nnz Betrachtung

Wahlgedanken III

Montag
18.09.2023, 15:00 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Emotion oder Sachlichkeit, Bauchgefühl oder informierte Entscheidung - was bestimmt den Wahlausgang, welchen Einfluss haben Medien und wie tickt die Kommunalpolitik? Vor der Stichwahl am kommenden Sonntag noch ein paar letzte „Wahlgedanken“…

Wahlgedanken, die Dritte (Foto: nnz/wikimedia commons) Wahlgedanken, die Dritte (Foto: nnz/wikimedia commons)

Eigentlich hatte ich geplant, an dieser Stelle auch einmal ordentlich die Zügel loszulassen, deutlich überspitzt, mit leicht humoristischer Note. Feststelltaste rein und vom Leder ziehen. In den letzten Jahren kann ja niemand so recht Zeitung gelesen haben, anders lässt sich doch nicht erklären wie das Ergebnis für beide Kandidaten zustande gekommen ist, etwas in der Richtung.

Der Furor der letzten Woche ist noch nicht ganz verraucht, doch die „Wahlgedanken“ sind ruhiger, introspektiver geworden und so soll es nun auch hier gehalten werden. Eine Partie wurde in den vorangegangenen Gedanken noch weitestgehend ausgeklammert und das sind die Nordhäuser Christdemokraten und ihr Kandidat, Andreas Trump, der heute als eine Art Leinwand wird herhalten müssen um sich mit ein paar drängenden Fragen auseinanderzusetzen.

Man habe Wahlkampf allein anhand von Sachthemen gemacht, sagte der Lehrer und Naturwissenschaftler Trump am Ende des ersten Wahlabends. Die Strategie reiner Rationalität ist nicht aufgegangen, es reichte nur für Platz vier, eine gewisse Enttäuschung ließ sich beim CDU-Kandidaten nicht verbergen. Auch an anderer Stelle wird am Abend von Wahlkämpfern berichtet, dass es mehr um „Emotionen“ als um Sachthemen gegangen sei. Die Frage ist nun, war dem tatsächlich so? Haben die unterlegenen Wahlkämpfer etwas fundamental missverstanden oder liegt man nur im allgemeinen Trend?

Als Beobachter im Außen hat sich mir ein nüchterner bisweilen eher langweiliger, typischer Nordhäuser Wahlkampf gezeigt, vom Drama um das Rathaus einmal abgesehen. Die Emotion muss also anderswo gelegen haben, bei den „guten Gesprächen“ im Straßenwahlkampf vielleicht, der sich dem Journalisten eher nicht erschließt. Würden wir jeden Wahlkampfstand begleiten, wir kämen zu nichts anderem mehr.

Betrachtet man wiederum das Wahlergebnis, so ist man doch geneigt, dem Resümee zuzustimmen. Glanzvoll ist die Bilanz weder für den einen noch den anderen Kandidaten, wenn man nah dran ist an der Kommunalpolitik. Und da liegt, so glaube ich, nicht nur ein Hase im Pfeffer. Dieser kleine Nebensatz ist ungeheuer wichtig, „wenn man nah dran ist“. Die meisten Leute, die meisten Wähler, sind es nicht. Die Damen und Herren Stadträte, das „politische Nordhausen“ und die kleine Gemeinde hiesiger Journalisten ist „nah dran“ und sicher gilt das auch für einige politisch Interessierte aber nicht zwingend politisch aktive Leserinnen und Leser. Der Großteil der Bevölkerung ist es eher nicht, würde ich vorsichtig vermuten.

Ich nehme an fast jedem Stadtrat und häufig auch am Kreistag teil. Ich kenne die Auseinandersetzungen zwischen dem OB und den Fraktionen, ihren Anfang, ihren Werdegang, die an Sturheit grenzende Halsstarrigkeit im Rathaus, die Stimmung im Stadtrat. Ich sehe gleichsam die zum Teil hanebüchenen Anträge, die von Seiten der AfD unter Führung ihres Fraktionsvorsitzenden in Stadtrat und Kreistag eingebracht wurden und auch viele, in meinen Augen sinnvolle Beschlüsse, die rundheraus von gleicher Seite abgelehnt werden. Ich schreibe es nieder, nach bestem Wissen und Gewissen in der Chronistenpflicht dem alten Ranke folgend „wie es eigentlich gewesen ist“. Nicht immer sind die Finger schnell genug und nicht jedes Detail, nicht jedes Wort, nicht jede Geste, nicht einmal jeder Beschluss kann übermittelt werden. Man sortiert und gewichtet in menschlicher Begrenzung gezwungenermaßen subjektiv, aber den Kern der Nordhäuser Kommunalpolitik, in ihrem Auf und Ab, findet auf der nnz, so hoffe ich, ausreichend Platz.

Ob das Geschriebene auch gelesen wird, ob und vor allem wie es verstanden wird, ob sich aus der Arbeit der „vierten Gewalt“ tatsächlich das Ideal der informierten Bürgerschaft speist, liegt nicht oder nur in sehr geringem Maße in meiner Hand. Von meiner Warte aus musste das Wahlergebnis überraschen, weil mir aus der Nähe zum Beobachtungsobjekt keine solche Ableitung vorstellbar war. Und das gleiche gilt für die Damen und Herren Stadträte und die unterlegenen Wahlkämpfer in den Parteibüros. Natürlich ist man schockiert, weil man nicht versteht, wie es möglich sein kann, bei allem was passiert ist, bei allem, was sich beide Seiten über die Jahre geleistet haben. Aber die meisten Wähler sind so nah eben nicht dran. Wenn wir im Freundeskreis viel zu selten zusammenkommen, muss erst einmal die Sachlage der letzten sechs Monate zusammengekehrt werden. Man verfolgt nicht jeden Stadtrats-Ticker, liest nicht jeden Bericht aus dem Hauptausschuss und blickt nicht auf jede Haushaltsdiskussion. Und wäre es nicht mein täglich Brot, ich würde es wohl auch nicht tun.

Ich glaube daher rührt ein gewisses Missverständnis über „den Wähler“. Es ist nicht so, dass die Stadträte eine der Realität enthobene Kaste wäre. Die Damen und Herren nutzen die gleichen Straßen, bringen ihre Kinder in die gleichen Schulen, gehen gewöhnlichen Berufen nach und bringen ihre Freizeit auf, um Nordhausen am Laufen zu halten. In der übergroßen Mehrheit wird die kleine Politik vor Ort ehrenhalber gestaltet. Die Distanz zum Wähler rührt eher von der oben beschriebenen Nähe zur eigenen Arbeit und der Distanz der Anderen. Und das ist ein großer Unsicherheitsfaktor, gerade in Wahlkampfzeiten. Eigentlich weiß keiner so recht, wie der Wähler tickt und man hört häufig nur dass, was einem der eigene Kreis widerspiegelt. Daran richtet man Taktik und Strategie aus. Man stochert im Nebel und hofft den richtigen Punkt zu treffen.

Was uns noch einmal zurück zur CDU und Herrn Trump bringt. Der hat immer wieder darauf hingewiesen, als Parteiloser zu kandidieren, der sich den Grundwerten der Christdemokraten verpflichtet fühlt. Das war, mit Verlaub, nichts Halbes und nichts Ganzes. Der Tanz auf zwei Hochzeiten hat sich nicht gerechnet, so es denn strategisches Kalkül gewesen ist. Unabhängig auf der einen Seite, aber das Erbe der Parteipolitik doch irgendwie mit sich herumtragend - dieses stochern im Nebel hat keinen soliden Boden gefunden. Fraglich ist auch, wieviel Unterstützung aus den Reihen der Nordhäuser CDU diese „Parteilosigkeit“ gekostet hat und ob die vor Ort stark vertretene „Werteunion“ nicht vielleicht schon auf eine mögliche Zusammenarbeit mit Herrn Prophet geschielt haben mag. Von außen ist das alles nur wohlfeile Spekulation, wie es sich wirklich verhalten hat, wird man nur innerhalb der Union wissen. Das ein Kandidat unter den Segeln der CDU „nur“ mit 11, 2 Prozent aus einer Wahl geht, parteilos hin oder her, kann und sollte den Christdemokraten allerdings zu denken geben, auch den „Werteunion’lern“.

Es irrt der Mensch so lang er strebt
Angesichts solcher Überlegungen kann man in einen noch tieferen Strudel an schwer zu beantwortenden Fragen tauchen. Geht Wahlkampf heute wirklich primär über „Gefühle“? Sind Sachthemen und Realpolitik wirklich nichts mehr Wert? Oder war es nicht vielleicht doch einfach der große, bundesweite Trend, der die Wahlverlierer an die Wand gedrängt hat? Ist es nur das „Drama“, dass in den Köpfen bleibt, nicht aber die Details? Hätte man selbst nicht mehr schreiben müssen? Öfter das "Salz in der Suppe" der nnz sein? Haben die vielen niedergetippten Worte der medialen Beobachter also überhaupt Gewicht, ist man das „Zünglein an der Waage“ oder würde das Wahlergebnis ohne nnz und Co. nicht vielleicht genauso aussehen?

Ein Blick auf die Umfragen in Sachsen, Brandenburg und den übrigen Freistaat müsste dazu verleiten, Letzteres zu bejahen. Für Rekordwerte braucht die AfD offenbar keine nnz. Bei aller Introspektion möchte ich dann aber doch nicht recht glauben, dass die vielen Stunden im Ratssaal vergeudete Zeit waren oder dass die politische Kultur dieser Stadt alleine bei den Emotionen zu packen ist. Es besteht unbestreitbar eine Kluft zwischen dem, was politisch passiert und dem, was in der Breite wahrgenommen wird. Diese Kluft zu schließen oder zumindest hier und da eine Brücke zu schlagen, muss Aufgabe des politischen Diskurses sein. Der wird heute primär im Netz geführt und Abseits der „sozialen Medien“ heißt das für unsere Region, auf die Gefahr der Selbstüberhöhung hin: er wird auf oder über die nnz geführt.

Ich habe über die Jahre öfter gehört, dass diese Zeitung nur noch ein rechtes Hetzblatt sei und gleichsam von anderer Seite, dass sie die einzig noch lesbare Zeitung ist. Egal wo Sie sich als Leser auf diesem Spektrum wiederfinden mögen, so möchte ich Ihnen zum Abschluss dieser „Wahlgedanken“ noch eines mitgeben: die Kommentarspalte der nnz ist, zumindest in meinen Augen (und ich mag mich irren), dass letzte verbliebene öffentliche Forum des politischen Diskurses in der Region. Die Redaktion war immer darauf bedacht, einem möglichst breitem Feld an Meinungen Raum zu geben, mit allen Schwierigkeiten, die das für uns mit sich bringt.

Diesen Raum zu füllen, liegt aber nicht in unserer Hand. Wir lesen hier alle mit, die Linken, die Rechten, die Gemäßigten, Liberale und Sozialdemokraten, AfD’ler und Christdemokraten, Senioren, Angestellte, Unternehmer, Kulturschaffende, Umweltschützer, Konservative, Studenten, Schüler, Beamte, Politiker, gewählte Vertreter und interessierte Bürger, ja mitunter selbst die, die behaupten die nnz schon lange nicht mehr zu lesen. Es liegt an Ihnen, liebe Nordhäuserinnen und Nordhäuser, diesen Raum zu nutzen. Es liegt an Ihnen, diesen Raum zu füllen und dem dringend nötigen Diskurs zwischen Politik und Bürger Gestalt zu geben. Vorzugsweise höflich, besonnen, sachlich, bei ruhigem Puls und ohne mit dem Finger auf die Feststelltaste zu rutschen.

Und nun ist erst einmal genug geschrieben. Wohin Nordhausen geht, liegt in der Hand der Wählerschaft und ein jeder von uns ist allein dem eigenen Gewissen verpflichtet. Wir werden sehen, was kommt. Die Entscheidung fällt am Sonntag.
Angelo Glashagel

Artikelreihe:

Wahlgedanken Wahlgedanken II