Junker Jörg befördert zum Ritter Doppelkorn der Kyffhäuserburgk

Ein Nordhäuser wurde zum Ritter geschlagen!

Freitag
01.11.2024, 10:07 Uhr
Autor
red
veröffentlicht unter:
1859 gründeten 13 Schauspieler und Musiker des Prager Stände-Theaters, das eine deutsche und tschechische Bühne besaß, unter Leitung ihres Direktors Franz Thomé den Männerverein „Schlaraffia“ zur Pflege von Kunst, Humor und Freundschaft.Und nun hat Nordhausen wieder einen echten Ritter...

Aus Junker Jörg wurde Ritter Doppelkorn (Foto: J.Bauersfeld) Aus Junker Jörg wurde Ritter Doppelkorn (Foto: J.Bauersfeld)

Diese Künstler – unter ihnen auch einige deutschsprachige Tschechen – entwickelten ein Mittelalterspiel. Sie bestimmten feste Regeln und Abläufe für ihre Abende, schufen die hierarchischen Abstufungen vom Pilger über den Knappen, zum Junker bis hin zum Ritter. Die „Herrscher“, die Oberschlaraffen, saßen auf dem „Thron“ und dominierten das „Reych“, immer wieder herausgefordert von der „aufsässigen“ Junkertafel. Das war der Sinn des Spiels der Persiflage, womit sie die verkrustete Adelsgesellschaft des 19. Jahrhunderts mittels der Kunst und des Humors aufs Korn nahmen.

Dabei zelebrierten sie in Übertreibung die im Adel übliche Ordensjagd, aber auch die Erinnerung an die „ruhmreiche“ Historie des Mittelalters, zugleich gewürzt mit viel Musik bei gleichzeitigem Respekt für die Freundschaft unter den Schlaraffen, unabhängig von Religion und Geisteshaltung. Daran hat sich seit mehr als 160 Jahren nichts geändert. Vollzogen wird das Schlaraffen-Spiel noch heute in 290 Reychen auf der ganzen Welt, wo Deutsche leben. Die Vereinssprache der mehr als 9.000 Mitglieder ist seit 1909 ausschließlich Deutsch.

1877 entstand in Nordhausen der Verein „Schlaraffia Nordhusia“ als das sechste Reych im Uhuversum nach Prag, Berlin, Leipzig, Hamburg und Breslau, also als eines seiner Alt-Reyche. Ein in Nordhausen gastierender Theatermann aus Hamburg vom Reych „Hammonia“ namens Gustav Meery, mit Ritternamen „Fridolin vom reinen Korn“ – abgeleitet vom Nordhäuser Korn –, wurde zum Ideengeber der Gründung und der Nordhäuser Buchbinder und Kaufmann Eduard Bräß zum Initiator, unterstützt von Leipziger Schlaraffen. Sie kamen zuerst im »Rüdigsdorfer Pusteklub« als personellem Reservoir der Nordhusia zusammen.

2001 hatte Jörg Bauersfeld, der erst in dieser Woche zum Ritter „Doppelkorn von der Kyffhäuserburg“ geschlagene Autor dieser Zeilen, ein 1945 als „Beutegut“ aus Nordhausen in die USA entführtes Schwert im Internet ersteigert. Später stellte sich heraus, dass es das „Reychsschwert“ der alten Nordhusia von 1898 war, welches heute in der Nordhäuser Flohburg ausgestellt ist. 2021 fand er in der Kleingartenanlage „Am Altentor“ einen originalen Ritterstuhl, der einst in der Kyffhäuserburg der Nordhusia in der Töpferstraße 3 stand. Die Burg wurde 1945 im Bombenhagel wie das gesamte dortige Areal völlig zerstört.

Für ihn war damals die Neugier für Schlaraffia geweckt. Da Jörg Bauersfeld 30 Jahre in Seesen gelebt hatte, wurde er im April 2022 als Knappe 64 in Goslar in der „Schlaraffia Kaiserpfalz“ aufgenommen. Trotz anfänglicher Skepsis stellte er sich der Idee und dem Abenteuer, die alte Nordhusia in neuer Gestalt wieder erstehen zu lassen. So nahmen die Schlaraffen ihn bald in den Freundschaftsbund auf. Im April 2023 wurde er schließlich nach strenger Prüfung zum Junker „Jörg der Kyffhäuser“ erhoben. Um Erfahrungen für die Gründung einer neuen Nordhusia zu sammeln, besuchte er in den folgenden beiden Jahren 35 Schlaraffenreyche in ganz Deutschland und Österreich. Inzwischen kennt man ihn im ganzen Uhuversum.

Am 23. Oktober 2024 musste Jörg Bauersfeld seine Junkerprüfung ablegen, in Verbindung mit dem Vortrag seiner Ritterarbeit. Sie ist historisch angelegt und beruht auf einem älteren schlaraffischen Beitrag („Fechsung“) eines einstigen Nordhusia-Ritters aus Sondershausen: Ritter „Rochus der Unverstandene“, bürgerlich Professor Paul Stade (* 31.7.1854 Breslau; † 30.11.1931 Sondershausen), bekannter Sondershäuser Kunstmaler und Zeichenlehrer.

Er besuchte die Kunstschulen in Breslau, Weimar und Königsberg. 1879 bekam er eine Anstellung als Zeichenlehrer an der Staatsschule Sondershausen. 1883 ernannte man ihn zum Oberlehrer am Fürstlichen Lehrer-Landesseminar in Sondershausen.
Berühmt wurde Stade im Jahr 1897 durch sein Monumentalgemälde „Die Schule der Lehrer“ („Pädagogengemälde“ genannt) für das Lehrerseminar, ausgestellt viele Jahre im Schlossmuseum Sondershausen. Später ausgelagert und aufwändig restauriert, kehrte es 2010 in die Grundschule „Käthe Kollwitz“ (einst Lyzeum Sondershausen) zurück. Es ist 12 m2 groß: 2,30m x 5,10 m.

Paul Stades Vorliebe für Monumentales bewies er auch im Jahr 1921 mit seiner Fechsung in der „Colonie Schlaraffia Molhusia“ in Mühlhausen. Dafür zeichnete er auf eine sechs Meter lange Tapetenrolle eine 15teilige Bilderfolge und verfasste dazu zahlreiche Gedichte.

Dieser schlaraffische Schatz schlummerte 100 Jahre in Privatbesitz in Mühlhausen. Nun soll seine großformatige Arbeit in Gedenken an die Schlaraffia Nordhusia und besonders an Rt Rochus der Schlaraffenwelt wieder zugänglich gemacht werden.

Ritter Doppelkorn der Kyffhäuserburgk wird den Nordhusia-Stammtisch, der schon drei Dutzend Mal tagte, weiterführen in der Hoffnung, dass sich an der Schlaraffenwelt Interessierte aus Nordhausen, Sondershausen und Mühlhausen zu ihm und seinen fünf anderen Schlaraffenbrüdern hinzugesellen werden.
Jörg Bauersfeld