Alexandra Rieger tritt zur Oberbürgermeisterwahl an

Der Laden muss laufen

Freitag
16.06.2023, 11:26 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Ein Elefant geht um in Nordhausen und er ist schwerlich zu ignorieren. Wenn der eigene Vorgesetzte des Amtes enthoben wird, wenige Monate vor einer richtungsweisenden Wahl, und wenn sich die gegen den Suspendierten angebrachten Vorwürfe zumindest zum Teil auf die eigenen Aussagen stützen, kann man dann noch selber zu dieser Wahl antreten?

Flucht nach vorne? - Alexandra Rieger will Oberbürgermeisterin werden  (Foto: agl) Flucht nach vorne? - Alexandra Rieger will Oberbürgermeisterin werden (Foto: agl)


Man kann. So jedenfalls haben es Alexandra Rieger und die SPD-Ortsgruppe der Stadt Nordhausen diese Woche entschieden. Gute zwei Tage nach der Ankündigung hat man inzwischen so manche Stimme gehört, die einen sind nicht überrascht, wollen von Beginn an Kalkül und Machtspiel gesehen haben und andere hatten eher nicht gedacht, dass es Rieger machen würde, aus eben jenen Gründen.

Dass die Sache nicht gut aussieht, gibt man auch bei der SPD unumwunden zu. Auf der einen Seite sei man froh, dass es vor dem Meininger Verwaltungsgericht endlich ein Verfahren gebe und die Institutionen des Rechtsstaates, neutral in der Sache und weit weg von Nordhausen, Klarheit schaffen können, erklärte der Nordhäuser SPD-Vorsitzende, Hans-Georg Müller gestern Nachmittag. Auf der anderen Seite sei der reine Umstand, dass es ein Verfahren gibt, in der jetzigen Konstellation nicht gut für die Aspirationen der SPD und ihrer Kandidatin.

Der Werdegang
Zur Erinnerung: Alexandra Rieger wurde vom Stadtrat vor knappen anderthalb Jahren zur Bürgermeisterin gewählt und setzte sich dabei gegen Amtsinhaberin Jutta Krauth (ebenfalls SPD Mitglied) durch. Die wäre Wunschkandidatin des OB gewesen, war für die Fraktionen im Stadtrat aber nicht mehr tragbar. Schon im Vorfeld dieser Wahl hatte man mit harten Bandagen gegen Rieger angekämpft, auch mit rechtlichen, doch am Ende unterlag Krauth zum missfallen Buchmanns und Rieger wurde ihm vom Stadtrat zur Seite gestellt. Dass der OB es der neuen Bürgermeisterin nicht eben leicht gemacht haben soll hörte man in den Wochen und Monaten danach immer wieder und von verschiedenen Seiten, aber nur anekdotisch und hinter vorgehaltener Hand, ein „rauchender Colt“, den man faktisch untermauert der Öffentlichkeit hätte vorlegen können, fehlt bisher.

Ein Muster lässt sich derweil schwer verhehlen, auch im Stadtrat beklagt man sich über das Gebaren und Auftreten des OB, mitunter schon seit Jahren, die Geschichten aus dem Rathaus fügen sich da nahtlos ein. Rieger selbst hält sich mit Bewertungen und öffentlichen Anschuldigungen wohl weißlich zurück, als „Teamplayerin“ habe sie im Rathaus bisher keine leichte Zeit gehabt, sagt sie gestern Nachmittag. Das man sie gar nicht erst hat mitspielen lassen, schwingt im Subtext mit, wird aber nicht klar geäußert. Was sie erlebt habe, wünsche sie keinem anderen, doch trotz allem mache sie ihre Arbeit gerne, man müsse eben auch einstecken können, sagt die frisch gekürte Kandidatin. Konkreter wird sie nicht, zumal von Seiten des OB auch Vorwürfe gegen ihre Person im Raum stehen und die, nach dem momentanen Wissenstand der nnz, von der ehemaligen Konkurrentin und Amtsvorgängerin Krauth untersucht worden sind oder noch untersucht werden. Rieger hält sich entsprechend heraus aus der Debatte um die „Causa Buchmann“.

Die kam Ende März mit der vorläufigen Suspendierung des Oberbürgermeisters durch die Kommunalaufsicht erst so richtig ins rollen, lief im Hintergrund aber schon deutlich länger. Die Behörde wird in der Öffentlichkeit durch das Landratsamt, respektive Landrat Jendricke, vertreten und der ist nicht nur selber SPD-Politiker sondern kennt auch Bürgermeisterin Rieger bestens, schließlich war sie lange Zeit seine Büroleiterin. Also alles ein abgekartetes Spiel? Game of Thrones, die Südharz Edition, „House of Cards - Nordhausen“ und die SPD zieht meisterlich die Fäden?

Nordhausen ist nicht Hollywood. Auch wenn die Analogie, gerade in letzter Zeit, näher zu liegen scheint, als einem lieb sein kann, so eindimensional ist die Sache nicht. Fakt ist, dass Buchmann es in knapp sechs Jahren nicht geschafft hat, im Stadtrat Verbündete zu finden, im Gegenteil, wenn dem amtierenden OB eines gelungen ist, dann den Rat gegen sich zu einen, einmal querbeet durch das politische Farbenspektrum hinweg. Selbst die Stimmen aus dem Rat, die das Vorgehen des Landratsamtes in der „Causa Buchmann“ kritisieren, lassen sich schwerlich als Freunde des OB beschreiben. Und das hat seine Gründe. Das an den Vorwürfen gegen Buchmann etwas dran ist, ist mit dem Blick auf die letzten Jahre daher durchaus vorstellbar. Genauso ist es möglich, dass hier nicht das „große Spiel“ gespielt wird, sondern die Ereignisketten schlicht zusammenlaufen. Und das nicht zum Nutzen sondern zu Ungunsten der SPD und Riegers.

Der Laden muss laufen
Denn im politischen Betrieb der Region, in den Ratsfraktionen und in der SPD selbst mag man die Fäden, die zur Suspendierung geführt haben, deutlicher sehen. Dass dies auch der Wähler tut, ist fraglich. Manchem Bürger dürfte Hollywood dann doch näher sein, als die Niederrungen und der Alltag der Nordhäuser Lokalpolitik.

Bei den Genossen pocht man jetzt darauf, die Sachen sauber voneinander zu trennen. Die Suspendierung Buchmanns sei eine Entscheidung der Dienstbehörde gewesen und die handele autark, sagt Müller gestern Nachmittag, mit der Arbeit der Verwaltung habe das nichts zu tun. Die Sachaufgaben müssten im Vordergrund stehen.

Das es so einfach nicht werden wird, zeigen schon diese Zeilen und der Vorlauf, den es braucht um zu dem zu kommen, was Rieger als OB-Kandidatin auf den Tisch legt. Schieben wir den Elefanten also für einen Moment aus dem Raum.

Alexandra Rieger ist sich ihrer Qualifikationen bewusst, fachlich steht sie fest im Verwaltungswesen und hält damit auch nicht hinter dem Berg. Im Rathaus müsse es dringende Veränderungen in der Organisation geben, zum Beispiel beim Bürgerservice. Der sei „die Eingangstür zur Verwaltung“ und im Moment personell ausgedünnt. Die Argumente für den jetzigen Zustand seien „unbefriedigend“. Man könne hybride Ansätze finden, die den Zugang zur Verwaltung sowohl digital wie auch analog möglich machten ohne signifikante Eingriffe im Stellenplan vorzunehmen.

Auch an anderer Stelle müsse es endlich weiter gehen, zu den Kiesteichen und dem Blasiikirchplatz etwa gebe es seit langem Beschlussvorlagen, die darauf warteten umgesetzt zu werden, die Flächen- und Wohnraumplanung müsse dringend neu aufgestellt, Verkehrsplanung und Mobilitätskonzept diskutiert und angegangen werden. Das Thema Sicherheit und Ordnung liegt bereits in Riegers Aufgabengebiet. Hier sei manche Sache schwerer vorangegangen als sie erwartet habe, etwa ein Vorstoß zur Videoüberwachung, an anderer Stelle habe man gemeinsam mit den Akteuren vor Ort, von Polizei und Ordnungsamt bis zu den Händlern der Innenstadt, mittelbare Lösungen für Probleme gefunden, erklärte Rieger mit Blick auf die Kranichstraße. Wolle man weiter kommen, müsse man den Bedürfnissen der Jugendlichen ebenso Beachtung schenken, wie der Durchsetzung der gesellschaftlichen Spielregeln. Und dafür müsse man miteinander reden können.

„Das Amt muss ein Kommunikationsplattform bieten. Ich habe in den letzten Monaten erlebt, wie die eine Hand nicht weiß, was die andere tut und das muss sich ändern. Die Stadt hat viele Potentiale die wir ausschöpfen können und müssen, wenn es voran gehen soll.“, erklärt Rieger. „Wir haben agile Unternehmen, deren Erfolge meist unter dem Radar laufen und Wertschöpfungsketten in der Region, die ausgebaut werden können. Wir haben mit der Berufsschule und der Hochschule viel Pfund, mit dem man wuchern kann und die Aussicht auf hochqualifiziertes Personal. Das sind Sachen die wir stärker an den Mann bringen müssen. Die Wirtschaftsförderung muss dafür viel stärker in den Fokus rücken und wir müssen zusehen, dass wir unsere Spielräume voll ausschöpfen und dabei nicht nur nach Erfurt, sondern auch vermehrt in Richtung des Bundes blicken.“ Nordhausen müsse Oberzentrum werden, die Debatten dazu im Landtag liefen noch und man habe aus dem Parlament gehört, dass die faktenbasierte Stellungnahme Nordhausens viel Zuspruch gefunden habe.

Die Stadt brauche eine solide Basis, um Vorhaben wie diese anpacken zu können und damit die nicht wackelt, müsse die Verwaltung mehr tun, als nur das Alltagsgeschäft zu betreiben. In den letzten Jahren sei vieles liegen geblieben, der Berg an Aufgaben entsprechend groß. „Der Laden muss laufen“, sagt Rieger und genau das sicherzustellen, sehe sie als ihre Hauptaufgabe. „Das hier ist kein 40 Stunden Job, wir machen das, weil wir für die Stadt und die Region leben und das gilt nicht nur für das Rathaus. Es gibt zwei große Behördenstandorte in Nordhausen und wenn wir unser Potential ausschöpfen wollen, dann müssen wir gemeinsam vorangehen.“

Stabilität und Fortschritt durch mehr Kompetenz, mehr Kommunikation, mehr Zusammenarbeit - damit will Rieger in den Wahlkampf ziehen. Ob es reicht, den Wähler zu überzeugen und die Seifenoper im Rathaus auszublenden, werden die kommenden Monate zeigen müssen. Ganz ohne Popcorn wird es wohl nicht abgehen.
Angelo Glashagel