Ein Bericht von Wolfgang Lehmann

Die Toten auf der Hardt

Montag
16.06.2025, 08:15 Uhr
Autor
emw
veröffentlicht unter:
Die Hardt- ein Berg im Norden Sondershausens mit reichen Geschichten und einer Atmosphäre, die von Mystik und Geheimnis umgeben ist. Vor vielen, vielen Jahren, als der heutige Wezel-Wanderweg, der nach Auleben führt, noch rege begangen war, passierte Unheimliches hier oben auf der Hardt...

Auf der Haardt im Wald. Grab des Lehrjungen Caarl Arnold von 1832 (Foto: Wolfgang Lehmann) Auf der Haardt im Wald. Grab des Lehrjungen Caarl Arnold von 1832 (Foto: Wolfgang Lehmann)


Mich selbst ergreift ein Grauen und Entsetzen, während ich diesen Bericht niederschreibe. Ja selbst die Tastatur meines Laptops macht von Zeit zu Zeit seltsame Fehler, als wollte sie den Dienst versagen.

Das Grab eines Lehrjungen
Für mich begann das alles mit einer Wanderung der Seniorengruppe des Hainleite-Wandervereins am 19.02.2025, nachzulesen in Kyffhäuser-Nachrichten vom 28.02.2025. Unsere Wanderführerin führte uns entlang des heutigen Wezel-Wanderweges, entlang des Grenzsteinweges, hinein in das Hammatal bis zur Stillen Liebe. Das Abenteuer begann aber schon nach etwa zwei Kilometern, oben auf der Hardt.

Die Wanderführerin führte uns etwas ins Dickicht und wir standen vor einem Steinkreuz. Darauf sind die Initialen C. und A. und die Jahreszahl 1832 zu erkennen. Vor dem Steinkreuz liegt eine Steinplatte, etwa so groß wie eine Grabplatte für einen erwachsenen Menschen. Eine Inschrift ist nicht mehr erkennbar. Was ist das? Diese Frage macht die Runde.

Gretchen, unsere Wanderführerin, hat einen Artikel aus der Thüringer Allgemeinen vom 15.03.2004 in der Hand. Daraus geht hervor, dass bereits im Jahr 2004 eine Wandergruppe unseres Vereins hier war und die gleiche Frage im Raum stand. Wanderfreund Rolf Fister machte sich auf Spurensuche. Im genannten Artikel schreibt er:“…stellen wir uns die Frage: Wer wurde dort begraben und warum wurde derjenige nicht auf dem Friedhof beigesetzt?“

So wie auch ich heute, stieß Wanderfreund Fister bei seiner Suche auf verschiedene Meinungen bzw. Deutungen. Er fand im Stadtarchiv die „Chronik Sondershausen von Edmund Döring und Hermann Müller“. Darin ist folgendes zu lesen: „1832: Auf der Haardt ist im Walde ein Steinkreuz mit einer Steinplatte errichtet worden. In diesem Jahr hatte sich der Lehrjunge Caarl Arnold erhängt.

Er war beim Nadlermeister Zierfuß in der Scherrmühle beschäftigt, hatte für den Meister Geld in der Stadt kassiert und beim Abliefern soll etwas von dem Betrage gefehlt haben. Dafür erhielt der Lehrling Strafe. Aus Reue erhängte er sich. Er wurde an Ort und Stelle begraben, denn Selbstmörder durften damals nicht auf dem Friedhof beerdigt werden.“

Diese Sache interessierte auch mich jetzt und ich begab mich selbst auf Spurensuche. Zunächst stieß ich auf einen Artikel von Frank Störzner in der Thüringer Allgemeinen vom 18.02.2015. Die Überschrift lautet: „Ein einsames Grab auf der Haardt“. Auch Störzner weist auf verschiedene Deutungen hin: Eine Sage berichtet von einer Frau aus Auleben, die auf dem Rückweg vom Markt in Sondershausen an dieser Stelle ihrer Einnahmen beraubt und erschlagen worden sei
Weiter ist von einem französischen Soldaten die Rede, der hier eine Frau erschlagen haben soll und

Als drittes spricht auch Störzner vom Nadler Lehrjungen, schreibt dessen Namen jedoch: Carl Arnold/ Anders.
In Störzners Artikel wird gesagt, dass das Steinkreuz im Jahr 1987 zum Bodendenkmal erklärt wurde.

Daraufhin habe ich das Stadtarchiv SDH angeschrieben und um Einsichtnahme eventueller diesbezüglicher Beschlüsse bzw. Unterlagen gebeten. Von dort erhielt ich die Nachricht, dass im Stadtarchiv keine diesbezüglichen Unterlagen vorliegen. Störzner verweist in seinem Artikel weiterhin auf das Regierungs- und Intelligenzblatt von 1833, welches ich in der Bibliothek des Schlossmuseums einsehen konnte. Im Anhang zu einem Artikel über Geburten und Sterbefällen des Jahre 1832 ist auf Seite 69 dort zu lesen: „Ein junger Mensch, hier in der Lehre, erhing sich aus Mißmuth und in kranker Seelenstimmung. Nach gesetzlicher Besichtigung wurde er im Stillen beerdigt.“ Mein Weg führte mich jetzt in die Sondershäuser Stadtbibliothek. Dort fand ich ein Buch von Hermann Müller mit dem Titel „Abschrift der Aufzeichnungen“. Aus einem kurzen Vorwort geht hervor, dass dieses Werk im Jahr 1977 fertiggestellt war.

Auf Seite 68 konnte ich nicht ganz wortgleich die Deutung zur Geschichte des Grabes lesen, wie sie auch Fister in seinem Artikel vom März 2004 verwendete. Fister zitiert hier „Haardt“. Im Original ist jedoch die Bezeichnung „Hardt“ zu lesen. Ich komme am Ende nochmals darauf zurück. An dieser Stelle möchte ich auf einen Fakt aufmerksam machen, der auch diese Interpretation wanken lässt. In seinen Aufzeichnungen schildert Hermann Müller (Chronist und Heimatforscher) dass die Schirrmühle (gemeint ist die Scherrmühle; d. A.) an der Ecke Pfarrstraße/Hauptstraße am 2. Juni des Jahre 1869 „durch ein Feuer völlig vernichtet“ wird.

Das Gebäude der Scherrmühle wird im Jahr 1870 durch den Fabrikant Hugo Stoll wieder aufgebaut. Stoll eröffnet darin eine Nadelfabrik. Der Nadler Lehrjunge hat sich jedoch schon 1832 erhängt. Müller führt auch aus, dass 1831 ein August Zierfuß aus Sondershausen sich nach Bad Frankenhausen begibt und dort die Knopfindustrie begründet. Sein Bruder tut Gleiches in Kelbra. Der Name Zierfuß ist zwar noch im Adressbuch Sondershausens aus dem Jahre 1929 nachweisbar. Aber eine Verbindung zur Scherrmühle konnte ich bisher nicht finden. Im Jahr 1831 ist Johann Philipp Riemann Besitzer der Scherrmühle. Im Jahr 1851 gehört sie Herrn Friedrich Hellmund. Dieser wird im Jahr 1860 zum Stadtverordneten gewählt. Die Scherrmühle verpachtet er an seinen Sohn. Die Familie Hellmund sind die Geschädigten des Brandes. So viele Fragezeichen.

Das Grab des Schuhmachermeisters
Während einer unseren letzten Wanderungen erhielt ich von Gudrun Jahn, unserer ältesten noch aktiven Wanderin, einen Hinweis. Ich solle die Nr. 179 der Zeitung „Der Deutsche“ aus dem Jahr 1904 lesen. Was wird mich da erwarten? Demnächst werde ich es wissen, denn ich habe einen Termin in der Bibliothek des Schlossmuseums. In der angegebenen Ausgabe konnte ich die Anfrage eines Bürgers lesen, …“welche Bewandtnis mag es mit der Steinplatte und dem Steinkreuz oben auf der Hardt haben?“ Also gab es auch damals schon Interesse und Unklarheiten zu dem oben genannten Grab. In der Ausgabe Nr. 180 vom 03.08.1904 der Zeitung „Der Deutsche“ gab ein Herr Schüler nachfolgende Auskunft: „Wie wir von einem alten Sondershäuser, Herrn Ludwig, hören, ist weiter links noch eine Grabplatte zu finden.

Dort liegt der Schuhmachermeister Justin begraben. Er hatte ein Haus in der Lohstraße (jetzt Reuther) gekauft, was ihn hinterher derartig gereut, daß er sich das Leben nahm. Bald darauf, als eine hochgeachtete Frau aus Schwermuth freiwillig in den Tod ging, wurde zum erstenmal von der Sitte, Selbstmörder gesondert zu beerdigen, abgewichen. Sie ist auch nicht wieder aufgenommen; man vergönnt seitdem den Unglücklichen ein Begräbnis auf dem Friedhofe.“ In der Folge gibt Schüler noch einen Hinweis auf den nachfolgenden Mordfall.

Mordfall Johanne Büchner
An diesem Punkt angekommen, bin ich zunächst ratlos. Ich wende mich an Herrn Grüner und bitte um Prüfung, ob noch weitere Unterlagen in der Museums- Bibliothek zur Sache vorliegen. Unter anderem übergibt er mir einen Artikel aus der „Roland Warte“ vom 09.April 1932. Darin befasst sich Staatsanwalt Max Kunze mit der letzten Hinrichtung in Sondershausen auf der Grundlage der Untersuchungsakte zu einem Mordfall, der im August 1860 am Auleber Wege auf der Höhe der sogenannten Hardt geschah. Und jetzt wird es richtig kriminell. Beim Lesen des Berichtes fühle ich mich in einen Horrorfilm versetzt. Am 15. August wird an der genannten Stelle die fast völlig entblöste schon stark verweste Leiche der Johanne Büchner aus Stollberg aufgefunden. In der näheren Umgebung werden verschiedene ihrer Kleidungsstücke gefunden.



Die Ermordete wurde bereits seit einer Woche vermisst. Bei der am gleichen Tag durchgeführten Leichenschau wurde festgestellt, „dass die Frau Büchner gewaltsam getötet war. Der Kopf wies auf der rechten Seite zwei schwere Verletzungen auf, die anscheinend mit einem scharfen Instrument verursacht und die Schädeldecke durchdrungen hatten.“ Der Verdacht richtete sich schnell gegen den 1812 geborenen Sondershäuser Steinsetzer Johann Christian Müller. Müller war schon mehrfach vorbestraft und hatte sich in den letzten Tagen rumgetrieben und wiederholt Essen und Trinken beim Lohwirt eingekauft und bar bezahlt. Ein Gendarm erhielt den Auftrag, den Müller festzunehmen. Der Gendarm fand diesen am 15. August im Park hinter dem „Erbprinzen“ in einem Graben hinter Büschen liegend.

Er war stark angetrunken und hatte eine geladene Pistole bei sich. Als Müller den Gendarmen wahrnahm, wollte er die Pistole ergreifen, möglicherweise, um sich selbst zu erschießen. Der Gendarm konnte den Müller jedoch überwältigen und lieferte ihn in die Fronfeste ein. Am folgenden Tag fand die „förmliche Leichenöffnung statt.“ Im Gutachten der Sachverständigen ist zu lesen: „die Durchbrechung der Schädelknochen der rechten Seite, wo ein Teil des Hinterhauptbeins, Scheitelbeins und Schläfenbeins zerstört ist, lässt eine Gewalttat voraussetzen, welche den Tod notwendigerweise nach sich ziehen musste.“ Obwohl bei Müller bereits im Park Sachen der Ermordeten sichergestellt wurden und er von mehreren Personen in Tatortnähe gesehen wurde, bestritt er zunächst seine Schuld.

Als jedoch festgestellt wurde, dass die Stiefeletten, die Müller bei seiner Festnahme und noch hier im Gefängnis trug, der Ermordeten gehörten, legte er ein Geständnis ab. Das liest sich dann im Bericht wie folgt: „Am 10. August, einem Freitag, habe er früh seine Wohnung verlassen und sei nach der Hardt hinaufgegangen. Er habe seinen Regenschirm bei sich gehabt, in dem er seinen Hirschfänger verborgen gehabt habe.
Etwa früh um 8 Uhr sei ihm an der Hardt oben am Bürgerzipfel die Witwe Büchner begegnet, die ihm einen guten Morgen geboten habe.

Er habe dann mit dem Hirschfänger auf sie eingeschlagen, worauf sie sofort auf den Weg niedergestürzt sei, ohne noch etwas zu sagen.
Der am Boden liegenden habe er noch einige Hiebe über den Hals und über den Kopf gegeben und sie in das Fichtendickicht am Auleber Weg geschleppt.
Hier habe er ihr Geld, das sie in einer roten Tasche bei sich trug (etwa sechs Taler), abgenommen und die Stiefeletten ausgezogen, dieselben die er jetzt noch trage.“ Dieses Geständnis ergänzte er später noch wie folgt: „… das die Büchner, als er sie an den Beinen in das Fichtendickicht geschleift habe, noch ein bisschen zappelte“ und er ihr deshalb „noch mehrere Hiebe auf den Kopf und Hals versetzt habe. Die Büchner habe er vorher nicht gekannt, er habe aber schon beim Weggang von zu Hause beabsichtigt, sich auf jede Weise Geld zu verschaffen.

Er sei seines Lebens müde gewesen, habe jedoch noch vorher eine Bosheit ausüben müssen, nachdem er schon drei Tage lang vergeblich seiner Frau aufgelauert habe, um diese zu ermorden.“

Am 29. Oktober 1860 fand die Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht in Eisenach statt. Es erging folgendes Urteil: „Es ist Johann Christian Müller von Sondershausen wegen des an der Witwe Büchner von Stollberg verübten Raubmordes mit dem Tode durch Enthauptung zu bestrafen.“

Nur Einer hätte Müller jetzt noch seinen Kopf retten können. In einer Entschließung teilte Fürst Günther Friedrich Carl II. mit: „so sehr es Meinem Herzen widerstrebt hat, das Todesurteil zu bestätigen, dennoch die Schwere der begangenen Missetat, die Rohheit, mit welcher sie ausgeführt, und der Mangel jedes, dem Verurteilten etwa zu Gute kommenden Milderungsgrundes Mir es nicht gestattet, von Meinem Recht auf Begnadigung Gebrauch zu machen.“

Am 1. März 1861 früh um 7 Uhr wurde der Verurteilte Müller mittels Beils im Garten des Kreisgerichtsgefängnisses Sondershausen enthauptet. Der Leichnam wurde unmittelbar nach der Hinrichtung auf dem sogenannten „Pestilenzflecke“ des Sondershäuser alten Friedhofs beerdigt.
Das war die letzte Hinrichtung, die in Sondershausen durchgeführt wurde. Soweit nachfolgend Todesurteile in Schwarzburg-Sondershausen verhängt wurden, erfolgte deren Vollstreckung in Erfurt.

In einem Artikel in der TA vom 10.04.2004 bezeichnet R. Fister diesen Mord als den Butterfrau-Mord. War Johanne Büchner die Butterfrau? Dazu habe ich in den alten Berichten keine Hinweise gefunden. Es gibt noch weitere Fragezeichen. Wer war die Frau aus Auleben, die auf der Hardt erschlagen worden sein soll? Wer war die Frau, die von einem französischen Soldaten hier oben erschlagen worden sein soll? Ich weiß auch das nicht. Möglicherweise würde man bei Grabungen auf der Hardt auf noch weitere Tote stoßen. Nach zwei Selbstmorden, einem Mord und trotz vieler Fragezeichen schließe ich heute meine Ermittlungsakte „Hardt“ und überlasse es Wanderern künftiger Generationen, weitere Ermittlungen anzustellen und die offenen Fragen zu klären.

Eine andere Frage ist noch zu klären. Es gibt verschiedene Schreibweisen zum Tatort. In neueren Quellen ist Haardt oder auch An der Haardt zu finden. So schreiben sowohl Fister als auch Störzner. In älteren Quellen findet man Hardt. In einem Stadtplan Sondershausens ohne Datumsangabe, geschätzt um 1990, findet man die Bezeichnung An der Hardt. In einer Wanderkarte von Sondershausen und Umgebung aus dem Jahr 1994 findet man die Bezeichnung Haardt. Im Jahr 2023 erschien eine wetterfeste Ausgabe eines Stadtplans und einer Rad- und Wanderkarte von Sondershausen.

Im Stadtplan und Straßenverzeichnis findet man hier die Bezeichnung Hardt. Aber auf der umseitigen Wanderkarte ist wieder Haardt zu finden.
Zunächst gehe ich davon aus, dass die Bezeichnung der älteren Quellen, z. B. der Bericht von Staatsanwalt Kunze zum Mordfall Büchner oder des Heimatforschers Hermann Müller (1891 bis 1984) stimmt, also Hardt oder An der Hardt. Schaut man bei Wikipedia nach, bezeichnet der Begriff Hardt „bewaldete Abhänge am Rande von Fluss- und Bachtälern“. Haardt hingegen ist die Bezeichnung eines „Mittelgebirgszuges am Ostrand des Pfälzer Waldes.“ Ich werde dieser Frage aber noch einmal nachgehen und zur Hardt gehen. Mal sehen, ob sich irgendwo ein Straßen- oder Ortsbezeichnungsschild findet.

Heute am Sonntag, den 01.06.2025 bin ich hinaufgestiegen. Der erste Wegweiser steht vor dem Ärztehaus Am Wippertor. Hier steht Haardt. Ein Stück weiter steht eine Hinweistafel zu einer Steinmetzwerkstatt. Auf der steht An der Hardt. Auf allen Wegweisern, die unterwegs noch kommen, ist die gleiche Schreibweise, wie auf dem vor dem Ärztehaus zu finden. Der letzte Wegweiser, direkt oben am Berg, steht vor einer Stempelstation mit der Nummer 102 (Tourismusregion Südharz-Kyffhäuser). Hier ist die Bezeichnung An der Hardt deutlich zu lesen.

Doch sollen diese Frage die Experten lösen, die sich mit der Herkunft und Entwicklung von Ortsbezeichnungen und der Anfertigung von Wanderkarten befassen.
So viel Ungereimtes. Es ist zu vermuten, dass die Geister der Toten in den mondhellen Nächten, wenn die Schatten der Bäume länger werden, noch immer auf der Hardt wandern. Und wenn du genau hinhörst, kannst du das Murmeln ihrer Stimmen hören.