Nägelstedter Bauerntheater beendet Aufführungsserie über Chaos bei der DB

Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst!

Sonntag
11.09.2022, 17:20 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Seine Dernière, also die letzte Vorstellung der Spielzeit, erlebte gestern Abend im Nägelstedter Bauerntheater die Inszenierung „Es fährt kein Zug nach irgendwo“. Für den Rezensenten war es dagegen eine Premiere. Eine mit erstaunlichen Eindrücken …

Ein ordentliches Chaos herrscht auf dem Bahnhof von Nägelstedt, wo kein Zug nach irgendwo abgeht. (Foto: Christopher Jäckle ) Ein ordentliches Chaos herrscht auf dem Bahnhof von Nägelstedt, wo kein Zug nach irgendwo abgeht. (Foto: Christopher Jäckle )

Viel Zeit zum Auftauen brauchte das Publikum in der gut gefüllten Theaterscheune nicht: die Nägelstedter wissen ganz offensichtlich Party zu machen und lassen sich auch durch die Tatsache nicht stören, dass die Veranstalter versehentlich eine Reihe mehr Karten verkauft haben, als Stühle zur Verfügung standen. Vom rhythmischen Klatschen über chorale Gesangseinlagen (unter anderem das Lied über das lustige Leben der Sinti und Roma) bis hin zu frenetischem Beifall für ihre Lieblinge auf der Bühne war alles dabei. Und weil die Truppe um Regisseur und Mitwirkenden Knut Seifert seit nunmehr 25 Jahren die Leute erfreut, war die Stimmung von Beginn an bestens.

Das Stück ist inhaltlich eher eins zum Heulen, doch dazu ließen es die hoch motivierten Darsteller nicht kommen. Getreu dem Motto: „Die Quellen aller Komik sind tiefe, leidvolle Erfahrungen“ wurde das „Gesamtkunstwerk Deutsche Bahn“ beleuchtet. Und wer meint, es wäre auch nur eine klitzekleine Übertreibung bei der vorgeführten Anhäufung von Ausfällen, Unfähigkeiten, Katastrophen und Kundenfeindlichkeiten dabei gewesen, der ist wohl schon lange nicht mehr selbst mit dem Unternehmen gereist.

So treffen sich drei feierwütige Kegelschwestern, ein undurchsichtiger Verschwörungstheoretiker, eine gestresste Managerin, eine erfolglose Motivationstrainerin und ein Ehepaar mit besten Scheidungsabsichten in einem Zug, der aber nicht weit kommt. Endstelle Nägelstadt; und von hier scheint es für die gestrandeten Reisenden kein Entrinnen mehr zu geben. Der einheimische Bahnhofspenner, der bürokratisch-penible Dorfpolizist und eine flüchtige Psychopatin befeuern zusätzlich die vor sich hingärende aufgeheizte Stimmung. Lediglich eine amerikanische Rucksack-Touristin erweist sich als selig-vergnügter Fremdkörper und findet alles „amazing!“.

Das Ensemble der diesjährigen Inszenierung im Bauerntheater (Foto: Christopher Jäckle ) Das Ensemble der diesjährigen Inszenierung im Bauerntheater (Foto: Christopher Jäckle )
In drei Akten zündet das Bauerntheater-Ensemble ein Feuerwerk an Gags und Kalauern ab, die in der Scheune immer vergnügter aufgenommen werden. Dazu spielt auf der Tenne eine Liveband und im Vorprogramm begeistert ein Kinderballett nicht nur die Eltern und Angehörigen. Draußen vor dem Aufführungsort herrscht ohnehin Volksfeststimmung an diversen Verkaufsständen. In den beiden Pausen mischen sich die Schauspieler unters Volk, als hätten sie auf der Bühne nichts zu tun.

Hatten sie aber; und das nicht zu knapp, denn Komödie und Volkstheater richtig zu platzieren erfordert viel Engagement und Disziplin. Und weil sie das alle sehr gut hinbekommen haben, konnten das Ensemble sich am Ende der diesjährigen Spielzeit auch gehörig feiern lassen. Zu Recht. Für den Rezensenten war der gestrige Abend mit Sicherheit keine Dernière und er ist schon gespannt, womit die Nägelsstedter im nächsten Jahr ihr Publikum unterhalten werden.
Olaf Schulze