Offener Brief an Nordhäuser Linke

Ich schäme mich nicht

Montag
15.03.2021, 08:53 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Im Kreistag scheiterte die Forderung nach einem "sicheren Hafen" auch am Votum der Christdemokraten. Mit dem, was dann folgte, setzt sich CDU-Kreistagsmitglied Carola Böck in einem offenen Brief an die Nordhäuser Linke auseinander...

Sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder der Kreistagsfraktion DIE LINKE, sehr geehrte Frau Umbach,

ich habe lange nachgedacht, ob und wie ich Ihnen eine Erklärung gebe und möchte doch Ihre Frage zum Abstimmungsverhalten zu Ihrer Beschlussvorlage aus der letzten Kreistagssitzung nicht unbeantwortet lassen:
„Schämen Sie sich nicht - als Christen!“ Ich gehe davon aus, dass diese von Ihnen nicht einfach unbedacht in den Raum geworfen wurde, sondern, dass Sie es ernst meinen: „Schämen Sie sich nicht - als Christen?“, denn Sie brachten Ihren Ausruf ja in den Zusammenhang mit dem Namen der Partei, der ich seit 25 Jahren angehöre: Christlich Demokratische Union!

Eine kurze Antwort ist: Nein! Ich schäme mich nicht! Ich schäme mich nicht für meine Ablehnung Ihrer Beschlussvorlage zum „Sicheren Hafen“. Ich schäme mich nicht für ein „Nein“ zu Absichtserklärungen ohne Taten, nicht für ein „Nein“ zu Worten, denen nur Worte und nicht Hilfe folgen, nicht für ein „Nein“ zu Polemik und zu oberflächlichen Versprechen, die nicht eingelöst werden.

Ich schäme mich auch nicht für das „C“ in meinem Parteinamen, weil es u.a. für das christliche Menschenbild, für Nächstenliebe, Unterstützung von Hilfsbedürftigen und die Wertschätzung des Lebens und der Menschen egal welcher Herkunft steht. Ich schäme mich auch nicht für das „D“ - demokratisch -, das für Auseinandersetzung, Diskussion, für den Bürger und seine freien Entscheidungen steht, für Verschiedenheit von Meinungen und Ansichten, die im Miteinander zu einem guten Ganzen werden. Ich schäme mich nicht, weil Ihre Beschlussvorlage und Ihre Diskussion einseitig und polarisierend dem Tenor folgten „Wer nicht dafür stimmt, der ist dagegen und ausländerfeindlich!“ Diese Art der politischen Auseinandersetzung ist in meinen Augen undemokratisch.

Aber ich möchte Ihnen auch schreiben, worauf ich stolz bin: Ich bin stolz auf meine Schulgemeinschaft, die seit 2015 knapp 100 ausländische Jugendliche aufgenommen hat, Kinder, junge Erwachsene, die an vielen Türen geklopft haben, und keine hat sich aufgetan. Ich habe ihre Augen gesehen, als wir „Ja“ zu ihnen gesagt haben.

Ich bin stolz auf meine Mitarbeiter und meine Schülerinnen und Schüler, die diese Vielfalt so selbstverständlich leben, in der jeder in seiner Einzigartigkeit stark ist. Ich bin stolz auf die Eltern und Einwohner der Region, deren Ängste heilen. Ich bin stolz auf unsere „Asylis“, verzeihen Sie diesen liebgewonnenen Kosenamen, die wir zusammen mit ihren deutschen Mitschülern zu einem erfolgreichen Schulabschluss geführt haben, die nun u.a. zu Pflegekräften, Bankangestellten, KFZ- Mechatronikern ausgebildet werden.

Ich bin stolz auf die Kleinen, die fleißig die deutsche Sprache lernen, um hier eine Zukunft zu haben. Oftmals nehmen die Schüler den Schulweg aus Nordhausen auf sich, und ich bin stolz, dass es seit langem keine Zweifel gibt, wenn wir Jugendliche nichtdeutscher Herkunft in unserer Gemeinschaft willkommen heißen. Ich bin stolz darauf, dass keiner mehr fragt, ob es geht, sondern nur noch – wie?!

Sehr geehrte Frau Umbach,
ich bin dankbar für diese Gemeinschaft und die große Unterstützung, die wir in unserem täglichen Tun durch das Landratsamt und auch durch das Schulamt erhalten. Immer finden wir gemeinsam einen Weg, eine Lösung für die Kinder und Jugendlichen durch ein intensives Miteinander.

Wir sind kein Modellprojekt, wir bekommen keine Fördergelder - Wir sind Wir! Ellrich hat keinen Hafen, aber bei uns kommen Kinder an, die unsere Hilfe, einen Ankerplatz, eine sichere Zeit auf ihrer Reise durch ihr Leben brauchen. Nein, dafür schäme ich mich nicht - auch wenn es mich immer wieder betroffen und traurig macht, wenn ich nicht helfen kann.

Ich wünsche uns für die Zukunft viele Aufgaben, die wir gemeinsam aus unterschiedlicher politischer Sicht meistern.

Ihre

Carola Böck
Mitglied des Kreistages