Kita-Studie

Immer noch nicht kindgerecht

Donnerstag
20.10.2022, 05:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
In Thüringen werden 91 Prozent der Kita-Kinder in Gruppen mit einer Personalausstattung betreut, die nicht wissenschaftlichen Empfehlungen entspricht. Zugleich kann das Angebot an Kita-Plätzen im Jahr 2023 den Betreuungsbedarf der Eltern fast voll- ständig erfüllen. Daher sollte sich das Land auf den Qualitätsausbau konzentrieren, so die Ergebnisse einer Bertelsmann-Studie…

91 Prozent der Kita-Kinder in Thüringen werden in Gruppen betreut, deren Personalausstattung nicht kindgerecht ist. Gleichzeitig gibt es in Thüringen fast ausreichend Kita-Plätze, um die Nachfrage der Eltern zu decken. Aufgrund sinkender Kinderzahlen fehlen im kommenden Jahr nur 300 von den erforderlichen 91.600 Kita-Plätzen.

Um die sehr geringe Lücke bei den Plätzen zu schließen und zugleich Personalschlüs- sel zu erreichen, die wissenschaftlichen Empfehlungen entsprechen, müssten zusätzlich rund 10.800 Fachkräfte eingestellt werden. Dadurch entstünden zusätzliche Personalkosten von über 558 Millionen Euro pro Jahr. Das geht aus den Berechnungen der Bertelsmann Stiftung für das aktuelle Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme hervor.

Um die Zahl der erforderlichen Kita-Plätze zu ermitteln, hat die Bertelsmann Stiftung die Betreuungsquoten der Kita-Kinder in Thüringen im Jahr 2021 mit dem Anteil der Eltern abgeglichen, die im selben Jahr in der Kinderbetreuungsstudie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) einen Betreuungsbedarf äußerten. Ein genauerer Blick zeigt, dass Thüringen bei den Kin- dern unter drei Jahren mit 54 Prozent die dritthöchste Beteiligungsquote bundesweit hat. Dennoch ist der Betreuungsbedarf von 60 Prozent noch nicht gedeckt. Auch bei den Kindern ab drei Jahren lässt sich der Bedarf von 99 Prozent mit einer Betreuungsquote von 96 Prozent noch nicht ganz erfüllen. Für beide Altersgruppen zusammengenommen, kann das Land aufgrund der sinkenden Kinderzahlen den Rechtsanspruch für alle Kinder, deren Eltern einen Platz möchten, 2023 umsetzen.

Kindgerechte Personalausstattung für frühkindliche Bildung schaffen
Allerdings kann nur ein Kita-Platz mit einer hohen Qualität Kinder in ihrer Bildung und Ent- wicklung fördern. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Anzahl qualifizier- ten Personals. Doch Thüringen hat sowohl in den Krippen- als auch in den Kindergarten- gruppen eine sehr ungünstige Personalausstattung. Der Personalschlüssel in den Krippen- gruppen liegt rechnerisch bei 1 zu 5,1. Das bedeutet, dass eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für mehr als fünf ganztagsbetreute Kinder verantwortlich ist. Damit betreut sie zwei Kinder mehr, als die Bertelsmann Stiftung empfiehlt. Dieser Personalschlüssel ist seit zehn Jahren fast unverändert; 2012 lag er bei 1 zu 5,3.

Zum Vergleich: Der Bundeswert liegt bei 1 zu 3,9. In den Kindergartengruppen ist der Personalschlüssel mit 1 zu 10,7 ebenfalls ungünstiger als der Bundeswert von 1 zu 8,4. Zwar hat sich bei diesem Gruppentyp die Situation seit 2012 leicht verbessert, aber im Vergleich zur Empfehlung der Bertelsmann Stiftung (1 zu 7,5) ist eine Fachkraft immer noch für mehr als drei Kinder mehr verantwortlich.

„Zwar wird Thüringen im nächsten Jahr ausreichend Kita-Plätze haben, um den Bedarf der Eltern zu erfüllen. Allerdings ist die Personalausstattung in der Mehrzahl der Gruppen nicht kindgerecht, sodass der Bildungsauftrag für die meisten Kinder nicht umgesetzt werden kann“, sagt Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stif- tung. Die größte Hürde auf dem Weg zu kindgerechter Personalausstattung in den Kitas bleibt der Fachkräftemangel. „Die Landesregierung muss endlich durch gesetzliche Reformen die Voraussetzungen für die Einstellung von mehr Personal in den Kitas schaffen“, betont Bock-Famulla. Das neue Kita-Qualitätsgesetz sieht vor, dass der Bund 2023 und 2024 jeweils bis zu zwei Milliarden Euro für die frühkindliche Bildung in allen Bundesländern bereitstellt. Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt, dass Thüringen diese Bundesmittel ausschließlich für eine bessere Personalausstattung verwendet.

Das Aufgabenspektrum von Kitas konsequent überprüfen und priorisieren
Der Fachkräftemangel ist ein doppeltes Problem: Denn zu wenig Personal in der pädagogi- schen Praxis verschlechtert nicht nur die Qualität der frühkindlichen Bildung für die Kinder, sondern auch die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte. Dadurch sinken die Chancen, vorhandene Mitarbeiter im Beruf zu halten, was den Personalmangel weiter verschärft. Damit dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann, braucht es eine langfristige und für die Kitas erkennbare politische Priorität für eine bessere Personalausstattung.

Allerdings wird es Zeit beanspruchen, die benötigten Fachkräfte zu gewinnen und vor allem zu qualifizieren. Der Personalmangel erfordert aber bereits jetzt wirksame Lösungen. In den Kitas kommt es darauf an, kurzfristig die Überlastung des Personals zu reduzieren. Das lässt sich zum Beispiel mit zusätzlichen Mitarbeiter in den Bereichen Hauswirtschaft und Verwaltung erreichen. Damit könnten sich die Fachkräfte mehr auf ihre pädagogische Arbeit konzentrieren. Vor allem aber muss das jetzige Aufgabenspektrum von Kitas konsequent überprüft und priorisiert werden. Denn die Anforderungen an das Kita-Personal sind sehr vielfältig und lassen sich mit der aktuellen Personalbemessung nicht mehr umsetzen. „Die Politik muss gemeinsam mit der Praxis und auch mit den Eltern die Frage beantworten: Worauf kann verzichtet werden, ohne das Recht der Kinder auf Bildung und gutes Aufwachsen zu verletzen?“, so Bock-Famulla.