Erinnerungen an Christoph 37

Warum fliegen, wenn man fahren kann?

Sonnabend
01.10.2022, 14:27 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Am Südharz-Klinikum feiert man heute den 30. Geburtstag des Rettungshubschraubers Christoph 37. Was dieser Tage selbstverständlich ist, begann allerdings mit einigen Herausforderungen und Schwierigkeiten, erinnert sich Susanne Schütz...

Warum ein Rettungshubschrauber, wenn ein Notarztwagen fahren kann?
Flap, flap, flap, flap. Das Geräusch von Hubschrauberrotoren war den Nordhäusern Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts noch gut vertraut, war doch zu DDR-Zeiten hier eine Hubschrauberstaffel der NVA stationiert. Neu war aber ab dem Herbst 1992, dass nun ein ziviler Hubschrauber in der Signalfarbe Orange startete und landete, um Leben zu retten.

Seit 30 Jahren ist „Christoph 37“ unterwegs, seit 2006 betrieben von der DRF, zuvor jedoch von der Bundespolizei. Immer aber in Zusammenarbeit mit dem Südharzklinikum und lokalen Rettungsdiensten.

Zu den Männern der 1. Stunde zählte auch Pilot Peter Adam. Der damals 33-Jährige hatte kurz zuvor einen Lehrgang absolviert, um den Hubschrauber Typ BELL UH-1D fliegen zu dürfen, bevor es für ihn hieß, im Südharz Rettungsmissionen zu erfüllen. Nicht nur für ihn war diese Abordnung Neuland.

Bis zur Grenzöffnung hatten die Piloten des damaligen Bundesgrenzschutzes an der innerdeutschen Grenze ihren Dienst geleistet. Erfahrungen im Rettungsdienst gehörten seit langem ebenfalls zu ihrem Aufgabengebiet – an Stationen in Kassel, Frankfurt/ Main und Ludwigshafen. Eine Station im jungen Thüringen aufzubauen, das jedoch war eine neue Dimension.

Die Lehrgangsteilnahme erwies sich für Adam als nützlich, denn im Gegensatz zu den sonst genutzten Hubschraubern des Typs BO 105 kamen in Nordhausen die BELL UH-1D- Maschinen zum Einsatz. Es gab nicht genügend BO 105 und so kaufte die Bundespolizei die Fluggeräte bei der Bundeswehr aus Abrüstungsbeständen und rüstete sie für den Rettungsdienst um.

Der erste "Christoph 37" war eine leuchtend orangefarbene Bell UH-1D die damals noch mit der Besatzung der Johanniter-Unfall-Hilfe flog (Foto: agl) Der erste "Christoph 37" war eine leuchtend orangefarbene Bell UH-1D die damals noch mit der Besatzung der Johanniter-Unfall-Hilfe flog (Foto: agl)


Ebenso provisorisch war der räumliche Start: Bis zur Einweihung der Rettungsstation am Krankenhaus war „Christoph 37“ auf dem ehemaligen NVA-Gelände am Darrweg stationiert. Für die technische Besatzung bedeutete dies ebenfalls eine Unterbringung auf diesem Gelände. Den Dienst von 7:00 Uhr im Sommer bzw. von 8:00 Uhr im Winter bis Sonnenuntergang versahen Pilot und Bordwart, ein spezieller Techniker, mit der Maschine am Südharzkrankenhaus. Dort wurde die Crew durch Notarzt und Rettungsassistent vervollständigt. „Wir waren alle hochmotiviert und das ließ uns auch so manche provisorische Situation meistern“, erinnert sich Hauptkommissar Adam.

Ehe die Luftrettungsstation mit Hangar und angeschlossenen Räumlichkeiten fertig gebaut und verfügbar war, arbeitete die Besatzung in einem bestehenden Technikgebäude auf dem Krankenhausgelände. Nicht an jedem Tag starteten die Luftretter zu vielen Einsätzen. Manchmal gab es nur einen oder zwei, bisweilen gar keinen Notruf.

Erinnerungen an die ersten Tage finden sich im Hangar bis heute  (Foto: agl) Erinnerungen an die ersten Tage finden sich im Hangar bis heute (Foto: agl) Die langen gemeinsamen Tage, gemeinsame Mahlzeiten und auch Aktivitäten außerhalb der Dienstzeit schweißten die Teams zusammen. Eine Fahrt im Trabi wird Adam im Gedächtnis bleiben, denn für ihn als Westdeutschen war das eine ganz neue Erfahrung: „Ich habe zunächst nur den 1. Gang und den Rückwärtsgang gefunden, denn Lenkradschaltung kannte ich nicht.“, blickt er augenzwinkernd zurück. Ebenso neu war für ihn auch die Harzquerbahn, denn den Rauch der Dampfloks hielt er anfangs einmal für ein Feuer in der Innenstadt, das er pflichtschuldig der Leitstelle meldete, bis der Irrtum aufgeklärt wurde.

Beeindruckend waren für den Piloten dagegen spektakuläre Landungen wie vor dem Kyffhäuserdenkmal. Belastende Erlebnisse gab es allerdings auch und hier war er froh, dass die Besatzung sich gegenseitig stützte. Nicht jeder Einsatz ließ sich einfach so wegstecken, gerade wenn Kinder betroffen waren, war der Zusammenhalt überaus wertvoll.
Gegenwind gab es auch an anderen Stellen: „Immer wieder wurde der Kostenfaktor in den Raum gestellt“, blickt der ehemalige Bundespolizist der Fliegerstaffel Fuldatal bei Kassel zurück. „Das war Neuland für die Kostenträger, die sich zunächst dagegen sperrten, die kostenintensiven Hubschraubereinsätze zu bezahlen.“

Christoph 37 ist heute ein moderner EC-135 (Foto: agl) Christoph 37 ist heute ein moderner EC-135 (Foto: agl)


Immer wieder forderten Krankenkassen Rechtfertigungen ein, warum nicht ein Notarztfahrzeug unterwegs gewesen war, sondern Christoph 37.
Auch die Erinnerungen an die NVA-Fliegerstaffel rief bei manchen Zeitgenossen bittere Gefühle wach, denn es gab Schmierereien an der Grundstücksmauer: „Der BGS muss weg!“ Glücklicherweise habe es sich hier nur um einen Einzelfall aus der Anfangszeit gehandelt.
Im Juli 1996 absolvierte Adam mit der BELL UH 1-D seinen letzten Flug in Nordhausen, bevor die robuste Maschine durch die kleinere BO 105 ersetzt wurde. Das bedeutete auch eine Umstrukturierung: Für den Bordwart gab es keinen Platz mehr, stattdessen übernahm der Rettungsassistent einige von dessen Aufgaben während des Fluges.

Als im Sommer 2006 der Leasingvertrag für die BO 105 auslief, zog sich die Bundespolizei aus der Rettungsstation in Nordhausen zurück.
Peter Adam ist mittlerweile pensioniert, nachdem er weiterhin im Rettungsdienst in Kassel und Frankfurt, bei Frontex-Missionen und allgemeinen flugpolizeilichen Aufgaben im Einsatz war. Der Stadt am Südharz ist er weiterhin verbunden, denn hier wohnt ein Teil seiner Familie, die er regelmäßig besucht.
Susanne Schütz