In der turbulenten Arena der deutschen Politik hat sich Sahra Wagenknecht einen bemerkenswerten Ruf erarbeitet – allerdings nicht unbedingt den, den sie sich womöglich erhofft hatte. Wo immer sie auftaucht, folgen Konflikte und Spaltungen wie ein unvermeidlicher Schatten. Nach der kalkulierten Demontage der Linkspartei wiederholt sich nun ein ähnliches Drama bei ihrer eigenen politischen Schöpfung, dem Bündnis Sahra Wagenknecht…
Wagenknecht/Wolf (Foto: Steffen Prößdorf, 2024-08-19 Event, Thüringer Wahlkampftour-Start des BSW in Eisenach STP 2971 by Stepro, Zuschnitt, CC BY-SA 4.0)
Das BSW ist mit 15,8 Prozent der Stimmen in Thüringen massiv durchgestartet. Im Wahlkreis Nordhausen I (Landkreis) erreichte es sogar 18 Prozent und Die Linke musste hier einen Verlust von über 21 Prozent hinnehmen; beide Direktkandidaten blieben in Stadt und Kreis Nordhausen chancenlos. Tritt das BSW nun das politische Erbe der Linkspartei an?
Thüringen ist bundespolitisch gar nicht so unbedeutend, wie gern mit Blick auf die Eigenarten und Ergebnisse bei den Landtagswahlen hingewiesen wird. Erfurt ist aktuell ein Brennpunkt der politischen Linken, wo sich ein erbitterter Machtkampf zwischen zwei fundamental unterschiedlichen politischen Philosophien entfaltet. Auf der einen Seite steht Katja Wolf, die als pragmatisch geltende BSW-Spitzenkandidatin und ehemalige Oberbürgermeisterin von Eisenach.
Wolf verkörpere den Typus der bodenständigen Kommunalpolitikerin, heißt es allenthalben, die greifbaren Ergebnisse erzielen will und die Kunst des Kompromisses beherrscht. Auf der anderen Seite thront Wagenknecht selbst, die politische Bestsellerautorin, weltanschaulich gefestigt, die in kompromissloser Manier ihre Vision einer fundamentaloppositionellen Politik durchsetzen will.
Die Friedenspräambel als Zankapfel
Der konkrete Konflikt entzündet sich an der sogenannten Friedenspräambel, einem diplomatischen Balanceakt, den Wolf mit CDU und SPD ausgehandelt hat. Das Dokument entstand durch Kompromisse, das allen Beteiligten erlaubt, ihre Grundpositionen zu wahren und dennoch einen gemeinsamen Weg zu finden. Für Wagenknecht jedoch scheint jeder Kompromiss ein Verrat an den Prinzipien zu sein. Mit einer Beharrlichkeit, die selbst langjährige Weggefährten erschüttert, blockiert sie systematisch jeden Versuch einer Annäherung.
Die Doppelmoral in diesem politischen Schauspiel wird besonders deutlich im Kontrast zu Brandenburg. Dort zeigt sich das BSW erstaunlich flexibel und lotet aus. Mit der SPD unter Ministerpräsident Dietmar Woidke wurden Vereinbarungen getroffen, die in der Substanz sogar weitergehend sind als die in Thüringen abgelehnten Kompromisse. Diese scheinbare Inkonsistenz offenbart eine tieferliegende strategische Kalkulation: Wagenknecht hat die Merz-CDU als strategischen Hauptgegner für die kommende Bundestagswahl auserkoren, während die Scholz-SPD aus taktischen Gründen geschont wird.
Die Medien als Waffe
Wagenknechts politische Methodik folgt dabei einem bewährten Muster. Statt interne Konflikte in den Parteigremien auszutragen, instrumentalisiert sie die Medien als Bühne für ihre politischen Manöver. Die Mikrofone sind stehts sehr nah und sie weiß um ihre Rolle als gefragter Talkshowgast. Ihre loyalen Gefolgsleute lancieren öffentliche Attacken gegen innerparteiliche Gegner, wie jetzt gegen Wolf, der sie provinzielle Kleinkrämerei vorwerfen – symbolisiert durch den höhnischen Verweis auf das Bratwurstgrillen in Thüringen.
Diese Episode enthüllt Wagenknechts grundlegendes politisches Dilemma: Als Anführerin einer neuen Anti-Establishment-Bewegung von Links scheut sie die Mühen der konkreten politischen Gestaltung. Die alltägliche Regierungsarbeit mit ihren unvermeidlichen Kompromissen und Sachzwängen könnte ihren sorgsam gepflegten Nimbus als unbestechliche Systemkritikerin beschädigen. Stattdessen kultiviert sie lieber ihre Rolle als Protestikone.
Besonders erhellend ist der Kontrast zwischen den Entwicklungen in Thüringen und Brandenburg. In Potsdam gelang eine Einigung, weil dort mit Robert Crumbach ein erfahrener Arbeitsrichter und Mediator die Verhandlungen führte, und weil Wagenknechts Vertraute von Anfang an am Tisch saßen. In Erfurt hingegen prallen mit der Kommunalpolitikerin und pragmatischen Wolf und dem kompromisslosen Wagenknecht-Lager zwei unvereinbare politische Kulturen aufeinander.
Das BSW steht damit vor einer existenziellen Zerreißprobe. Wenn durch Wagenknechts kompromisslose Blockadehaltung Neuwahlen provoziert werden und die AfD davon profitiert, könnte sich das politische Momentum gegen sie wenden. Die historische Ironie wäre perfekt: Ausgerechnet ihr größter politischer Erfolg – die Gründung einer eigenen Partei, die auch noch ihren Namen trägt, – könnte an ihrer charakterlichen Unfähigkeit zur konstruktiven Politik scheitern.
Die verpasste Chance
Die tiefere Tragik liegt darin, dass Wagenknecht durchaus wichtige Fragen aufwirft und reale Missstände anprangert. Ihre Kritik an sozialer Ungerechtigkeit, an einer verfehlten Migrationspolitik und an außenpolitischen Fehlentwicklungen trifft einen Nerv in der Bevölkerung. Doch statt diese berechtigten Anliegen in praktische Politik zu überführen, verliert sie sich in destruktiver Fundamentalopposition.
Wagenknechts politischer Stil offenbart eine komplexe Persönlichkeit. Einerseits brillant in der Analyse und charismatisch in der Präsentation, andererseits unfähig zum konstruktiven Kompromiss. Ihre intensive mediale Präsenz und ihre pointierten Formulierungen machen sie zu einer gefragten Kommentatorin des politischen Geschehens. Doch genau diese Stärken werden zur Schwäche, wenn es um praktische Politikgestaltung geht.
Die entscheidende Frage ist nun, ob das BSW diese innere Zerreißprobe überlebt. Will sie eine weitere One-Woman-Show ihrer Gründerin sein, oder entwickelt sie sich zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft, die nicht nur Probleme benennt, sondern auch zu ihrer Lösung beiträgt?
Der Fall Wagenknecht ist damit auch ein Lehrstück über die Grenzen charismatischer Politik in einer Demokratie. Er zeigt, dass politischer Erfolg nicht nur von der Fähigkeit zur pointierten Kritik abhängt, sondern auch von der Bereitschaft zum konstruktiven Kompromiss. Die kommenden Monate werden zeigen, ob Wagenknecht diese Lektion noch lernen kann – oder ob sie als ewige Rebellin in die Geschichte der deutschen Politik eingehen wird.
VE, der Name des Lesers ist der Redaktion bekannt.