Nordhäuser Maßnahme macht Schlagzeilen
Viel Lärm um herzlich wenig
Der Landrat ist heute nur schwer zu erreichen, die nationalen Medien stehen bei Matthias Jendricke Schlange für Fragen und Antworten. Auslöser ist eine vermeintliche Arbeitspflicht für junge Bürgergeld-Empfänger. Außer einer neuen Härte in der Sache ist aber nicht viel revolutionäres an der Nordhäuser Idee…
Mit "Aktivierungsmaßnahmen" insbesondere für junge Erwachsene kennt man sich beim Horizont-Verein gut aus, etwa beim Projekt "WakeUp!", das schon 2014 durchgeführt wurde (Foto: Horizont-Verein/nnz-Archiv)
RTL und Sat 1., der NDR, die WELT, der Focus, viele Kameras, viele Mikrofone und gezückte Stifte - der deutsche Medienzirkus machte heute Halt in Nordhausen. Wie der Landrat kommt auch René Kübler an diesem Dienstag kaum aus dem reden und Interview geben heraus - sein Horizont-Verein soll die Maßnahme umsetzen, die seit gestern für den medialen Wirbel sorgt.
Und darum geht es: 60 junge Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren sollen dazu animiert werden, sich Sinn stiftend zu betätigen mit dem Ziel, sie für den Arbeitsmarkt fit zu bekommen. Dazu werden die Landwerkstätten des Vereins in Ellrich, Bleicherode und Heringen genutzt und das idealerweise so, dass auch die Kommunen noch etwas davon haben, etwa indem die jungen Hände beim Bauhof oder ähnlichem aushelfen. Als Aufwandsentschädigung zahlt das Jobcenter 1,20 Euro, wer nicht mit zieht, muss mit Kürzung der Sozialleistungen rechnen.
Neue Nordhäuser Härte
Inflationsangepasst ein Ein-Euro Job, in den Fachkreisen zwischen Vereinen wie dem Horizont, dem Jobcenter und der Agentur für Arbeit nennt man das dieser Tage Arbeitsgelegenheit oder kurz AGH-Maßnahme. Die Älteren werden sich an die ABM-Kräfte vergangener Tage erinnern, um nichts anderes geht es im Kern auch hier. Im Werkzeugkasten der Arbeitsämter ist das also eher kein revolutionäres Werkzeug.
Horizont-Geschäftsführer René Kübler im Mediengespräch, Archivbild (Foto: nnz-Archiv)
Neu sei, dass man von Beginn an stärker durchgreife, erläutert Renè Kübler. Wir beginnen jetzt jeden Morgen mit einer Klingelpartie, die Ordnungskräfte des Landratsamtes und unsere Leute stehen um sieben Uhr vor der Tür und begleiten die Teilnehmer zu den Werkstätten. Das hatten wir in der Form in der Vergangenheit nicht. Über stringentere Sanktionen und stärkere soziale Kontrolle sollen die jungen Damen und Herren dazu gebracht werden, sich produktiv zu betätigen. Ich komme selber aus der Jugendstraffälligenhilfe, da hat unser Verein seine Wurzeln, da haben wir unsere Erfahrung. Und die zeigt, dass man gerade jungen Erwachsenen zügig handeln und bei Fehlverhalten Konsequenzen aufzeigen muss. Wir sollten dafür sorgen, dass die jungen Leute ab dem ersten Tag im Bürgergeldbezug sinnstiftende Beschäftigungsangebote gemacht werden und dann auch stringenter zu Sanktionen greifen, wenn diese nicht wahrgenommen werden., erklärt Kübler.
Die Maßnahmen werden über das Jobcenter finanziert und sind im Moment auf drei Monate angelegt. Sollte sich zeigen, dass Teilnehmer eigentlich fit für den Arbeitsmarkt sind, werde man sie nicht über den ganzen Zeitraum beschäftigen, sondern weiterschicken, so Kübler weiter. Generell müsse es darum gehen, den Teilnehmern die nötigen Mittel an die Hand zu geben, um selber dorthin zu gelangen, etwa über feste Tagesstrukturen und geregelte Arbeitszeiten, sowie die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Übernahme von Verantwortung.
Wer sich ein bisschen in der Materie auskennt, erkennt auch darin den Jargon, der üblichen Aktivierungsmaßnahmen, die es landauf, landab seit vielen Jahren gibt und die insbesondere in Zeiten knapper Arbeitskräfte hervorgeholt werden, wenn das maximale Potential des Arbeitsmarktes für die Bedarfe der Wirtschaft herausgeholt werden sollen. Die Planungen für diese Maßnahmerunde läuft seit August, kann René Kübler berichten, Anlass sei die gestiegene Jugendarbeitslosigkeit. Die lag im Oktober in der Altersgruppe 15 bis 25 Jahre und für den Bereich SGB II - darunter fällt das Bürgergeld - in den vier Nordthüringer Kreisen bei 9,3 Prozent, was 707 Personen entspricht. Für Nordhausen lag die Quote bei 10,4 Prozent oder 342 arbeitslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Aus dieser Personengruppe wiederum wurden laut den gestrigen Medienberichten 60 für die neuen Maßnahmen in Betracht gezogen, tatsächlich arbeiten will man nun mit 30 Personen. Bei der jüngst begonnen Klingelrunde konnte 16 nicht angetroffen werden, vier sind krankheitsbedingt entschuldigt, übrig bleiben für den Moment also zehn, die aktiv in den Werktstätten des Horizont betreut werden. Wie viele davon am Ende des Pilotprojekts Aussicht und ausreichend Motivation gewonnen haben, um in Lohn und Brot zu kommen, wird man dann in drei Monaten sehen müssen.
Dampfplauderer der Demokratie
Das dieser eigentlich konventionelle Ansatz über die Kreisgrenzen hinaus für Wirbel gesorgt hat, darüber war man auch im Landratsamt verwundert. Wer die Region kenne und vielleicht auch noch wisse, was Vereine wie der Horizont machen, für den habe die Maßnahme wenig Überraschendes, ist aus der Pressestelle des Landratsamtes zu hören, wo man heute alle Hände voll zu tun hat, die überregionalen Medien zu bedienen.
Warum also der Wirbel? Es könnte daran liegen, dass Landrat Jendricke gerne auch an den Sanktionsmöglichkeiten drehen würde, die denen drohen, die ihre Pflicht verweigern. Im Moment kann das Jobcenter die Bezüge von Bürgergeldempfängern um bis zu 10 Prozent kürzen, erläutert René Kübler, was etwa 50 Euro pro Monat entspreche. Der eine oder andere verkraftet das noch. Besser und effektiver wären bis zu 30 Prozent Sanktion, sagt Kübler der nnz und auf dem Pfad dürfte auch der Landrat wandeln.
Die Gretchenfrage wird hier eine, die über Nordhausen weit hinaus geht: wie viel Geld braucht ein Mensch zum Leben und ermöglicht das Bürgergeld in seiner jetzigen Form eine menschenwürdige Existenz? Wie weit sollte und wie weit darf der Staat an dieser Grenze gehen? Daran scheiden sich die politischen Geister bundesweit.
Das ist die eine Möglichkeit. Die andere ist, dass reißerische Schlagzeilen wie die der Bild - man titelte gestern "Ab heute! Arbeitspflicht für junge Bürgergeld-Empfänger - ein gefundenes Fressen für die moderne Medienlandschaft sind. Aus der regionalen und recht ordinären Mücke wird ein nationaler Elefant von einigem Gewicht gemacht, den man der Aufmerksamkeitsökonomie gewinnbringend auf dem Altar des user engagement als Opfer darbieten kann. Aufregend muss es sein und ist die Substanz noch so banal. Aber da schreibt vielleicht der Zyniker.
Angelo Glashagel
Mit "Aktivierungsmaßnahmen" insbesondere für junge Erwachsene kennt man sich beim Horizont-Verein gut aus, etwa beim Projekt "WakeUp!", das schon 2014 durchgeführt wurde (Foto: Horizont-Verein/nnz-Archiv)
RTL und Sat 1., der NDR, die WELT, der Focus, viele Kameras, viele Mikrofone und gezückte Stifte - der deutsche Medienzirkus machte heute Halt in Nordhausen. Wie der Landrat kommt auch René Kübler an diesem Dienstag kaum aus dem reden und Interview geben heraus - sein Horizont-Verein soll die Maßnahme umsetzen, die seit gestern für den medialen Wirbel sorgt.
Und darum geht es: 60 junge Bürgergeldempfänger unter 25 Jahren sollen dazu animiert werden, sich Sinn stiftend zu betätigen mit dem Ziel, sie für den Arbeitsmarkt fit zu bekommen. Dazu werden die Landwerkstätten des Vereins in Ellrich, Bleicherode und Heringen genutzt und das idealerweise so, dass auch die Kommunen noch etwas davon haben, etwa indem die jungen Hände beim Bauhof oder ähnlichem aushelfen. Als Aufwandsentschädigung zahlt das Jobcenter 1,20 Euro, wer nicht mit zieht, muss mit Kürzung der Sozialleistungen rechnen.
Neue Nordhäuser Härte
Inflationsangepasst ein Ein-Euro Job, in den Fachkreisen zwischen Vereinen wie dem Horizont, dem Jobcenter und der Agentur für Arbeit nennt man das dieser Tage Arbeitsgelegenheit oder kurz AGH-Maßnahme. Die Älteren werden sich an die ABM-Kräfte vergangener Tage erinnern, um nichts anderes geht es im Kern auch hier. Im Werkzeugkasten der Arbeitsämter ist das also eher kein revolutionäres Werkzeug.
Horizont-Geschäftsführer René Kübler im Mediengespräch, Archivbild (Foto: nnz-Archiv)
Neu sei, dass man von Beginn an stärker durchgreife, erläutert Renè Kübler. Wir beginnen jetzt jeden Morgen mit einer Klingelpartie, die Ordnungskräfte des Landratsamtes und unsere Leute stehen um sieben Uhr vor der Tür und begleiten die Teilnehmer zu den Werkstätten. Das hatten wir in der Form in der Vergangenheit nicht. Über stringentere Sanktionen und stärkere soziale Kontrolle sollen die jungen Damen und Herren dazu gebracht werden, sich produktiv zu betätigen. Ich komme selber aus der Jugendstraffälligenhilfe, da hat unser Verein seine Wurzeln, da haben wir unsere Erfahrung. Und die zeigt, dass man gerade jungen Erwachsenen zügig handeln und bei Fehlverhalten Konsequenzen aufzeigen muss. Wir sollten dafür sorgen, dass die jungen Leute ab dem ersten Tag im Bürgergeldbezug sinnstiftende Beschäftigungsangebote gemacht werden und dann auch stringenter zu Sanktionen greifen, wenn diese nicht wahrgenommen werden., erklärt Kübler. Die Maßnahmen werden über das Jobcenter finanziert und sind im Moment auf drei Monate angelegt. Sollte sich zeigen, dass Teilnehmer eigentlich fit für den Arbeitsmarkt sind, werde man sie nicht über den ganzen Zeitraum beschäftigen, sondern weiterschicken, so Kübler weiter. Generell müsse es darum gehen, den Teilnehmern die nötigen Mittel an die Hand zu geben, um selber dorthin zu gelangen, etwa über feste Tagesstrukturen und geregelte Arbeitszeiten, sowie die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Übernahme von Verantwortung.
Wer sich ein bisschen in der Materie auskennt, erkennt auch darin den Jargon, der üblichen Aktivierungsmaßnahmen, die es landauf, landab seit vielen Jahren gibt und die insbesondere in Zeiten knapper Arbeitskräfte hervorgeholt werden, wenn das maximale Potential des Arbeitsmarktes für die Bedarfe der Wirtschaft herausgeholt werden sollen. Die Planungen für diese Maßnahmerunde läuft seit August, kann René Kübler berichten, Anlass sei die gestiegene Jugendarbeitslosigkeit. Die lag im Oktober in der Altersgruppe 15 bis 25 Jahre und für den Bereich SGB II - darunter fällt das Bürgergeld - in den vier Nordthüringer Kreisen bei 9,3 Prozent, was 707 Personen entspricht. Für Nordhausen lag die Quote bei 10,4 Prozent oder 342 arbeitslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Aus dieser Personengruppe wiederum wurden laut den gestrigen Medienberichten 60 für die neuen Maßnahmen in Betracht gezogen, tatsächlich arbeiten will man nun mit 30 Personen. Bei der jüngst begonnen Klingelrunde konnte 16 nicht angetroffen werden, vier sind krankheitsbedingt entschuldigt, übrig bleiben für den Moment also zehn, die aktiv in den Werktstätten des Horizont betreut werden. Wie viele davon am Ende des Pilotprojekts Aussicht und ausreichend Motivation gewonnen haben, um in Lohn und Brot zu kommen, wird man dann in drei Monaten sehen müssen.
Dampfplauderer der Demokratie
Das dieser eigentlich konventionelle Ansatz über die Kreisgrenzen hinaus für Wirbel gesorgt hat, darüber war man auch im Landratsamt verwundert. Wer die Region kenne und vielleicht auch noch wisse, was Vereine wie der Horizont machen, für den habe die Maßnahme wenig Überraschendes, ist aus der Pressestelle des Landratsamtes zu hören, wo man heute alle Hände voll zu tun hat, die überregionalen Medien zu bedienen.
Warum also der Wirbel? Es könnte daran liegen, dass Landrat Jendricke gerne auch an den Sanktionsmöglichkeiten drehen würde, die denen drohen, die ihre Pflicht verweigern. Im Moment kann das Jobcenter die Bezüge von Bürgergeldempfängern um bis zu 10 Prozent kürzen, erläutert René Kübler, was etwa 50 Euro pro Monat entspreche. Der eine oder andere verkraftet das noch. Besser und effektiver wären bis zu 30 Prozent Sanktion, sagt Kübler der nnz und auf dem Pfad dürfte auch der Landrat wandeln.
Die Gretchenfrage wird hier eine, die über Nordhausen weit hinaus geht: wie viel Geld braucht ein Mensch zum Leben und ermöglicht das Bürgergeld in seiner jetzigen Form eine menschenwürdige Existenz? Wie weit sollte und wie weit darf der Staat an dieser Grenze gehen? Daran scheiden sich die politischen Geister bundesweit.
Das ist die eine Möglichkeit. Die andere ist, dass reißerische Schlagzeilen wie die der Bild - man titelte gestern "Ab heute! Arbeitspflicht für junge Bürgergeld-Empfänger - ein gefundenes Fressen für die moderne Medienlandschaft sind. Aus der regionalen und recht ordinären Mücke wird ein nationaler Elefant von einigem Gewicht gemacht, den man der Aufmerksamkeitsökonomie gewinnbringend auf dem Altar des user engagement als Opfer darbieten kann. Aufregend muss es sein und ist die Substanz noch so banal. Aber da schreibt vielleicht der Zyniker.
Angelo Glashagel