NACHTRÄGLICH BETRACHTET Von Kurt Frank

Eine trügerische Sicherheit?

Sonntag
10.04.2022, 13:31 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Die Impfpflicht ist vom Tisch. War das, was sich da im Bundestag abspielte, ein Sieg der Demokratie, der Impfgegner? Oder ist es doch mehr nur ein politisches Ränkespiel? Bei näherer Betrachtung scheint dem so...

Auffallend: Obwohl auch die CDU mehrheitlich für eine Impfpflicht war, ging sie keinen Kompromiss ein. Seltsam: Auch ihr Chef, Friedrich Merz, plädierte vordem noch für ein Ja. Sein Ministerpräsident von Nordrhein Westfalen, Hendrik Wüst, wurde nicht müde, nach jeder Ministerpräsidenkonferenz vehement im Fernsehen öffentlich für die Impfung zu werben. Schließlich, argumentierten beide Politiker, sei ja auch die Mehrheit der Bevölkerung und die Ärzteschaft dafür

Doch es kam anders. Merz und Co. vergaßen, was sie vordem predigten. Stattdessen führten sie die Koalition mit Kanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach vor. Welch eine Blamage für die Beiden. Dem CDU-Chef scheint es offensichtlich angebrachter zu sein, andere als Versager darzustellen, sich hingegen selbst in Stellung zu bringen. Er, was kein Geheimnis ist, möchte der künftige Kanzler werden.

Andererseits hätten Scholz und Lauterbach wissen müssen: Was soll eine Impfpflicht ab 60 Jahren, wo dieser Teil der Bevölkerung schon zu über 90 Prozent geimpft ist? So legt man sich die Eier selber ins eigene Nest. Dann ist da noch der Ampel-Koalitionspartner FDP. Deren Spitze begründete in einer schriftlichen Erklärung ihr Nein. Auch Wolfgang Kubicki. Selbst dreifach geimpft, hält er sie zwar für sinnvoll, eine Impfpflicht hingegen für völlig überflüssig. Die Doppelmoral gewisser Politiker mag der Leser selbst beurteilen.

„Wir hatten keine Überlastung des Gesundheitswesens und werden voraussichtlich auch keine bekommen“, posaunte Kubicki im Bundestag. Ob er sich da sicher ist? Krankenhäuser und das Robert-Koch-Institut sind da allerdings anderer Meinung. Vielleicht hätte Kubicki vorher in Krankenhäusern mal nachfragen sollen, bevor er seine Weisheiten in die Welt trägt. Beispielsweise auch den ärztlichen Direktor des Nordhäuser Klinikums. Professor Jens Büntzel äußerte sich unter anderem auch im Fernsehen.

Die Situation in der Klinik sei im Augenblick schlimmer als jemals zuvor, wird er im Internet zitiert. Das Corona-Virus führe zu erheblichen Personalausfällen. Mit etwa 21 Prozent so hoch wie nie. Ein Großteil der in Quarantäne befindlichen Mitarbeiter sei selbst an Covid-19 erkrankt. Teils müssten planbare Operationen wieder verschoben werden. Die Personalnot gehe zu Lasten derer, die noch Dienst tun.

Doppelschichten, kaum ein freies Wochenende, verschobener Urlaub. Ausgebrannt seien die Leute nach Jahren der Pandemie. Irgendwann sei die Überbelastung nicht mehr zu verkraften. So nebenbei sei kein Ersatz zu finden, um die Zahl der Abgänge aus der Intensivstation zu kompensieren. Wenn sie mit anderen Kräften aus anderen Bereichen ausgefüllt werden konnten, so fehlten sie jetzt dort.

Eine neue Welle im Herbst könnte schlimme Folgen haben, warnt der Chef des RKI. Vor allem für Menschen, die sich bisher nicht impfen ließen. Es wird hingegen gelockert. Gefühlte Sicherheit? In den Geschäften der Stadt, war gestern zu beobachten, tragen jetzt immer weniger Menschen eine Maske. Alles wieder Paletti? Die Pandemie schon Geschichte? Die Warnungen von Ärzten, nicht leichtsinnig zu werden, Panikmache?

Eine Antwort könnte der Herbst bringen. Vielleicht angesichts des Krieges in der Ukraine Überraschungen noch anderer Art, von denen heute wir noch nichts ahnen.
Kurt Frank