Sie hatten einen lauten Protest versprochen und hielten derartig Wort, dass man sein eigenes kaum noch verstehen konnte. Über achtzig Schüler, Lehrer, Eltern und Großeltern waren gekommen, um ihrem Unmut über miese Bildungsbedingungen in Niedersachswerfen Luft zu machen …
Lautstarker Protest in der Grimmelallee (Foto: oas)
Mit Transparenten, Rasseln, Trillerpfeifen und Alarmsirenen bestückt marschierten die frustrierten Niedersachswerfener Schüler und ihre Angehörigen vor dem Landratsamt in der Grimmelallee auf und wollten Antworten auf ihre drängenden Fragen. Wie soll es weitergehen? Wie viel Unterricht soll noch ausfallen? Wann wird der Lehrplan in allen Fächern wieder vermittelt? Wann gibt es endlich W-lan in der Schule? Was will die Verwaltung gegen den maroden Zustand der Regelschule unternehmen?
Eine ansehnliche Schar Verantwortlicher war angetreten, um mit den Demonstranten den Dialog zu suchen: Die beiden Beigeordneten des Landrates, Stefan Nüßle und Dirk Schimm, Franka Hitzing als Vertreterin des Schulamtes Worbis, Carola Böck als Ausschussvorsitzende der Kreisverwaltung und Hans Georg Müller als Leiter der Schulverwaltung des Kreises Nordhausen.
Dies vorab: für die meisten heute beklagten Missstände können diese Herrschaften nicht verantwortlich gemacht werden, die Bildungsmisere in der gesamten Bundesrepublik reicht weit zurück und ist inzwischen mehr als akut. Zu wenig Lehrer, alte Schulen, überfüllte Klassenräume, massenhafter Stundenausfall, Wegfall ganzer Unterrichtsfächer, die dann später von den betroffen Schülern aber in Prüfungen belegt werden müssen. Die Aufzählung ließe sich noch eine Weile weiter fortführen. Am prekärsten, das wurde heute deutlich, ist die Lage aber wohl in den Regelschule. Die genießen unter Lehramtsabsolventen keinen guten Ruf und Lehrstellen können dort noch schwerer besetzt werden als in Grundschulen oder Gymnasien.
Ines Sachse-Schellhammer, die Elternsprecherin der Niedersachswerfener Regelschule, erklärte anfänglich die Gesprächsbereitschaft der betroffenen Eltern und Schüler und signalisierte den Willen, auch selbst mit anzupacken, wenn es notwendig sei. Schülersprecherin Hanna Winkler benannte die Missstände und fragte, wie sie und ihre Mitschüler die Anforderungen angesichts der katastrophalen Zustände erfüllen sollen. In einer Schule, die noch genau so aussieht und ausgestattet ist, wie in der Zeit,als ihre Eltern noch dort als Schüler lernten.
Franka Hitzing erklärte für das Schulamt in Worbis, dass sie um die Probleme wüsste, die durch Ruheständler und einen hohen Krankenstand unter den Lehrern entstanden seien und schlug eine Kooperation mit der Ellricher Regelschule vor. Wir stellen neue Lehrer ein, auch Seiteneinsteiger. Erst heute Morgen habe ich wieder mit einem gesprochen, erzählte sie den Anwesenden.
Auch Stefan Nüßle ist das Problem bekannt, seit zwölf Jahren schon, und er wisse, dass die Situation nicht gut ist. Seine lange Aufzählung wo und wie viel der Landkreis in den letzten Jahren in Schulen investiert habe, interessierte die Protestler nicht, denn sie wollten Antworten für Niedersachswerfen. Und nicht hören, wie schön es woanders ist.
Die Toilette und der Speiseraum seien für 2,5 Millionen Euro saniert worden, führte Nüßle an. Das behebe aber nicht das Problem des Ausfalls und der fehlenden Lehrer, bekam er zur Antwort. Auch eine Turnhallensanierung konnte die erzürnten Eltern nicht beruhigen.
Nüßles Einwand, dass es noch viel schlechter ausgerüstete Schulen als in Niedersachswerfen gäbe, trug verständlicherweise nicht zur Deeskalation bei. Schließlich versprach er, das IT-Problem beheben zu wollen und wurde gefragt, wie das ohne W-Lan gehen solle.
Bis Jahresende, sei das geplant, beharrte der CDU-Politiker und zeigte sich gespannt, ob das Angebot dann in der Schule auch genutzt würde.
Carola Böck, Franka Hitzing, Ines Sachse-Schellhammer, Hanna Winkler und Hans Georg Müller heute Nachmittag vor den über achtzig Demonstranten (Foto: oas)
Wesentlich diplomatischer äußerte sich anschließend Carola Böck, die in Ellrich selbst eine Regelschule leitet und um deren mannigfaltige Probleme weiß. Das Geld im Kreistag könne nur einmal ausgegeben werden, sprach sie und betonte, dass sich zuerst um die 9. und 10. Klasse gekümmert werden müsse, weil die am dichtesten vor den Prüfungen ständen. Man werde Lösungen finden und der nächstes Schulausschuss des Kreistages tagt Anfang November in Niedersachswerfen im Beisein der Elternsprecher. Frank Hitzing beruhigte noch einmal die Gemüter und verkündete: Alle freien Lehrerstellen werden neu besetzt werden.
Nach einer knappen Stunde beendete Ines Sachse- Schellhammer die friedliche Demonstration und versprach dran zu bleiben, denn nach den vielen Worten müssen jetzt schnellstens Taten folgen.
Neben dem Lehrermangel bleibt die technische Anbindung ein großes Problem, denn vor der Installation eines ordentlichen W-Lan-Systems für die Schule muss die komplette Elektrik in der Schule erneuert werden, erklärte Hans Georg Müller im Anschluss der nnz. Kostenpunkt hierfür: 500.000 Euro! Und die Aktion ist nicht förderfähig. Also wird improvisiert werden müssen, um die schon angelieferten zwei interaktiven Tafeln, 54 iPads, 18 Laptops und mehrere iPads für die Lehrer in der Niedersachswerfener Regelschule einer sinnvollen Nutzung zuzuführen.
Die heutige Veranstaltung war ein relativ sachlicher Austausch der Standpunkte, nicht mehr und nicht weniger. Der Kreistag wird sein Augenmerk nach den Gymnasien nun auch auf seine Regelschulen richten und versuchen zu helfen, wo und mit welchen Mitteln es geht. Verantwortlich für die Misere des Bildungswesens in der Bundesrepublik und auch im Freistaat Thüringen sind die Frauen und Männer in der Grimmelallee nicht; auf dem Tisch haben sie die Probleme trotzdem. So wie sie auch noch einige andere unverschuldete, vom Bund aufgedrückte Kosten zu stemmen haben. Bleibt zu hoffen, dass sich bald eine neue, arbeitsfähige Landesregierung in Erfurt konstituiert, die sich der Probleme an den Thüringer Schulen annimmt und vielleicht mit einer neuen Aufgabenpriorisierung auch neue Gelder für die Bildungsstätten frei macht.
Olaf Schulze