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"Vogelgezwitscher" im IFA-Museum

Sonntag
16.04.2023, 09:28 Uhr
Autor:
psg
veröffentlicht unter:
Wenn es ein Museum in Nordhausen gibt, das weit über die Grenzen dieser Stadt bekannt ist, dann ist es das ehrenamtlich geführte IFA-Museum. Das war gestern nahezu "überfüllt". Grund dafür waren ein leibhaftiger und viele technische Zeitzeugen...

Kult und Nostalgie an der Montaniastraße (Foto: nnz) Kult und Nostalgie an der Montaniastraße (Foto: nnz)
Nostalgie bezeichnet eine sehnsuchtsvolle Hinwendung zu vergangenen Gegenständen oder Praktiken, so steht es in Wikipedia. Neben vielen anderen Gegenständen ist die sehnsuchtsvolle Hinwendung nach rollenden Zweiradprodukten aus Suhl wohl von Sassnitz bis Oberwiesenthal immer noch spürbar.

Die IFAraner in Nordhausen widmen den Vögeln sowie nachfolgenden Serien eine Sonderschau und knüpfen damit immer wieder an die Thüringer Tradition des Fahrzeugbaus an. Vom SR1 und KR 50 bis hin zum SR80 ist alles zu sehen, was sich Ingenieure unter der Marke Simson ausdachten und letztlich auch produzierten. Die Links zu mehr Informationen gibt es am Ende des Artikels.

Wie schon zu anderen Sonderschauen hatten sich die Macher des Nordhäuser Museums um Hans-Georg Franke einen kompetenten Zeitzeugen eingeladen. Joachim Scheibe (Jahrgang 1947), war in Suhl Chefkonstrukteur bis 1984 und dann in weiteren verantwortungsvollen Positionen im Kombinat Zweiradfahrzeuge tätig. "Es ist wichtig, dass wir Zeitzeugen haben, denn sie sind mit ein Garant dafür, dass unsere Geschichte nicht verloren geht. Besonders freut es mich, dass sich beim Thema Simson viele junge Menschen an diese Produkte made in GDR erinnern und sie - Jahrzehnte nach ihrer Produktion - fahren und pflegen", sagte Franke zur Begrüßung.

Joachim Scheibe bei seinem Vortrag (Foto: nnz) Joachim Scheibe bei seinem Vortrag (Foto: nnz)
Joachim Scheibe widmete einen großen Teil seines Vortrages der Historie des Suhler Standortes und berichtete unter anderen, wie er in den Wendejahren sowie danach miterleben musste, wie das System der Treuhand ihnen und vielen anderen Unternehmen in der ehemaligen DDR nicht den Hauch einer Entwicklungschance ließ. Wehmütig berichtete Scheibe, wie man ihn in der Treuhand in Berlin oder im damaligen Bonner Wirtschaftsministerium wie einen dummen, bettelnden Jungen abtreten ließ. 3.500 Arbeitsplätze seien, auch mit Hilfe der IG Metall, damals einfach so weggewischt worden. Umso mehr erfreut und verbindet es Suhl und Nordhausen, dass die Tradition des nicht ganz unbedeutenden Industriezweiges bewahrt und gepflegt wird. Die jungen Menschen sind vor allem an der S 51 interessiert, denn mit ihr kann man 60 kmh offiziell fahren. Eine Ausnahmeregelung im Einheitsvertrag machte und macht es möglich. Wie viele "Simsons" noch auf den Straßen unterwegs sind, kann nur geschätzt werden. Allein zum Simson-Treffen im vergangenen Jahr in Suhl wurden mehr als 1.000 Mopeds angemeldet.

Für Joachim Scheibe, aber auch für die IFAraner, die sich um die Bewahrung der Industriegeschichte verdient machen, ist die "Liebe" der Jugendlichen zur damaligen unkaputtbaren Zweiradtechnik eine mehr als kleine Genugtuung. Die Sonderschau im IFA-Museum ist noch bis Ende August zu sehen. Sie ist - das ist sicher - mehr als nur Nostalgie.
Peter-Stefan Greiner

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