Zehn Jahre sind seit dem Neubau der Nordhäuser Bibliothek im Herzen der Stadt schon ins Land gegangen. Das man sich mit viel Arbeit und Engagement einen Namen gemacht hat, ist inzwischen nicht mehr zu leugnen - unter den vielen Bibliotheken des Landes wurde in diesem Jahr das kleine aber feine Nordhäuser Haus zur besten Bibliothek der Bundesrepublik gekührt…
Das beste Haus am Platz - die Nordhäuser Bibliothek wurde heute als Deutschlands Bibliothek des Jahres ausgezeichnet (Foto: Vincent Eisfeld, Nordhausen-Wiki)
Viele bunte Bücher, hol ich mir aus der Bibliothek, ich weiß ja jetzt wie’s geht - in Nordhausen weiß jedes Kind, das in die Schule kommt, wo die Bibliothek ist und was sich hier finden lässt. Das passende Bibliothekslied mussten die Kinder der Grundschule Käthe Kollwitz zur heutigen Feierstunde denn auch nicht lange einstudieren.
Es war unter anderem eben diese tiefe Vernetzung in der Region, die für die Jury des deutschen Bibliothekspreises den Ausschlag gegeben hat. Die Auszeichnung gibt es in zwei Kategorien, wie der Vorsitzende der auszeichnenden Telekomstiftung, Dr. Thomas de Maizière später ausführen sollte, einen großen Preis, um den üblicherweise die prestigeträchtigen Häuser der urbanen Zentren zwischen Berlin, München und Hamburg ringen und ein kleiner Preis für kleinere Häuser aus eher ländlich geprägten Gegenden.
Nun könnte man annehmen, dass die Bibliothek einer überschaubaren 40.000 Seelen Gemeinde mit letzterer Auszeichnung bedacht worden wäre und man würde irren. Im weiten Feld der deutschen Bibliothekslandschaft erhielt die Stadtbibliothek Rudolf Hagelstange in diesem Jahr den großen Preis.
Es ist ein besonderer Tag für die Bibliothek und für die Stadt, freute sich denn auch Hildegard Seidel, die ehemalige Bibliothekschefin, die den Neustart im Herzen der Stadt vor ziemlich genau 10 Jahren mit begleiten durfte und im vergangenen Jahr in den Ruhestand gegangen war. Man habe lange und hart ringen müssen, erinnert sich Seidel, statt einer alten Marktkirche sollte ein neuer, weltlicher Ort entstehen, ein Ort der Verführung, der Auseinandersetzung, der Diskussion und der Begegnung. In den Jahren, die seitdem vergangen sind, sei das Haus zu dem geworden, was zu Beginn nur Idee war: ein Ort für Alle.
Ein Erfolg mit vielen Vätern und Müttern - die Nordhäuser Stadtbibliothek wurde heute als Bibliothek des Jahres 2024 ausgezeichnet (Foto: agl)
Viele Nordhäuser sind diesen Weg mitgegangen, im Rathaus, in den Vereinen, Schulen und Kindergärten oder privat und ehrenamtlich. Ein besonderer Dank erging an Barbara Rinke, die in ihrer Zeit als Oberbürgermeisterin das Projekt maßgeblich vorangetrieben hatte, an die Mitarbeiter des Hauses, an langjährige Partner wie das Nordhäuser Theater und nicht zuletzt auch an Stadtrat und das Rathaus, ohne deren Unterstützung man laut Seidel nicht beinahe wunschlos glücklich sein könne.
Worte des Lobes auch vom amtierenden Oberbürgermeister Kai Buchmann: die Preisverleihung sei ein großer Erfolg, eine große Ehre und eine große Anerkennung. Im Haus leiste man hervorragende Arbeit in Sachen Bildung, Demokratie und Zusammenhalt, die Bibliothek sei dank ihrer weitreichenden Vernetzung ein Treiber von Integration und Inklusion geworden. Das man damals den Neubau an dieser Stelle allen Unkenrufen zum Trotz gewagt habe, sei ein bemerkenswerter Schritt gewesen und habe dem alten Zentrum der Stadt auch ein Stück seiner Würde zurückgegeben.
Bibliothek - braucht es das noch?
Die Nordhäuser Bibliothek ist heute sehr viel mehr als nur ein Buchhaus und im Umkreis von rund 80 Kilometern findet sich nichts vergleichbares. Somit strahlt man nicht nur über die Stadt in die Region hinaus, sondern überschreitet mitunter auch die nahen Landesgrenzen.
Eben jene Strahlkraft dürfte ihren Teil zur Jury-Entscheidung des Bibliothekspreises beigetragen haben, die heute mit dem ehemaligen Bundesinnenminsiter Dr. Thomas de Maizére und dem Vorsitzenden des Bibliotheksverbandes, Volker Heller, prominent vertreten war. Statt langer Festreden wurde die beiden Herren selbst zur Rede gestellt - auch das ein erfrischend anderer Ansatz für derlei Veranstaltungen.
Interview statt Laudatio, v.l: Hildegard Seidel, Dr. Thomas de Maizière, Marie-Kathrin Haase und Volker Heller (Foto: agl)
Die Moderation oblag den Herinnen des Hauses, Hildegard Seidel und ihrer Nachfolgerin als Bibliotheksleiterin Marie-Kathrin Haase, die zunächst in die Vergangenheit blickten. Diskussionen gab es vor 10 Jahren zum Neubau hinter dem Rathaus nämlich durchaus und mancher sprach der Institution Bibliothek an sich damals die Zukunft ab.
Braucht es das im Zeitalter von Digitalisierung und KI denn noch? Ja, meint Volker Heller, das Bild von der Buchausleihstelle sei zwar weiter stark, in seiner Verklärung auch irgendwie charmant, aber eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Vor allem in der letzten Dekade habe sich das Aufgabenfeld der Bibliotheken deutlich gewandelt, die Medien- und Bildungsarbeit ist stärker in den Fokus gerückt und vielen Häusern komme auch zunehmend die Funktion eines sozialen Ortes zu. Letzteres werde in Zeiten zunehmender Einsamkeit eher noch wichtiger werden als bisher und nicht umsonst seien Bibliotheken die am stärksten frequentierten Bildungsorte außerhalb der Schulen.
Die Investition in die Zukunft habe sich damals also durchaus gelohnt und die Verbindung mit dem Ratssaal als Bürgerhaus schaffen eine Nähe zur Politik, die in unweigerlich aufkommenden Spardebatten nur hilfreich sein könne. Die sogenannten freiwilligen Aufgaben sind in schweren Zeiten immer besonders unter Druck. Wer hier nur im Sinne des Controlling denkt, der verkennt wie essentiell die Bibliotheken für die Bildungs- und Sozialinfrastruktur in der Stadt und auf dem Land sind, sagt Heller.
Die Telekom-Stiftung, für die der einstige Bundesinnenminister de Maizière heute anreiste, hat mit Bibliotheken an sich nicht viel zu tun. Man fördert im Kern Bildung im MINT Bereich, Digitales und die schulische Vernetzung. Nicht allein die Schule entscheide über den Bildungserfolg, vielmehr gebe es ein Vielzahl an Faktoren, ein Bildungsökosystem, dass man fördern wolle und eine bessere Art der Vernetzung, als man sie in der Nordhäuser Bibliothek lebe, sei kaum vorstellbar.
Gute Arbeit, gepaart mit Qualität und eben jener, das Ökosystem befruchtenden Zusammenarbeit könne auch die Zukunft der Bibliotheken sichern. Man bilde hier eine entscheidende Brücke zur Integration und zum Spracherwerb. Der bewusste Umgang mit Sprache hilft beim denken, man benutzt Sprache nicht nur, man ertrinkt in ihr, versinkt in ihr, im positiven Sinne., sagt de Maizière. Auch ein KI-Übersetzer werde da kein Ersatz für das Original sein können, vielmehr könnten es die Bibliotheken sein, die als Brückenbauer und Übersetzer für neue Kulturtechniken wie den Umgang mit künstlicher Intelligenz und der digitalen Welt Verantwortung übernehmen.
Die Nordhäuser Bibliothek hat die vergangenen zehn Jahre Digitalisierung mit Auszeichnung überstanden, es darf erwartet werden, dass die Institution Bibliothek auch die nächsten zehn Jahre übersteht. In diesem Sinne: herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung auch von der nnz.
Angelo Glashagel