Frischzellenkur für DDR-Kunst

Ist das schon Geschichte oder kann das weg?

Freitag
23.09.2022, 17:00 Uhr
Autor
red
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Wer in Nordhausen die Sangerhäuser Straße hinauffährt, der sieht Ungewohntes. Das große Wandbild an der Turnhalle ist eingerüstet. Das Bild saniert, aber warum? Wann ist Vergangenheit mehr als das "Gestern"? Wann ist ein Stück Kunst auch ein Stück Geschichte? Und lohnt die Erhaltung?

Restauratorin Suzy Hesse arbeitet am großen Wandbild in der Sangerhäuser Straße (Foto: agl) Restauratorin Suzy Hesse arbeitet am großen Wandbild in der Sangerhäuser Straße (Foto: agl)


Irgendwann kommt der Tag, an dem man in den Spiegel blickt und die Spuren des Alterns schlicht nicht mehr zu leugnen sind. Ähnlich sieht es bei dem großen Wandgemälde in der Sangerhäuser Straße aus. Seit über 40 Jahren prangt das Kunstwerk an der Fassade der Turnhalle, man fährt daran vorüber und von dem einen oder anderen unschönen Graffiti einmal abgesehen, scheint sich in der Alltäglichkeit über all die Jahre nichts getan zu haben. Und dann kommt der Tag, an dem man genauer hinblickt, und die Falten sieht.

Der nagende Zahn der Zeit, er ist nicht zu verneinen. Wo sich in des Menschen Gesicht Falten eingraben, sind es hier Risse und Löcher in Gewebe und Putz, die erst beim zweiten Blick deutlich zu Tage treten. Restauratorin Suzy Hesse ist gerade dabei, dem in die Jahre gekommenen Bild eine Frischzellenkur zu verpassen. Es wird geklebt, geflickt, abgestrahlt und vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch noch einmal mit Farbe nachgearbeitet. „Dafür das dass Bild außen steht und voll bewittert wird sieht es noch erstaunlich gut aus“, sagt Hesse.

Das könnte auch an der Technik liegen, die der Schöpfer Gottfried Schüler damals angewandt hat. Statt einfach auf die kahle Wand zu malen hat der zu seiner Zeit namhafte DDR-Künstler Segmente aus schwarzem Glasfaserfließ genutzt und die geschwungenen Figuren per farbigem Putz Stück für Stück aufgetragen. Mit ein wenig Wärmezufuhr ist die Masse auch nach fast fünf Jahrzehnten noch flexibel und kann geflickt werden.

Aber warum macht man sich überhaupt die Mühe? Immerhin ist das Werk kaum ein halbes Jahrhundert alt und damit schwerlich antik. Auch Hesse ist es gewohnt, mit deutlich älterem Material zu arbeiten, etwa dem "Theodosius-Stein" am Rathaus oder mittelalterlichen Wandmalereien in alten Kirchgemäuern. Das man sich an der Restauration eines vergleichsweise jungen Stücks versuchen kann, komme eher selten vor, werde aber immer relevanter und das nicht nur im Osten. „50 oder 500 Jahre machen für uns keinen Unterschied, das Bild ist ein Relikt wie jedes andere auch und spiegelt seine Zeit wieder“, erzählt die Restauratorin. „Um den Wert einer Sache und ihre Zusammenhänge zu erkennen, braucht es eine Generation, das hat man uns schon im Studium mitgegeben. Für die DDR-Kunst sind wir diese Generation.“

Bei näherer Betrachtung sind die Spuren der Jahrzehnte deutlich zu erkennen (Foto: agl) Bei näherer Betrachtung sind die Spuren der Jahrzehnte deutlich zu erkennen (Foto: agl)


Viel ist nach der Wende denn auch nicht übrig geblieben, das Alte, nun scheinbar überflüssige, landete auf dem Müll, wurde überpinselt oder abgerissen. Bessere Überlebenschancen hatte die „Kunst am Bau“, die zu DDR-Zeiten an öffentlichen Bauten verpflichtend war und der tristen Einheitlichkeit sozialistischer Alltags-Architektur ein wenig Farbe geben sollte. Das Wandgemälde an der Frauenberg-Turnhalle steht inzwischen unter Denkmalschutz. Andernorts liegt Kunst verborgen, sagt Hesse. An der alten Nobas-Kantine etwa müsste es noch ein weiteres Werk Schülers geben und in Nord wird das Bild „Die Kinder der Welt“ hoffentlich unter dem Putz vor dem Zahn der Zeit bewahrt.

In der Sangerhäuser Straße sind die aller gröbsten Schäden schon beseitigt, die Feinarbeit wird sich aber noch bis Ende November hinziehen, so die Einschätzung der Restauratorin. Wenn alles gut geht, dann hält der „Facelift“ für die nächsten 50 Jahre. Dann wird sich eine andere Generation mit dem Erhalt ihres historischen Erbes auseinandersetzen und greift hoffentlich zu Kleber, Pinsel und Farbe.
Angelo Glashagel