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Wir brauchen dringend mehr Fachkräfte

Freitag
11.02.2022, 12:25 Uhr
Autor
psg
veröffentlicht unter:
„Wir brauchen dringend mehr Zuwanderer“, sagte unser Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck über den Fachkräftemangel in Deutschland. „Wir sollten aber auch einmal darüber nachdenken, bereits vorhandene Ressourcen stärker zu nutzen und diese dann durch Fördern und Fordern zu unterstützen und zu aktivieren“, meint ein besorgter Leser der Nordthüringer Online-Zeitungen...


Der Fachkräftemangel in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr bekanntlich deutlich verschärft. Die sogenannte Fachkräftelücke habe sich im Jahresverlauf mehr als verdoppelt, berichtete das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (Kofa) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in seinem Jahresrückblick 2021. Die Zahl der offenen Stellen, für die es rechnerisch bundesweit keine passend qualifizierten Arbeitslosen gab, stieg demnach von rund 213.000 im Januar auf gut 465.000 im Dezember.

Besonders stark verschärft habe sich der Fachkräfteengpass zuletzt in den Berufsbereichen „Naturwissenschaften und Informatik“ sowie „Verkehr, Logistik, Schutz, Sicherheit und Gesundheit“. Ursächlich sind oft Defizite vor allem in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT).

Überwiegend betroffene Berufe sind aus dem Handwerk, sowie der Metall- und Elektroindustrie. Da frage ich mich ernsthaft: „Wer wartet in Zukunft unsere Fahrzeuge oder Heizungen?“ Darüber hinaus gehören auch viele Gesundheitsberufe zu den Engpassberufen. So besteht ein flächendeckender Mangel schon über viele Jahre zum Beispiel in der Altenpflege.

Aufgrund des demografischen Wandels verstärken sich die Engpässe zusätzlich. Laut aktuellen Vorausberechnungen wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter, also Personen zwischen 20 und unter 65 Jahren, bereits im Jahr 2030 um 3,9 Millionen auf einen Bestand von 45,9 Millionen Menschen sinken. Im Jahr 2060 sind dann schon 10,2 Millionen weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter.

Aber wie könnten wir diesem Trend entgegensteuern?
Als erstes sollten wir verstärkt auf das Potential zurückgreifen, das bereits in unserem Land ist.

So sollten wir versuchen, dass noch mehr arbeitslose Personen, auch die ohne berufsqualifizierenden Abschluss, motiviert werden, nach einer Tätigkeit als Helfer oder Helferin in einem von Engpässen betroffenen Berufsbereich suchen. Aufgrund der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns sollte es gegen die Besetzung der offenen Stellen keinen wirklich plausiblen Grund mehr geben. Wie die KOFA-Studie 2/2019 zeigt, ließe sich die Fachkräftelücke in insgesamt 30 der 204 Engpassberufe für Personen mit Berufsabschluss stark verringern oder sogar schließen, wenn arbeitslose An- und Ungelernte entsprechend qualifiziert würden.

Neben einer gesteuerten Zuwanderung von möglichst hoch qualifizierten Migranten, wie es in vielen anderen Ländern bereits üblich ist, sollte die Nutzung des großen oft ungenutzten Potenzials der Menschen mit Migrationshintergrund, die bereits in Deutschland leben aber noch nicht in der Arbeitswelt angekommen sind, stehen. Viele tausende zusätzliche Erwerbstätige könnten gewonnen werden, wenn diese Menschen noch viel stärker motiviert werden würden, sich bei der Integration und Ausbildung, entsprechend ihrer Vorbildung, engagiert einzubringen, um somit finanziell unabhängig zu werden.

Erster Schritt dafür könnte eine Einstiegsqualifizierungen sein. Wenn diese erfolgreich verläuft, könnte eine Berufsausbildungen anschließen und nach erfolgreicher Ausbildung in ein Beschäftigungsverhältnisse übergehen. Diesen Weg hatte meines Wissens auch das Nordhäuser Autohaus Peter bereits erfolgreich praktiziert. Auch wenn nur ein Teil der Teilnehmer des Projektes die Ausbildung erfolgreich beendet hatten, so wurden doch alle an ein Berufsleben in Deutschland herangeführt.
Sogenannte Willkommenslotsen können meines Wissens übrigens bei Fragen zu Sprachförderung, Aufenthaltsstatus, Qualifikationsbedarf sowie zu Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten kleinen und mittleren Unternehmen helfen.

Nach aktuellen Schätzungen arbeiten derzeit etwa 200.000 hoch qualifizierte Deutsche in den USA, der Schweiz und der Europäischen Union. Wir sollten versuchen, von diesem Erfahrungsschatz zu profitieren und diese Fachkräfte wieder für eine Karriere in Deutschland zu begeistern und somit zurück zu gewinnen.

Vor 15 Jahren studierten etwa 1,9 Millionen junge Menschen in Deutschland. Aktuell studieren hier 2,9 Millionen Studenten, von denen etwa 30%, so wie in den vergangenen Jahren, ihr Studium voraussichtlich vorzeitig abbrechen werden. Vielleicht wäre es möglich, durch eine verbesserte und die kognitiven Voraussetzungen besser berücksichtigende Berufsberatung die Jugendlichen und deren Eltern so zu lenken, dass zukünftig auch nur die studieren, die dazu wirklich geeignet sind. Denn Studienabbrecher verschwenden Ressourcen, verlieren Zeit und fehlen der Volkswirtschaft als Fachkräfte.

Im Jahre 2020 besuchten in Thüringen etwa 45.000 Schüler/innen eine Regelschule und etwa 49.000 ein Gymnasium. Ich glaube, diese Zahlen sprechen für sich. Denn wie verändert sich das Niveau an einer höheren Schule, wenn nicht nur die Besten dort unterrichtet werden. Das Niveau muss zwangläufig sinken.

Dadurch werden oft die leistungsstarken Schüler am Gymnasium unterfordert und nicht so gefördert, wie es angemessen wäre, die leistungsschwächeren werden überfordert und demotiviert. An einer Regelschule hätten diese Schüler Erfolgserlebnisse und könnten einen guten Realschulabschluss realisieren und vielleicht schwächere Schüler mitreißen.

Der „Wert“ eines guten Realschulabschlusses muss endlich auch wieder den Stellenwert erlangen, den er verdient. Denn Fachkräfte fehlen bekanntlich nicht nur im Topmanagement. Diese gut vorgebildeten Realschüler sollten zu gut ausgebildeten Fachkräften im Handwerk oder der Industrie werden. Auch dort kann man sich später weiter qualifizieren.

Nicht nur ein Studium, auch die duale Ausbildung ist einer der zentralen Erfolgs- und Standortfaktoren für die deutsche Wirtschaft. Jungen Menschen bietet sie eine praxisnahe und hochwertige berufliche Qualifikation mit vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten und persönlichen Karrierechancen.

Damit aber die duale Ausbildung auch in Zukunft ein Erfolgsmodell bleibt und den Anforderungen des Arbeitsmarktes der Zukunft gewachsen ist, brauchen wir motivierte und vor allem leistungsstarke Schulabgänger.

Aus diesem Grund müssen wir die Anforderungen im Realschulbereich anspruchsvoll halten. Es dürfen die Anforderungen an keiner unserer allgemeinbildenden Schulen weiter absenken werden. Denn die Schulbildung ist die Basis, sowohl für eine Ausbildung als auch für ein Studium. Fördern und Fordern sollte auch hier gelten.

Meines Erachtens werden wir nur mit Hilfe all dieser, von mir angesprochenen Lösungswege, die Fachkräftelücke in Deutschland schließen können.
acto, der Name des Autors ist der Redaktion bekannt.