel, Trompete und Fahne. Sie nun durch Schwert, Lanze und Fahne zu ersetzen, scheint den Fachleuten im Denkmalbeirat eher unangebracht.

Soweit der Dissenz zum Standort in aller Kürze. Gewichtiger ist aber der Konsens. Die Idee selbst ist gut. Sehr gut sogar. Dem Engagement und Herzblut das Müller in den letzten Jahren hier hineingesteckt hat, könne man nur Respekt zollen, heißt es am Montag im Denkmalbeirat. Aber das Neue Rathaus als Standort, das wird für Müller das, was für Don Quichote die Windmühlen waren.

Ideen bitte
Wohin dann also? An das alte Rathaus. Zwischen Aarbrunnen, Gedenkstele, Theodosiusstein, Sonnenuhr, Roland und Riese wird es hier für derlei Highlights freilich langsam etwas eng. Die Stadt- und Gästeführer müssen vom Rathausplatz gar nicht mehr herunter führen, wenn es hier noch mehr zu sehen gibt.

Also an die Stadtmauer vielleicht? Aber wo da? Und alle drei zusammen oder verteilt entlang des Weges? Otto blickt am oberen Ender der Lesserstiege gen Süden, Heinrich weißt den Weg am Königshof und Mathilde blickt an der Finkenburg lächelnd auf ihr Pergament. Vorstellbar wäre es. Aber müsste dafür nicht erst einmal der Rundgang um die Stadtmauer wieder voll begehbar sein?

Im Denkmalbeirat applaudiert man der Idee, sucht aber nach einem anderen Standort - v.l. Architektin Pia Wienrich, Stadtführer Michael Garke und Steinmetz Jan Fehling (Foto: agl) Im Denkmalbeirat applaudiert man der Idee, sucht aber nach einem anderen Standort - v.l. Architektin Pia Wienrich, Stadtführer Michael Garke und Steinmetz Jan Fehling (Foto: agl)


Dann vielleicht ganz anders, so wie man es einst mit dem „Aar“ gehalten hatte, hoch auf einer Säule, weithin sichtbar, mitten in der Stadt. Die Familie als Triptychon Rücken an Rücken, über den Köpfen der Menschen ihrer Stadt. Oder jeder auf eine eigene Säule, aufgestellt an den Eingängen zur Stadt vielleicht inmitten der Kreisel, als Ersatz für die rostigen Schilder aus den Zeiten der Landesgartenschau. Der Mathildenkreisel im Norden, die Otto-Kreuzung im Süden, Heinrich am alten Osttor?

Noch einmal ganz anders gedacht: als Figur am Wegesrand, ähnlich der Treppenkäfer, auf Augenhöhe mit den Menschen, nah- und fassbar. Oder doch, entgegen der Einwände, am Neuen Rathaus, wie es Wolfgang Müller vorschwebt?

Möglichkeiten gibt es viele und es gibt viel zu bedenken. Im Denkmalbeirat weiß man historische Bezüge herzustellen und versteht sich auf Architektur, hat aber mit Touristik nichts am Hut. Die würde aber durchaus eine Rolle spielen, denn das Königspaar und ihr Kaisersohn sind ein Pfund, mit dem die Stadt bisher nicht wuchert. Eine künstlerische Seite gibt es auch noch. Orientiert man sich an Statuen aus dem 10. Jahrhundert, historisiert man sich die Drei zusammen wie es die Maler im 19. Jahrhundert so gerne getan haben oder will man der modernen Kunst wie beim Luther an der Blasii-Kirche noch einmal eine Chance geben?

Sieht hübsch aus, ist historisch aber reine Fiktion - das Gemälde im Rathaus zeigt Mathilde wie sie ihren Sohn Otto in Nordhausen verabschiedet. Das Original wurde 1912/13 gemalt und im Krieg zerstört, zu sehen ist heute eine Kopie, deren Existenz man unter anderem Wolfgang Müller verdankt (Foto: nnz-Archiv) Sieht hübsch aus, ist historisch aber reine Fiktion - das Gemälde im Rathaus zeigt Mathilde wie sie ihren Sohn Otto in Nordhausen verabschiedet. Das Original wurde 1912/13 gemalt und im Krieg zerstört, zu sehen ist heute eine Kopie, deren Existenz man unter anderem Wolfgang Müller verdankt (Foto: nnz-Archiv)


Vor alledem steht freilich die Frage: will man das überhaupt? In den einschlägigen Kreisen finden sich schnell Begeisterte, aber was ist mit den Bürgerinnen und Bürgern, die mit der Stadtgeschichte eher weniger am Hut haben?

In vier Jahren feiert die Stadt ihren 1100. Geburtstag. 1927 hat man, was derlei Jubiläen angeht, ordentlich vorgelegt. Und auch damals waren die Zeiten alles andere als leicht. Dennoch hat man sich bemüht, haben sich die Bürger dieser Stadt bemüht, ihr Nordhausen zu schmücken. Meistens ging die Initiative dafür von Privatpersonen aus. Die reichen Brennherren, die damals gerne als Mäzene auftraten, fehlen heute. Das Geld für den Stadtschmuck muss aber irgendwo her kommen.

Warum also nicht, im Jahr 2023, die Bürger selber Fragen. Liebe Nordhäuser, wollt ihr Heinrich, Mathilde und Otto in der Stadt sehen? Und wenn ja, wo sollen sie hin? Wie sollen sie hin? Könnten Jung und Alt vielleicht ein paar Vorschläge zu Papier bringen, gar Entwürfe aufzeichnen? Könnte man solche Vorschläge nicht zentral sammeln und präsentieren, in einem der Museen womöglich?

Vielleicht lassen sich vor Ablauf der Vierjahresfrist Wege finden, solche Fragen zufriedenstellend und repräsentativ zu beantworten. Schön wäre es, denn auch wenn es am Neuen Rathaus nichts wird, so verdient es Wolfgang Müllers Bestreben doch, gehört und diskutiert zu werden. Und die drei Ottonen hätten es verdient, in ihrem Nordhausen wieder gesehen zu werden.
Angelo Glashagel