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Trauerspiel, Tabubruch und demokratische Prinzipien

Freitag
27.09.2024, 10:06 Uhr
Autor
agl
veröffentlicht unter:
Chaos im Thüringer Landtag, die erste Sitzung des neuen Parlaments kam gestern nicht über Tagesordnungspunkt Nummer Eins hinaus. Wir haben bei einigen der neuen Nordhäuser Abgeordneten um Einschätzung gebeten…

Morgen kommt der Thüringer Landtag wieder zusammen um die unterbrochene Sitzung fortzusetzen (Foto: Gerd Seidel / Rob Irgendwer - Wikimedia commons) Morgen kommt der Thüringer Landtag wieder zusammen um die unterbrochene Sitzung fortzusetzen (Foto: Gerd Seidel / Rob Irgendwer - Wikimedia commons)


Die konstituierende Sitzung des neuen Thüringer Landtages wurde gestern mit einer Anrufung an das Verfassungsgericht unterbrochen und wird erst morgen früh fortgesetzt.

An der turbulenten Sitzung nahmen auch die gewählten Abgeordneten aus Nordhauen teil, wir haben um Stellungnahme gebeten. Katja Mitteldorf tritt ihre dritte Legislatur für die Linke an und nimmt als erste den Hörer ab. Man habe das erlebt, was zu erwarten war, meint Mitteldorf. Der Alterspräsident habe in seiner rein zeremoniellen Rolle seine Kompetenzen klar überschritten und die Prinzipien von Demokratie, Verfassung und auch der Geschäftsordnung missachtet um die Tagesordnung „nach Gusto“ auszulegen. Der Versuch, anderen Abgeordneten das Wort zu verbieten, sei ein krasser Verstoß gegen das Demokratieprinzip gewesen.

Ein „Gewohnheitsrecht“ wie es die AfD für sich beanspruche gebe es nicht, das Vorschlagsrecht sei keine Rechtsnorm. Auf Bundesebene habe man ein ähnliches Szenario jüngst schon einmal bis zum Verfassungsgericht durchexerziert. „Die Verfassung steht über der Geschäftsordnung und dort heißt es lediglich, dass das Parlament aus seiner Mitte einen Präsidenten zu wählen hat. Daraus leiten sich keine Anrechte ab.“, erklärt Mitteldorf. Die Änderung zur Geschäftsordnung, den man über den Antrag der CDU gerne abgestimmt hätte, sollte genau diesen Passus noch einmal aufnehmen.

Die Befürchtung im Parlament sei gewesen, dass die AfD ihr Vorschlagsrecht nutzen würden, um „bis zur Erschöpfung“ alleine AfD-Kandidaten zur Wahl vorzuschlagen. Eine Entscheidung zum Prozedere im Ältestenrat habe die AfD abgelehnt. Das Parlament müsse dafür Sorge tragen, seine demokratischen Mittel zu schützen, dazu gehöre auch das Recht zur Selbstorganisation.

Keine Abstimmung ohne Konstituierung
Aus Sicht der AfD ist der Landtag erst dann arbeitssfähig, wenn er sich konstituiert hat, es könnten also auch keine Anträge zur Geschäftsordnung gestellt werden, meint Jörg Prophet, der zum ersten Mal in den Landtag eingezogen ist. Das Verhalten der „Wettbewerbsparteien“ sei erschreckend gewesen, der Unterschied im Umgang miteinander zur Lokalpolitik sei deutlich. „Hier wurde altes Gebrauchsrecht in Frage gestellt“, sagt Prophet, kaum habe die AfD etwas zu sagen, würden „alle Dämme fallen“. Auch die Wortwahl des CDU Geschäftsführers Brühl sei „schockierend“ gewesen, der Begriff „Machtergreifung“ gehöre zum NS-Vokabular.

Laut dem Geschäftsordnungsgesetz des Freistaates habe man dem gewohnten Ablauf zu folgen, der Partei liege ein entsprechendes Gutachten bereits vor. Das Recht richte sich nicht nach Mehrheiten. Wäre man dem Prozedere gefolgt, hätte man je nach Abstimmungsergebnis ab dem dritten Wahlgang auch andere Kandidaten zugelassen, versichert Prophet.

Jörg Prophet der für die AfD zum ersten Mal im Landtag sitzt, zeigte sich „erschrocken“ ob des Verhaltens der anderen „Wettbewerbsparteien“, die Unterschiede zum Umgang miteinander gegenüber seinen Erfahrungen in Kreistag und Stadtrat, seien deutlich.

Ein trauriger Tag für das Land und die Demokratie
Auch Carolin Gerbothe erlebte gestern ihre erste Landtagssitzung in den Reihen der CDU. Was ein erfreulicher Tag hätte sein sollen, sei zu einem Trauerspiel für die Demokratie und den Freistaat geworden. „Politik muss sich mit den Problemen der Bürger auseinandersetzen. Was wir gestern gesehen haben war Selbstbeschäftigung und keine Dienstleistung an den Menschen“, sagt Gerbothe. Man habe unnötig Zeit vertan. Der Alterspräsident habe unparteiisch zu handeln, was man stattdessen erleben musste, sei ein erschütterndes Schauspiel gewesen. Mitunter habe man den Eindruck gewinnen können, dass der Abgeordnete Treutler auf eine Wegbeschreibung seiner Partei gewartet habe. Der größte Schock für das demokratische Selbstverständnis sei aber der Versuch gewesen, den Abgeordneten das Rederecht zu nehmen.

Eine Entscheidung des Gerichts wird im Laufe des Tages erwartet, morgen früh ab 09.30 Uhr, wird die unterbrochene Sitzung fortgesetzt und das Ergebnis öffentlich gemacht.
Angelo Glashagel