Ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe sorgt für Aufregung. Das oberste deutsche Gericht entschied, dass die Bundesländer die Kosten für Polizeieinsätze bei Hochrisikospielen im Profifußball den Vereinen in Rechnung stellen dürfen. Das könnte der Anfang vom Ende beliebter Derbys sein …
Fans brennen Bengalos im Leipziger Bruno-Plache-Stadion ab (Foto: oas)
Vielen Menschen, die mit Fußball nichts am Hut haben, wird dieses Urteil gut gefallen und sie werden sich der Meinung des Bremer SPD-Innensenators anschließen, der fröhlich in die Kameras sprach: Die Entscheidung ist voll befriedigend, da bleibt nichts offen. Es ist ein sehr schöner Tag.
Die Stadt Bremen als kleinstes Bundesland hat nun erreicht, dass ihr eigener Bundesligaverein SV Werder zukünftig zur Kasse gebeten werden kann, wenn ein größerer Polizeieinsatz ins Haus bzw. Stadion steht. Richtig so, denken bestimmt auch viele unserer Leser, diese reichen Profis können ruhig dafür bezahlen, wenn ihre Fans sich nicht benehmen können.
Was aber ist ein Hochrisikospiel? Und wer schätzt das ein? Ist in Bremen lediglich das Nordderby gegen Hamburg riskant oder auch ein x-beliebiges Spiel gegen einen anderen Bundesligisten? Wer legt die Polizeikosten fest? Gibt es vor dem Spiel schon eine Rechnung oder erst im Anschluss? Und sind die Polizeieinsätze nicht eigentlich schon über unser aller Steuern bezahlt? Ist die staatliche Ordnungsmacht jetzt ein Dienstleister?
Die Befürchtungen, die mit dem Urteil einhergehen sind aber noch weiter gefächert. Wenn dieses jetzt richterlich abgesegnet Prinzip gut funktioniert und die Profivereine zahlen müssen, warum sollte dieses Procedere nicht auf andere Ligen angewandt werden? Oder auf andere Sportarten? Oder auf andere Demonstrationen? Warum sollte nicht die AfD den Einsatz der Polizei bezahlen, wenn Gegendemonstranten ihren Parteitag verhindern wollen?
Um den Bogen zur Region zu schlagen nehmen wir als Beispiel einmal die Bundesligastadt Leipzig. Die ist in der glücklichen Lage einen milliardenschweren Konzern als Betreiber ihres Bundesligisten zu wissen, der selbstverständlich in der Lage ist, etwaige Kosten für vermehrte Polizeieinsätze zu tragen. Die Stadt hat aber auch andere Vereine, die seit einhundert Jahren in immer haßerfüllterer Rivalität verbunden sind und in einer niederen Liga spielen. Wenn die BSG Chemie zu einem anstehenden Ortsderby gegen Lok in ihrem maroden Stadion Polizeieinsätze bezahlen müsste, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis der Insolvenzantrag des Traditionsvereins ins Haus flattert. Für das Rückspiel sähe es beim Kontrahenten nicht großartig anders aus. Lukrativer wäre es dann wohl für Lok und Chemie, sie sagten die Derbys ab und ließen das Sportgericht über die Punkteverteilung entscheiden.
Oder stellen wir uns das Derby Wacker Nordhausen gegen Eintracht Sondershausen vor, mit Fanmärschen durch die Stadt, Pyrotechnikeinsatz, gewaltbereiten Hooligans in beiden Lagern. Ist das dann auch ein Hochriskiospiel? Wenn diese Frage mit ja beantwortet würde, werden diese Vereine nicht ein einziges Derby finanziell überleben.
So weit ist es ja noch lange nicht, werden einige unserer Kommentatoren jetzt sagen, die schon mit den Hufen scharren, meine Befürchtungen hier als haltlos zu widerlegen und herunterzuspielen. Aber die ersten Aussagen in dieser Richtung wurden schon getätigt.
So löste das Urteil bei der Gewerkschaft der Polizei großen Jubel aus. Laut einer Presseerklärung habe der Beschluss weitreichende Folgen für alle deutschen Polizeibehörden. Nun besteht endlich Klarheit, wer die immensen Kosten für Polizeieinsätze bei Großveranstaltungen trägt. Das war längst überfällig, sagte GdP-Bundesvorsitzender Kopelke.
Das Urteil habe eine weitreichende Konsequenz, fährt die Gewerkschaft fort. Es betrifft nicht mehr nur die Polizeieinsätze bei Fußballspielen, sondern alle kommerziellen Großveranstaltungen mit Konfliktpotenzial. Die Entscheidung wird ein Präzedenzfall für ganz Deutschland sein und den Umgang mit der Finanzierung solcher Einsätze grundsätzlich beeinflussen, erklärt Kopelke.
Das Fanbündnis "Unsere Kurve" hat dagegen entsetzt auf das Urteil reagiert. "Es ist zu befürchten, dass damit der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland langfristig schwerer Schaden zugefügt wird", hieß es in einer Erklärung auf Anfrage des Sport-Informations-Dienstes. Linda Röttig aus dem Vorstand des Dachverbands der Fanhilfen kommentierte die Entscheidung so: "Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Freifahrtschein für einen immer aggressiver und martialischer auftretenden Polizeiapparat.
Anstatt die Vereine zur Kasse zu bitten, bestünde für die bewaffnete Staatsmacht natürlich alternativ immer noch die Möglichkeit, bestehende Gesetze einfach anzuwenden, Randalierer nicht nur namentlich zu erfassen, sondern sie auch einmal festzusetzen. Und Gerichte könnten diese Leute an den Kosten beteiligen, denn sie begehen die Straftat und nicht die Fußballvereine. Solch abschreckende Urteile würden vielleicht mittelfristig zur Deeskalation der Hochrisikospiele und zu Einsparungen bei der Polizei beitragen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist übrigens endgültig, eine Revision ist nicht mehr möglich.
Olaf Schulze