Gespräche über Pflege, Impfpflicht und Chancen der Flüchtlinge

"Pflegeberufe sind besser als ihr Ruf"

Mittwoch
31.08.2022, 20:35 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Im schmucken Pflegeheim des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im Nordhäuser Marienweg wurden heute die neuen Arbeitsmarktdaten vorgestellt. Aber es ging auch um Ausbildung, ukrainische Arbeitslose und ungeimpfe Pfleger. Für die nnz war Olaf Schulze vor Ort …

Doreen Apel, Josephine Ernst und Nadja Pflug links neben drei neuen Pflege-Azubis, ganz rechts Uwe Kramer (Foto: oas) Doreen Apel, Josephine Ernst und Nadja Pflug links neben drei neuen Pflege-Azubis, ganz rechts Uwe Kramer (Foto: oas)

Von 365 Arbeitslosen im Kreis Nordhausen im April stieg die Zahl auf aktuell 783. Es sind unter ihnen noch weniger Einheimische von Arbeitslosigkeit betroffen als im Frühjahr, aber jetzt werden die ukrainischen Flüchtlinge mitgezählt. Die Hoffnung ist wieder groß, dass möglichst viele von ihnen in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können (vorausgesetzt sie wollen in Deutschland bleiben, was wohl etwa die Hälfte von ihnen in Nordhausen vorhat). Drei Viertel der rund 2.000 im Kreis während des Krieges angekommen Ukrainer, Tadschiken, Georgier und Menschen anderer Nationalität sind Frauen und Kinder. Einige haben schon Arbeit gefunden; auch beim DRK, wie der Vorstandsvorsitzende Uwe Kramer heute erzählte. Das Hauptproblem sei die Sprache, die erst erlernt werden müsse, stellte auch Arbeitsgenturchef Karsten Froböse klar. Eine Sprachkundigenprüfung 2 B sei zu bestehen, was bedeute, dass die Lernenden etwa 60 Prozent der deutschen Sprache beherrschen müssen, ehe sie arbeiten können. Und bis dahin sind sie arbeitslos.

Die regionalen Arbeitsmarktexperten schätzen, dass lediglich 25 Prozent der Angekommenen in qualifizierte Arbeit vermittelt werden könnte, der drei Viertel betragene Rest der Flüchtlinge käme wohl nur für Helferjobs in Frage. Die Industrie, so wussten Froböse und Kramer zu berichten freue sich über die neuen Arbeitskräfte und betrachte es als Chance, die Leute zum integrieren. Natürlich auch gerne in Pflegeberufen.

Uwe Kramer nutzte die Gelegenheit des Besuchs aus der Agentur gleich noch, um für das DRK als Ausbildungsbetrieb und für die Pflegeberufe zu werben, deren Image seiner Meinung nach aufgebessert werden müsse. Karsten Froböse stimmte ihm zu und lieferte Zahlen für die Bezahlung der Pflegekräfte, die seit 2017 angestiegen sind und inzwischen fast das Niveau der Bezahlung in den alten Bundesländern erreicht habe. Außerdem kann Kramer die Situation der Flüchtlinge gut einschätzen, denn seine Organisation betreibt das Ankunftszentrum in Nordhausen-Nord, wo ein Großteil der Ukraine-Flüchtlinge untergebracht sind.

Gut 1.500 Mitglieder zählt das Nordhäuser DRK, davon der Hauptteil als ehrenamtliche Helfer im Katastrophenschutz, als Sanitäter, in der Bergwacht oder im Jugend-Rotkreuz. Im Hauptamt sind 300 Mitarbeiter beschäftigt in drei Pflegeeinrichtungen, drei Rettungswachen, drei Kitas, einer Kleiderkammer, einer Servicegesellschaft mit knapp 50 Mitarbeitern oder eben auch im Ankunftszentrum. Ausgebildet wird in den Berufssparten Pflege und Rettungsdienst; eben erst wurde neun ehemalige Azubis übernommen. Am Sitzungstisch saßen heute auch fünf der sechs neu auszubildenden Altenpfleger, die gerade begonnen haben und mit Zuckertüten beschenkt wurden. Gern würden Uwe Kramer und seine Kollegen noch mehr junge Menschen für die Pflege gewinnen wollen, denn von den 2.000 offenen Stellen im Kreis sind auch einige in der Alten- und Krankenpflege zu besetzen. Eine Viertel der momentan in der Branche Beschäftigten sind „Babyboomer“, das heißt über 55 Jahre alt und werden demnächst in Rente gehen. Dass nicht dementsprechend viele neue Mitarbeiter in nächster Zeit nachrücken werden, ist kein Geheimnis. Nadja Pflug als Ausbildungsleiterinn und die Auszubildende im dritten Jahr Josephine Ernst erläuterten Ausbildungsinhalte und Beweggründe für die spannende und intensive Arbeit mit den alten Menschen.

Die einrichtungsbezogene Impfpflicht macht auch den Heimen in DRK-Obhut zu schaffen, denn es gibt hier eine Reihe von nicht (wie von der Bundesregierung per Gesetz geforderten) geimpften Pflegern. Uwe Kramer hält es für ungerecht, dass ausgerechnet die kleinste Gruppe der Gemengelage in Altenpflegeheimen zu einer Impfung gezwungen werden soll. Wenn Bewohner und deren Angehörige nicht auch einer Impfpflicht unterzogen würden, mache das für ihn keinen Sinn. „Die Impfpflicht benachteiligt die Menschen in Pflegeberufen ganz klar“, stellt er fest. Karsten Froböse als Arbeitsamtschef unterstützte diese Auffassung ausdrücklich. Bisher sei es noch nicht zu Kündigungen und einem Anstieg von arbeitslosen Pflegern gekommen, sagte er, aber bis jetzt gäbe es ja auch noch keine Betretungsverbote für umgeimpfte Pfleger in den Einrichtungen. Beide hoffen, dass die Landesregierung dieses letzte Mittel der Durchsetzung der gruppenbezogenen Impfpflicht nicht anwende werde.

Trotz der Unwägbarkeiten habe sich die Bewerbungssituation verbessert, freute sich Uwe Kramer; in diesem Schuljahr sind sechs neue Altenpfleger und zwei Rettungsdienstler in die Ausbildung beim Nordhäuser DRK eingestiegen und er hofft, dass er mit denen in drei Jahren auch ein solches Mittagessen veranstalten kann, wie er es heute mit seinen neun Absolventen bzw. neuen Mitarbeitern abgehalten hat. Ob die dann noch gegen Corona und wenn ja zum wievielten Male geimpft sein müssen, war heute nicht Gegenstand von Spekulationen.
Olaf Schulze