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IFA-Museum und der 17.Juni in Nordhausen

Dienstag
13.06.2023, 13:33 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Man kann auch eine Meetingpause nutzen, um im IFA Museum die beeindruckende Ausstellung zu besuchen. So hat es Tim Schäfer gemacht, der sich die Tafeln zum 17. Juni 1953 angesehen und dazu Gedanken gemacht hat...

Doch erst einmal kam er beinah wegen Überfüllung nicht ins Museum. Im Eingang begrüßt mich ein älterer Herr am Gehstock freundlich, es geht gleich weiter, meinte er. Dabei war mein erster Gedanke, ob ich für ihn nicht einen Stuhl suchen sollte. Tatsächlich ist der Eingang voll von älteren, junggebliebenen Menschen. Man sagt mir „aus Grimmo“ angereist und lächelt. So gesehen dürften diese Besucher in der Mehrheit Kinder der DDR gewesen sein. Offenbar macht man im IFA Museum einiges richtig, was auch an der beeindruckenden Ausstellung deutlich wird. Mindestens für technisch interessierte, eine Augenweide. Vor der Halle plätschert sinnig ein Springbrunnen, der aus einem alten Dieselmotorrumpf besteht. Eine schöne Idee, nur nicht „wokeness“. Einem Grünen könnte dies einen kleinen Hix verursachen.

Die Tafeln zum 17. Juni 1953 im Obergeschoss sind wirklich sehenswert, informativ und lassen im Grunde nichts aus. Da geht es um die Vorgeschichte des so benannten Volksaufstandes, der auch in Nordhausen in starker Ausprägung stattfand. Dazu einige Gedanken, keine Dogmatismen:

Zunächst einmal, die SED sah sich als revolutionäre Partei neuen Typs leninscher Prägung, eine dogmatische Farce. Dem lag zu Grunde, dass diese Partei sozusagen Ausdruck von Willen und Bewusstsein der Arbeiterklasse, aller Werktätigen und Bauern sein sollte. Das war wiederum eine dramatisch verfehlte Ableitung irgendwelcher „Klassiker“. Es hat dieses Bewusstsein der Arbeiterklasse ja nur insoweit gegeben, wie dies zum jeweiligen und auch übergeordneten Nutzen war. Ein gesellschaftliches, objektives Gesetz war dies jedoch keinesfalls. Das zeigte sich schon 1953. Es waren massive Fehler dieser SED, die eine selbstbewusste Arbeiterschaft auf die Palme gebracht und zu Streiks und Putsch führten. Die SED hatte 1953 offenbar bereits die Tuchfühlung zur Arbeiterschaft verloren und sogar auf Warnungen aus der Sowjetunion ob der neuen Arbeitsnormen und Preise usw., nicht oder zu spät reagiert.

Auch in Nordhausen konnte gelten, an sich waren diejenigen, die Sprecher dieser Aufstände wurden, auch Helden. Aber nein, die Machtfrage gebot, diese abzuurteilen, drakonisch zu bestrafen und in den Westen fortzujagen. Das Narrativ des „Faschismus“ wurde bemüht, um nicht zuletzt von eigenen Fehlern abzulenken. Ein Beispiel war Otto Reckstat, der in Nordhausen zur Symbolfigur wurde. Am 8. Juli 1953 legte er ein berühmt gewordenes 16-Punkte-Programm vor, welches viele Forderungen auswies, die wir heute als „gewerkschaftlich“ zuordnen können. SPD-Mann Reckstat wurde im Oktober 1953 als „imperialistischer Agent“ wegen Kriegs- und Boykotthetze zu acht Jahren Zuchthaus sowie zu fünf Jahren Sühnemaßnahmen verurteilt, wurde aber 1956 aus dem Strafvollzug entlassen. Schließlich flüchtete er 1957. Die IFA- BBS, die Betriebsberufsschule, trug den Namen von Walter Ulbricht. Obwohl ja seine Parteiführung ebenso sozusagen „schuldig“ am 17. Juni gewesen ist. Das durfte damals aber niemand laut sagen. Im Gegenteil, noch in den 1980-er lernte ich in der Schule, dass die bestehenden antagonistischen Widersprüche zum 17. Juni geführt hatten und der Westen den Putsch herbeigeführt hat.

Heute sieht man das anders, liest viel vom Kampf um die Freiheit, darum sei es gegangen. Die konnte erst später, wiederum mit Hilfe aus dem Westen und dem Verdruss gegenüber den Sowjets und dem DDR-SED Regime erreicht werden, keine Frage. Die Nordhäuser Ausstellung zeigt dazu Artefakte der KGU, der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, bildlich. Es fehlt aber der Kontext. Denn diese Freiheitskämpfer haben einen hohen Blutzoll gezahlt. Die Geschichte wird heute als Volksaufstand offiziell wiedergegeben, das mag überhöht klingen. Freiheit, die Menschen wollten 1953 die Freiheit. Ja richtig. Die kleine Auslassung ist aber oft, dass die Freiheitskämpfer West nicht erwähnt werden. Die, die einen hohen Blutzoll in Ihrem Wirken gegen den Kommunismus in der DDR und die SED leisteten. Deren Einfluss aus dem Westen bis in die nördliche Provinz des damaligen DDR- Bezirkes Erfurt reichte. Das sollte in der Geschichtserzählung heute explizit nicht unerwähnt bleiben. In den Nordhäuser Betrieben, wie dem damaligen VEB Schlepperwerk (IFA) gab es hunderte von Flugblättern der KGU, die gewiss nicht zufällig platziert und disloziert worden waren. Der Arbeiter- oder Volksaufstand wurde also mitgeputscht. Die Freiheitskämpfer West, insbesondere der KGU sind auch in der DDR, auch mit Todesurteilen, abgeurteilt worden. Das sollte auch nie vergessen werden oder unerwähnt bleiben, die Fälle aber auch bewertet werden.

Nach dem 17. Juni wurde etliches korrigiert. Auch Reparationen an die Sowjetunion wurden zurückgefahren, es blieb mehr im Land. Im Westen war die Entwicklung anders verlaufen, der Osten damals dagegen durchaus motivierter. Stellen wir uns nur einmal vor, die Unterstützung des Westens, also nicht der Transfer in die Sowjetunion, hätte die damalige DDR genossen. Der Westen die Reparationen bezahlt. Wahrscheinlich, es hat ja auch im Westen „Arbeitskämpfe“ gegeben und es wurde gegen die Politik demonstriert. Man könnte sich also auch vorstellen, dass es im Westen zu einem Putsch geführt hätte, den der Osten dann seinerseits damals, süffisant mit der proletarischen Revolution und propagandistisch, auch subversiv, unterstützt hätte. Nicht zu vergessen, es war Kalter Krieg! Reine Illusion waren damals die Forderungen nach Deutscher Einheit von Ost- wie Westseite, denn längst waren die Zonen in die jeweiligen Bündnisse einbezogen und unterlagen den neuen staatlichen Ordnungen, die sich diametral gegenüberstanden.

Das IFA Museum in der Montaniastraße ist gerade aktuell mit der Sonderausstellung zum 17. Juni 1953 in der DDR ein Juwel in Thüringen, weil es neben der Technikentwicklung im Fahrzeugbau der planwirtschaftlichen DDR eben auch Kontext zur Geschichte im Sozialismus, von echten Zeitzeugen erlebt, auch von Enthusiasmus getragen und konkret verortet, vertritt. Besucher sollten sich eilen, diesen ehrenamtlichen Zeitzeugen die Ehre durch einen Besuch zu erweisen. Die 7 Euro Eintritt für Erwachsene lohnen sich auf jeden Fall.

Ein derartiges Juwel sollte weitere Zukunft und Unterstützung in Bund und Land Thüringen finden.
Tim Schäfer