Pilotprojekt im Naturschutz (1)

Montag
10.11.2014, 09:49 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
Im Jahre 2013 starteten der Landschaftspflegeverband Südharz-Kyffhäuser und Bodo Schwarzberg ein Projekt besonderer Art: Das „Referenzprojekt Artenschutz“ widmet sich 20 Standorten bedrohter Pflanzenarten im Landkreis Nordhausen...


Das Projekt und seine Einzelflächen sollen im Rahmen einer kleinen nnz-Serie in Wort und Bild vorgestellt werden.

Anlass des Projekts waren die sich von Ausgabe zu Ausgabe verlängernden Roten Listen gefährdeter Farn- und Blütenpflanzenarten, was u.a. auf den „…Zusammenbruch der Schafhaltung mit Verschwinden kurzrasiger Triften, das Ausdunkeln der Wälder, Nährstoffeinträge und die Versauerung der Böden…“ zurückzuführen ist (Korsch, H., W. Westhus, K. HORN & W. JANSEN (2011): Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) Thüringens. - Naturschutzreport 26: 365-390.)

Warum „Referenzprojekt“?

Die im Zuge der aktiven Teilnahme an der floristischen Kartierung Thüringens im Landkreis Nordhausen seit 1996 gemachte Beobachtung, dass eine ganze Reihe bemerkenswerter Gefäßpflanzenarten auf kleinflächigen, oftmals nicht, nicht mehr oder nicht ausreichend gemähten oder beweideten Trocken- und Halbtrockenrasen sowie Feuchtwiesen und siedeln, war ein weiterer Grund, gemeinsam mit dem Landschaftspflegeverband Südharz-Kyffhäuser ein „Referenzprojekt Artenschutz“ zu planen und durchzuführen:

Das Wort „Referenzprojekt“ verdeutlicht dessen Pilotcharakter: Zahlreiche kleinflächige Standorte, mitunter schwer erreichbar, sollten allein aus Gründen des Artenschutzes wieder einer Pflege zugeführt werden. Pflege bedeutet dabei in erster Linie Entbuschung, Mahd und Entfernung des Mähgutes.

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Im Rahmen des Projekts gepflegte nährstoffärmere Feuchtwiese  im NSG Rüdigsdorfer Schweiz: Artenreiche Feuchtwiesen gehören zu den stark gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Biotoptypen Thüringens (Foto: Bodo Schwarzberg) Im Rahmen des Projekts gepflegte nährstoffärmere Feuchtwiese im NSG Rüdigsdorfer Schweiz: Artenreiche Feuchtwiesen gehören zu den stark gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Biotoptypen Thüringens (Foto: Bodo Schwarzberg)

Im Rahmen des Projekts gepflegte nährstoffärmere Feuchtwiese im NSG Rüdigsdorfer Schweiz: Artenreiche Feuchtwiesen gehören zu den stark gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Biotoptypen Thüringens. Hier wird das bunte Bild von der Sumpf-Dotterblume, dem Kleinen Baldrian und dem Schmalblättrigen Wollgras bestimmt.

Einst wurden unsere Trocken- und Halbtrockenrasen mit Schafen und Ziegen beweidet. Sie blieben ansonsten ungedüngt und entwickelten sich so mit zu den artenreichsten Lebensräumen, die wir in Mitteleuropa kennen. 40 bis 60 und- und Blütenpflanzenarten auf einem kleinflächigen Halbtrockenrasen, darunter Orchideen- und Enzianarten, sind im Gebiet des Südharzer Gipskarstes nicht ungewöhnlich. Ihre größte Ausdehnung erreichten diese besonderen landwirtschaftlichen Nutzflächen während des Mittelalters.

Mit dem Einzug der mineralischen Düngung in der Landwirtschaft zur Ertragssteigerung, ihrer Mechanisierung, der zunehmenden Rinderhaltung und dem damit verbundenen Niedergang der Wanderschäferei wurden sie verstärkt aufgegeben oder ihre Bewirtschaftung an die neuen Erfordernisse angepasst. Das bedeutete, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, Intensivierung, Umbruch oder Aufforstung.

Artensterben und Artenschutz sind global

Heute wissen wir, dass Artenvielfalt eine wesentliche Grundlage auch des menschlichen Lebens ist. Betrachten wir nur die zunehmende Abhängigkeit der Menschheit von einem Mix aus unterschiedlichsten Nutzpflanzen, die einst aus Wildpflanzenarten gezüchtet wurden.

Das in Thüringen gefährdete Schmalblättrige Wollgras (Eriophorum angustifolium) war seit mehr als 20 Jahren in der Rüdigsdorfer Schweiz nicht mehr nachgewiesen worden. (Foto: Bodo Schwarzberg) Das in Thüringen gefährdete Schmalblättrige Wollgras (Eriophorum angustifolium) war seit mehr als 20 Jahren in der Rüdigsdorfer Schweiz nicht mehr nachgewiesen worden. (Foto: Bodo Schwarzberg)

Das in Thüringen gefährdete Schmalblättrige Wollgras (Eriophorum angustifolium) war seit mehr als 20 Jahren in der Rüdigsdorfer Schweiz nicht mehr nachgewiesen worden.

Sie ist Teil des Ökosystems Erde mit all seinen Gliedern. Durch die globalen Eingriffe in den Naturhaushalt können viele Arten an ihren jeweiligen Standorten andererseits heute kaum noch ohne menschliche Hilfe überleben, womit zugleich eine weitere Grundlage für das „Referenzprojekt“ genannt ist. Beispielsweise durchstreiften einst große Pflanzenfresser, wie Wisente oder Auerochsen, den einst fast ausschließlich mit Wald bedeckten europäischen Kontinent. Nach der so genannten Megaherbivorentheorie sorgten sie für kleine waldfreie oder zumindest waldärmere Inseln inmitten des „grünen Ozeans“, auf denen sich je nach Lage und Untergrund auch Arten der heutigen Trocken- und Halbtrockenrasenarten und jene der Sümpfe und Moore etablieren konnten.

Längst gibt es diese Herden nicht mehr. Der Auerochse wurde bereits bis 1620 ausgerottet, der Wisent entging diesem Schicksal nur um Haaresbreite.

Neue Regeln im Naturschutz

Im Jahre 1992 verabschiedeten die damaligen EU-Staaten die so genannte Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie): Grob gesagt verpflichtet sie die EU-Staaten zum Schutz ihrer besonders „wertvollen“ Landschaften, deren Arteninventar inklusive. Die Qualität der ausgewiesenen sogenannten „FFH-Gebiete“ darf sich entsprechend dieser Richtlinie nicht (weiter) verschlechtern.

Die FFH-Richtlinie ist ein wichtiger Ansatz im europäischen Naturschutz, der jedoch nur durch lokale und regionale Aktivitäten mit Leben erfüllt werden kann: Das „Referenzprojekt Artenschutz“ soll ein kleiner, lokaler Teil der Bemühungen sein, um dieses Ziel zu erreichen. Weitere Grundlagen sind z.B. die nationale und die Thüringer Biodiversitätsstrategie, die sich das (teils schon einmal verschobene) zeitliche Ziel 2020 für einen Stopp des Arten- bzw. „Standort“sterbens gesetzt haben.

Gefördert durch „ENL“

Und es gibt noch einen weiteren Grund für das Projekt: Die heute gängigen Landschaftspflegeprogramme orientieren sich mitunter zu wenig an den Erfordernissen des Artenschutzes. Darüber wird in den folgenden 20 Beiträgen näher berichtet.

Finanziert wird das Projekt über ENL, das Programm „Entwicklung von Natur und Landschaft“
Hierzu heißt es auf der Webseite des Thüringer Umweltministeriums (https://www.thueringen.de/imperia/md/content/tmlnu/themen/naturschutz/vv-enl.pdf)

„Mit der Förderung von Maßnahmen zur Entwicklung von Natur und Landschaft sollen die Erhaltung und Verbesserung des ländlichen Natur- und Kulturerbes sowie der Freizeit- und Erholungswert ländlicher Räume gefördert werden. Dies soll vorrangig in den Nationalen Naturlandschaften, in den Natura 2000 - Gebieten und anderen Gebieten mit besonderer Naturausstattung in Thüringen erfolgen. Die vorgesehenen Maßnahmen sollen sowohl einen wesentlichen Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt als auch zur Sensibilisierung der Bevölkerung für Umwelt- und Naturschutzbelange leisten.

Zudem sollen sie dazu beitragen, die Lebensqualität im ländlichen Raum durch eine intakte und attraktive Landschaft zu erhalten und zu verbessern. Daraus sollen sich auch Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Räume ergeben, insbesondere durch die Verbesserung des Angebotes an Naherholung und Naturerlebnis („In - Wert - Setzung von Natur und Landschaft“)“.

Nicht denkbar ohne Landschaftspflegeverband

Die wesentlichen Teile der zeitlich und bürokratisch höchst aufwändigen organisatorischen Vorbereitung des „Referenzprojekts Artenschutz“ übernahm der Landschaftspflegeverband Südharz-Kyffhäuser unter Vorsitz des CDU-Landtagsabgeordneten Egon Primas und der Geschäftsführung von Astrid Koschorreck.

Die Planungsphase erstreckte sich über mehrere Jahre, was den enormen Arbeitsaufwand verdeutlicht. Er bezog sich vor allem auf die Kontaktaufnahme und die Kontaktpflege mit den Flächeneigentümern, auf deren Grundstücken ohne ihre Zustimmung keinerlei Pflegemaßnahmen möglich wären und auf den Schriftverkehr mit verschiedenen Behörden. Auch der Arbeitsplan, der, genau aufgelistet, die auf der jeweiligen Fläche durchzuführenden Pflegemaßnahmen enthält, wurde vom Landschaftspflegeverband, unter Zuarbeit des Autors, erstellt.

Ohne die tatkräftige Unterstützung und Wegbereitung durch die Untere Naturschutzbehörde um Martin Täger und Rolf Schiffler, hätte das Projekt ebenfalls nie verwirklicht werden können.

Doch was hätte all der Aufwand ohne die Möglichkeit des Landschaftspflegeverbandes genutzt, wenn er keine Vorfinanzierung des Projekts hätte erreichen können? Wie Geschäftsführerin Astrid Koschorreck betont, scheitern derartige Projekte sehr oft genau daran. Dem Vorstand ist hier etwas Besonderes und nicht Selbstverständliches gelungen.

Im August 2013 konnte die praktische Umsetzung und Auswertung des Projekts durch den Autor des Beitrages beginnen, der sich hiermit bei allen Beteiligten, insbesondere bei Egon Primas, Astrid Koschorreck, LPV-Mitarbeiterin Sarah Backhaus und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der unteren Naturschutzbehörde für ihren Einsatz bedanken möchte.

Nach gut einem Jahr liegen erste, viel versprechende Ergebnisse vor. In loser Folge werden einige von ihnen vorgestellt. Sie sind zugleich ein Beleg für die einzigartige Landschaft am Rande des Südharzes, die es für künftige Generationen zu bewahren und mit dem Ziel ihrer Erhaltung zu entwickeln gilt.

Vielleicht kann das Projekt auch Motivation für andere Regionen Thüringens sein, ähnliche Wege im Artenschutz zu beschreiten. Es soll ein Anstoß für neue Facetten sein, um die biologische Vielfalt in Deutschland zu erhalten.
Bodo Schwarzberg