Das Menschenschicksal des „Charlie“ Karl Hedermann

Vom KZ Mittelbau-Dora in den DDR Knast

Mittwoch
21.06.2023, 21:43 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Er erscheint in der Chronik von Niedersachswerfen von Hilmar Römer, als einer, den die Nazis wegen Paragraph 175 im Jahr 1943 mit „rosa Winkel“ ins KZ gesteckt haben...

Karl Hedermann (Foto: Sammlung Tim Schäfer, Hilmar Römer) Karl Hedermann (Foto: Sammlung Tim Schäfer, Hilmar Römer)

Tatsächlich war Karl Hedermann im KZ Mittelbau-Dora (Häftlingsnummer 13002, Akte Homosexuelle). Er kam frei, blieb in Niedersachswerfen. Die Sachswerfer lernten ihn als Gehilfen des Kinobesitzers und Gasthof Kramer kennen, später führte er ein Tabakgeschäft. In Erinnerungen wird er positiv und als „harmlos“ geschildert, war in den 1950-er Jahren im Ort präsent und sorgte sicherlich für Gesprächsstoff. Bestimmt war da auch mal ein schlechter Witz oder eine anzügliche Bemerkung dabei. 1957 ist er in einem Film von Karl Stolze zu sehen, als das Volksbad eröffnet worden ist. Hier betreibt er einen Verkaufsstand, offenbar mit Tabakwaren. In Niedersachswerfen führte er ein Geschäft damit, man kaufte gern bei Ihm ein. Bekannt war er auch durch seine künstlerischen Begabungen, die in Niedersachswerfen mit Beifall bedacht worden sind. Charlie trat in Travestie- Vorführungen halb als Mann bzw. Frau verkleidet auf. Die Kostüme schneiderte er gekonnt teils selbst. Er sang und schauspielerte gut. Die Varieté Formation hieß „Die weißen Raben“, deren Auftritte hier im Südharz in den 1950-ern gefeiert wurden.

In einem Vortrag zu „Niedersachswerfen im Aufbau der 1950-er Jahre“ machten mich anwesende Seniorinnen darauf aufmerksam, dass „Charlie“ zu DDR Zeiten ebenso im Gefängnis, was bisher nicht so bekannt ist, war. Folglich fand eine Recherche im Bundesarchiv Berlin statt, die Gewissheit erbrachte. Ja der ehem. KZ Häftling genoss offenbar wenig Schutzprivilegien als ehem. Verfolgter oder Opfer des Naziregimes. Er wurde zu DDR- Zeiten wegen „Unzucht“ verurteilt und musste ins Gefängnis. Das hätte ihm aber auch im freien Westen passieren können. Homosexualität wurde noch weit ins 20. Jahrhundert hinein als „unzüchtig“ betrachtet und konnte strafbar sein. Der Strafgefangene Hedermann erhielt mal eine Haftunterbrechung, zwangsweise, er musste ins Krankenhaus. Offenbar an den Folgen einer schweren Erkrankung starb „Charlie“ Karl Hedermann am 31. März 1966.

Heute ist Homosexualität bei uns in Deutschland liberalisiert, homophobe Anfeindungen oder mitunter sogar Hass existieren weiter. Aber auch Diskriminierung existiert, jedenfalls unweit deutscher Grenzen. Opfer des Nationalsozialismus, insbesondere Kommunisten, wurden in der DDR als Helden und Vorbilder für die Jugend erhoben, Straßen wurden nach Ihnen benannt. Karl Hedermann war Verfolgter des NS-Regimes und Häftling im KZ Mittelbau. An den „Charlie“ erinnert man sich freundlich in Niedersachswerfen. Aber nie wurde wohl auch nur daran gedacht, eine Straße nach ihm zu benennen. Wozu auch?
Tim Schäfer

Quellen:
www.dora.de
https://collections.arolsen-archives.org/de/search
Niedersachswerfen, Hilmar Römer
Zentrale Gefangenenkartei im Archivbestand DO 1 Ministerium des Innern- Bundesarchiv, Berlin,
www.bundesarchiv.de