Anspruchsvolle Kunst im blauen Zelt

Spagat der Hysterie

Freitag
02.06.2023, 14:23 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Unter dem Dach des blauen Nordhäuser Zirkuszeltes darf man nicht allein Unterhaltung sondern auch Kunst erwarten. Und die kann und muss sich auch mit komplexen Themen auseinandersetzen. Geschehen soll das morgen Abend mit dem Stück „Störung“ des Berliner „BÄM-Kollektivs“…

Hinter einem Lächeln kann sich großer Schmerz verbergen, doch nicht jeder Mensch der leidet, ist auch zwingend krank und manche Krankheit war über die Jahrhunderte mehr gesellschaftliches Stigma als klinisch greifbarer Befund. Psyche und Stigma, Identität, Geschlecht und Sexualität, gesellschaftlicher Druck und soziale Transformation - das Künstler:innen Kollektiv „BÄM“ aus Berlin hat sich mit dem Stück „Störung“ ein ganzes Netz aus komplexen Problemen vorgenommen und künstlerisch bearbeitet, in der Luft und am Boden, mit Wort und Bewegung.

Den Zugang sucht man über die Geschichte und die Biographien verschiedenster Menschen, berichtet Franzi, eine der sechs Künstler:innen des Kollektivs. Man schwingt sich vom Umgang mit all jenen die unter den Nazis als Anders und „störend“ drangsaliert, verfolgt und gemordet wurden zu Patientenbiographien der frühen Psychoanalyse, über die Hexenverfolgung bis zum breiteren Blick auf die heutige Gesellschaft, ihre Institutionen und Normen. „Den Ausgang haben wir am Begriff der „Hysterie“ genommen. Historisch wurde die gerade bei Frauen als vermeintliche Krankheit behandelt. Eine richtige Definition hat es aber nie gegeben, „Hysterie“ war eher ein gesellschaftliches Label und das wirkt bis heute negativ nach.“, erklärt Franzi. Die Betrachtungen drehen sich um das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft, die Frage wer krank ist und was krank macht, was als „störend“ empfunden wurde und wird, was Ursache und was Symptom ist. „Das ist ein ganz schöner Spagat. Auf der einen Seite wollen wir psychische Erkrankungen nicht negieren, auf der anderen Seite muss man betrachten, was medizinisch gegeben und was sozial gemacht ist.“

Im Zappelini-Zelt geht es morgen Abend um "Störungen" (Foto: Studio 44) Im Zappelini-Zelt geht es morgen Abend um "Störungen" (Foto: Studio 44)


Leichte Kost ist das nicht, zumal die im blauen Zappelini Zelt mit Tanz, Trapez und Sprechtheater serviert wird. Das Kunstkollektiv glaubt aber, ein gutes Rezept gefunden zu haben. „Der historische Ansatz hilft da, wir haben zum Beispiel Fotografien genutzt, die wir nachstellen können. Und von der artistischen Seite kann etwa die Luftartistik auch scheinbar Kleines groß werden lassen, weil die Freiheit der Möglichkeiten für uns ganz enorm ist.“

Zwei der Sechs Künstler:innen waren bereits im vergangenen Jahr im Nordhäuser Zirkuszelt zu Gast, darüber kam dann auch die Verbindung zum Sextett zu Stande. „Für uns war das Thema von Interesse, da haben wir gleich Nägel mit Köpfen gemacht und wir freuen uns sehr, das es geklappt hat“, sagt Steffi Böttcher. Große Kollektive wie „BÄM“ seien selten und bedeuten für das Bühnengeschehen immer auch eine Vielfalt in der Darstellung. Der Kartenvorverkauf läuft am morgigen Samstag noch bis 16 Uhr und online kommt die Karte etwas billiger.

Wer durchaus schwere kulturelle Kost nicht scheut, der findet morgen ab 19 Uhr Einlass im Zirkuszelt, die Vorstellung beginnt 20 Uhr.
Angelo Glashagel