nnz-Betrachtung

Fool me once, fool me twice

Mittwoch
06.11.2024, 09:54 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
Aus gegebenem Anlass blicken wir heute einmal über den Teich - in den Vereinigen Staaten wurden gewählt und der Welt stehen vier weitere Jahre Donald Trump ins Haus. Mindestens...


An Nachrichten aus und zu den USA kam man in den letzten Wochen nur schwer vorbei, aber nicht alles, was man so liest, hat auch direkt etwas mit der Wahl zu tun. Vor ein paar Tagen führten mich die verschlungenen Pfade des Internets zu einer Story aus Tennessee, Wilson County, es ging um Schulbibliotheken. Genauer, um Bücher, die man in den letzten beiden Jahren qua Gesetz aus den Regalen hat entfernen lassen.

390 Titel sollen es laut dem Bericht inzwischen sein, der „Age Appropriate Material Act“ soll dafür sorgen, dass in den Schulen nur altersgerechte Literatur zu finden ist. Nacktheit, Beschreibungen sexueller Erregung, extremer Gewalt, Lüsternheit und Inhalte allgemein „anstößiger“ Natur können auf Antrag von Lehrern, Schülern oder Eltern aus den Bibliotheken entfernt werden. Der Artikel listet eine lange Reihe an Titeln auf, viele sind mir nicht bekannt, einige aber schon.

„Schlachthaus 5“ von Kurt Vonnegut ist dabei, eine Erzählung über die Schrecken des Krieges und der Zerstörung Dresdens, die der Autor selber mit erlebte. Keine leichte, aber sehr gehaltvolle Kost. Marget Atwoods „Report der Magd“ ist dabei, die dystopische Beschreibung eines Landes, in der die Frauen jedwede Rechte verloren haben und eine christlich verbrämte Autokratie herrscht. Ebenfalls nicht leicht zu verdauen, aber in jedem Falle lesenswert. Auch die Graphic Novel „Persepolis“ ist aus den Bücherregalen verschwunden, hier schreibt und zeichnet Marjane Satrapi über ihre Kindheit im Iran der Revolutionsjahre und ihre rebellische Jugend in einer anderen, neuen und fremden Welt. Wer dem Buch nicht zugetan ist, alle drei Titel wurden verfilmt und sind sehenswert.

Es hat sich etwas verschoben in den USA. In Tennessee ist man mit den Zensur-Bestrebungen nicht allein und der Kulturkampf macht bei den Büchern nicht halt. Die Abtreibungsverbote in diversen US-Staaten haben in den letzten Jahren eine ganze Reihe trauriger und tragischer Geschichten geschrieben. Von Waffennarren, Polizeiwillkür und Amokläufen müssen wir gar nicht erst anfangen.

Die amerikanische Seele war aus meiner europäischen Sicht schon immer schwer zu verstehen, seit heute morgen scheint es mir unmöglich. Die erste Wahl Donald Trumps war eine Überraschung, ein Paukenschlag, eine „menschliche Handgranate“ für das politische System, wie Filmemacher Michael Moore damals konstatierte und in der Rückschau, aus der Perspektive des liberalen Humanisten im Herzen Europas, eine vollumfängliche Katastrophe.
Nun sieht es so aus, als hätte Herr Trump seine zweite Wahl gewonnen und es war nicht einmal knapp. Sieht das Endergebnis so aus, wie beim morgendlichen Blick auf die Nachrichtenlage, dann holt Trump nicht einfach nur den allgemeinen Wahlsieg, sondern holt auch die „popular vote“, die Anzahl aller abgegebenen Stimmen. Die Republikaner gewinnen das Repräsentantenhaus und den Senat, das oberste Gericht konnte man schon in Trumps erster Amtszeit bereits maßgeblich besetzen. Die Kontrolle des „MAGA Movement“ wird absolut.

In der ersten Amtszeit sprach man gerne von den „Erwachsenen im Raum“, die den Präsidenten im Zaum gehalten haben sollen, die wird es in der zweiten Runde nicht mehr geben, das Umfeld, dass der Republikaner um sich geschart hat, spricht Bände. Man wird sehen müssen, was nun passiert. Macht Trump Ernst mit allem, was er im Wahlkampf so von sich gegeben hat und womit kokettiert wurde - Stichwort der „Feind im Inneren“, die Fantasie von „einem sehr gewaltsamen Tag“, oder auch das "Projekt 2025" - könnte es sehr, sehr hässlich werden.

Im englischen gibt es ein Sprichwort: „Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me“. Wer sich zwei mal vorführen lässt, ist selber Schuld. Dieser zweite Wahlerfolg ist keine Überraschung mehr, kein Versehen, kein Ausrutscher, die Amerikaner wissen, wen sie wählen und sie haben deutlich entschieden, das Schicksal ihres Landes in die Hände Donald Trumps zu legen.

Was der Welt jenseits der USA damit bevorsteht, ist nicht abzusehen. Ich hoffe, dass man sich in Europa einen Plan zurecht gelegt hat, wie man mit dem Mann in Orange umzugehen gedenkt. Aber ich habe auch gehofft, dass die Amerikaner sich anders entscheiden würden. Und blickt man auf die generelle politische Entwicklung, auch und gerade vor der eigenen Haustür, so scheint Nationalismus nach der Trump'schen „Wir zuerst“ Spielart doch weiter groß im Kommen zu sein. Nun mögen das nicht wenige Menschen beklatschen und für gut erachten. Wenn sich aber am Grabbeltisch der Weltgeschichte wieder ein jeder sicher ist, selbst die Größte, Beste und Würdigste Nation zu sein, wenn sich die Menschen wieder davon überzeugen lassen, dass nur das eigene Volk an erster Stelle stehen darf, ja stehen muss und das nur sie die „wahren“ Vertreter dieses Volkes sind, dann werden die Ellenbogen wieder ausgefahren. Und mir graut davor. Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es, aber sie malt ähnliche Bilder. Und die Szenerie, die gerade im Entstehen ist, so fürchte ich, haben wir schon viel zu oft gesehen und sie hält manch Schrecken bereit.
Angelo Glashagel