nnz-Betrachtung: Wahlwiederholungen können doch etwas ändern

Dit is Berlin!

Mittwoch
01.03.2023, 19:11 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Wer dachte, nach der wiederholten Chaos-Wahl zum Berliner Senat vor drei Wochen bliebe alles beim alten und die rot-rot-grüne Koalition regiere trotz hoher Verluste weiter wie bisher, der wurde heute überrascht...

Jetzt präferiert die Regierende Bürgermeisterin ihre eigene Abwahl, will rot-rot-grün aufkündigen und stattdessen mit der CDU koalieren.

Wird der Thüringer Landtag noch Neuwahlen ausrufen? (Foto: nnz-Archiv) Wird der Thüringer Landtag noch Neuwahlen ausrufen? (Foto: nnz-Archiv)

Was das alles mit Thüringen zu tun hat, wird sich der eine oder die andere Leser fragen. Zumindest die Parteienkonstellation der Regierungen in Erfurt und Berlin sind identisch. Und auch das Thema einer fälligen Neuwahl beschäftigt den Freistaat bereits drei Jahre (und damit wesentlich länger als die Berliner brauchten, um sich wieder an den Urnen zu versammeln).

In Berlin sorgte die ehemalige Doktorin und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey heute für einen Paukenschlag, als sie verkündete, eine Koalition mit dem Wahlsieger CDU eingehen und damit auf ihr Bürgermeisteramt verzichten zu wollen. So erfreut die hauptstädtischen Christdemokraten darüber sein mögen, so frustriert sind die bisherigen Koalitionspartner.

Die grüne Spitzenkandidatin, Bettina Jarasch, die in der Wahlnacht schon die Führung der alten und neuen Koalition aus SPD, LINKEN und GRÜNEN beansprucht hatte, wird mit den Worten zitiert: „Dass sich die SPD und die CDU nun offenkundig füreinander entscheiden, zeigt dass kommt, wovor wir im Wahlkampf immer gewarnt haben: eine Rückschrittskoalition."

Der Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE, Tobias Bank verschickte sogar Pressestatements mit offenen Drohungen. „Ich warne vor einer Gefährdung des sozialen Friedens, welcher durch eine Koalition mit der CDU nur wahrscheinlicher wird.“ Sicherlich meint er im Gegenteil, dass der soziale Friede gefährdet sei, hätte dafür aber ein r beim Wort „welcher“ weglassen müssen. Noch revolutionärer äußerte sich die Berliner Landeschefin von Banks Partei, Katina Schubert. Sie bemühte ein Bild, nach dem sich „mit der Reaktion ins Bett“ gelegt werde.

Was noch Anfang des Jahres undenkbar war in der woken Bundeshauptstadt, in der die Einwohner inzwischen in den Senatsbehörden monatelang auf Termine warten müssen und laut original Berlinern „nüscht mehr funktioniert“, dass nämlich nach 22 Jahren wieder ein „schwarzer“ Bürgermeister das Erbe von CDU-Mann Eberhard Diepgen antreten könnte, rückt nun immer mehr in den Bereich des Möglichen.
Was hatte das jetzt noch mal mit Thüringen zu tun?
Bemerkenswert finde ich, dass eine Wahlverliererin in Deutschland doch noch die Größe aufbringt, auf ihr Amt zu verzichten. Anders als im „grünen Herzen“ Deutschland, wo sich ein Politiker nach sechs verlorenen Wahlgängen auf Anweisung der Bundeskanzlerin und starkem Rücktritts-Druck auf den eigentlich Gewählten schließlich zum Ministerpräsidenten mit dem Versprechen auf baldige Neuwahlen küren ließ. Jetzt sind es schon drei Jahre, die Thüringen auf die Umsetzung der Neuwahlen wartet. Eventuell wird der Wahlgang noch durch ein erfolgreiches Volksbegehren durchgesetzt, das den Landtag zum Handeln zwingt. Die Wahl käme dann lediglich kurz vor Ablauf der derzeitigen Legislaturperiode, aber es wäre ein starkes Zeichen für das Funktionieren der Demokratie und könnte den ramponierten Ruf Thüringens in diesem Punkt vielleicht etwas aufbessern.
Olaf Schulze