Kreisvorsitzender der freien Wähler gesperrt

Meinungspolizei und Meinungsdiktatur?

Montag
22.03.2021, 18:59 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Der Unmut in den Reihen der Freien Wähler nimmt täglich zu. Aktuell empört viele Mitglieder der Umgang des Landesvorstandes mit den Facebookseiten der Kreisverbände. Da werden Kommentare und unbequeme Likes gelöscht und Kreisvorsitzende kurzerhand gesperrt...

Die Facebookseiten wurden jeweils nach Gründung der Kreisverbände vom Landesvorstand geschaffen. Als Redakteure der Seiten fungierten die jeweiligen Kreisvorsitzenden, die für Exklusivität und einen lokalen Austausch der Meinungen sorgten. Administrator und damit der Herr über den digitalen Radiergummi, ist der stellvertretende Landesvorsitzende Andreas Strehlow.

Angesichts vieler Unstimmigkeiten zwischen den Kreisverbänden und dem Landesvorstand häuften sich in der jüngsten Vergangenheit auch auf den Facebookseiten kritische Meinungen und Fragen. Solche Inhalte verschwinden jedoch umgehend. Der Landesvorstand postet stattdessen eigene Jubelberichte und Statements wohlgesonnener Parteifreunde. Damit sahen sich jedoch viele Mitglieder an der Basis nicht mehr realistisch wahrgenommen. Das Wort „Meinungspolizei“, welche Zensur ausübe, machte die Runde.

Längst wird in der Partei offen von „Meinungsdiktatur“ gesprochen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Ende 2020 beschlossenen Landeswahlprogramm. Wegen der Brisanz war das Thema „Gendern“ nicht in das Wahlprogramm aufgenommen worden. Doch dann geschah etwas Unglaubliches: Nachdem die Mitglieder dem Landeswahlprogramm zugestimmt hatten, „überarbeitete“ es der Landesvorstand und schrieb es gendergerecht um. Die Kritik wurde laut, der Landesvorstand habe sich ohne Zustimmung der Mitglieder einer „rot-grünen Pseudowissenschaft“ unterworfen.

Jedoch: Kritik an eigenen Entscheidungen will der Landesvorstand nicht hören und lesen. Also werden unbequeme Texte gestrichen und immer mehr Kreisvorsitzende von ihren eigenen Kreisseiten ausgesperrt.

Eine neutrale Information vieler Mitglieder über die Arbeit in ihren Kreisverbänden kann so nicht mehr stattfinden. Jens Diederichs, den der Landesvorstand bereits im Dezember 2020 von der Facebookseite „Freie Wähler Mansfeld-Südharz“, dessen Kreisvorsitzender er ist, gesperrt hatte, erklärt: „Gerade in Coronazeiten, wo persönliche Begegnungen und Versammlungen nicht mehr möglich sind, favorisieren viele Mitglieder den Meinungsaustausch per Facebook. Doch das torpediert der Landesvorstand.“ Günter Weiße, Kreisvorsitzender des Burgenlandkreises, wurde der Zugang zur Facebookseite seiner Kreisvereinigung Mitte Januar gesperrt. Jüngstes Beispiel einer Ausgrenzung der besonderen Art: Am vergangenen Sonntag, dem 21. März 2021, flog Thomas Schorsch, Vorsitzender im Saalekreis, von seiner Seite. Er sagt: „Dieser Landesvorstand ist an Selbstherrlichkeit kaum zu überbieten.“

Diese Selbstherrlichkeit kritisieren seit Längerem sechs Kreisvorsitzende. Sie klagen inzwischen gegen den Landesvorstand und fordern die Wiederholung des aus ihrer Sicht undemokratischen Listenparteitages sowie den Rücktritt des Landesvorstandes. Am 31. März findet die Verhandlung vor dem Landgericht Magdeburg statt.

Das wenig bürgernahe Vorgehen des Landesvorstandes hat zur Folge, dass die Lust vieler Mitglieder an der Parteibasis auf Wahlkampf - es stehen Landtags-, Bundestags- und teilweise Landratswahlen bevor - gegen Null tendiert.
Jochen Miche

Die Unterzeichner (in Reihenfolge s. o.):

Thomas Schorsch (Tel. 0176/80 62 63 62)
Volker Laabs (Tel. 01511/10 05 196)
Jens Diederichs (Tel. 01525/45 33 998)
Günther Weiße (Tel. 0171/72 22 729)
Jost Riecke (Tel. 0171/77 35 923)
Dieter Kühn (Tel. 0160/67 10 168)