Bad Langensalza im Wahlkampf

Großkampftag im Kurstädtchen

Donnerstag
22.08.2024, 09:30 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Es wird ernst in Thüringen, in einer reichlichen Woche schreiten die Wähler an die Urnen und entscheiden über eine neue Landesregierung. Dabei ist es nicht nur unter Demoskopen ein offenes Geheimnis, dass die derzeitige Koalition ihre Stühle wird räumen müssen. Dementsprechend verbissen ist der Wahlkampf …

Buntes Straßenfest in der Altstadt von Bad Langensalza (Foto: Eva Maria Wiegand) Buntes Straßenfest in der Altstadt von Bad Langensalza (Foto: Eva Maria Wiegand)

Drei Tage vor dem großen traditionellen Stadtfest der Tausendjährigen an der Salza zogen in die halb geschmückte Stadt die politischen Gegner in großer Zahl ein. Am Morgen schon überraschte die evangelische Kirchgemeinde die Einwohner mit einem riesigen Transparent am Turm des Wahrzeichens der Stadt, der Marktkirche, das stolz verkündete: „Unser Kreuz hat keinen Haken“.

Das bunte allwöchentliche Markttreiben am Mittwoch war wie schon in den letzten Wochen durchsetzt von Ständen politischer Parteien, die am 1. September gern Regierungsverantwortung übernehmen möchten. Sogar der Innenminister des Freistaates soll gesichtet worden sein, der im Bürgergespräch die Hoffnung äußerte, das Ruder noch herumreißen zu können. Sehr optimistisch, wenn man bedenkt, dass seine im Bund vorherrschende Partei in der letzten Umfrage auf maximal sieben Prozent der Wählergunst stieß.

Im unweit gelegenen Baumkronenpfad hatte eine ehemalige Regierungspartei, die gern wieder in Berlin das Sagen hätte, am Mittag einen großen Presseauflauf organisiert, auf dem sich neben dem CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz auch der Thüringer Spitzenkandidat, Mario Voigt, sowie die Landkreiskandidatin Jane Croll im Blitzlichtgewitter bewähren konnten.

Für den Nachmittag war der lange angekündigte und von der Zivilgesellschaft des Ortes stark abgelehnte Auftritt ihres verhasstesten Feindes schlechthin geplant. Das führte am Vormittag dazu, dass der wunderschöne Baumpark der Stadt für Besucher geschlossen wurde, weil sich im Inneren Sicherheitskräfte mit einigen Vertretern des antifaschistischen Widerstands ins Benehmen zu setzen hatten, die von dort aus auf den Auftritt des „Bösen“ warteten. So hatte den AfD-Chef Björn Höcke das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL im Zusammenhang mit den anderen beiden weltweit des Faschismus Verdächtigten, Donald Trump und Marine Le Pen, kürzlich bezeichnet.

In Bad Langensalzas City am Rathaus aber organisierte ein breites Bündnis aus Vereinen und Institutionen (wie eben bspw. die evangelische Kirche) unter Federführung des Zwiwel-Vereins ein buntes Volksfest auf dem Neumarkt und angrenzenden Straßen, um die Menschen davon abzuhalten, auf das Sommerfest der AfD zu gehen, das zeitgleich auf dem Jahnplatz stattfand.

Diese Idee, umgesetzt mit drei Hüpfburgen, leckeren Bratwürsten, einer Bühne mit Live-Musik und Mitmach-Tanz, Kaffee, Kuchen und Kinderschminken wurde von der Bevölkerung gut angenommen. Zumal es ein schöner Nachmittag war, die Eisdiele geöffnet hatte und man sich mit Gleichgesinnten austauschen konnte. Diverse Stände boten den Anblick von Plakaten, die vom Thüringer Landtag initiiert, zum Wählen aufriefen. Zum richtigen Wählen. Also, die Richtigen zu wählen.

Der Thüringer Landtag übrigens setzt sich noch bis Ende nächster Woche aus fünf Parteien zusammen, die laut der letzten Wählerbefragung von Forsa (20. August) folgende Wahlergebnisse erwarten dürfen:

AfD 30 Prozent
CDU 21 Prozent
LINKE 13 Prozent
SPD 7 Prozent
Grüne 4 Prozent
FDP wird schon gar nicht mehr benannt.

Björn Höcke auf dem Jahnplatz (Foto: oas) Björn Höcke auf dem Jahnplatz (Foto: oas)

Wenige Meter entfernt, auf dem Jahnplatz, sah es schon anders aus. Auch dort waren viele Menschen, einige von ihnen (vermutlich die jungen Leute vom Vormittag aus dem Arboretum) standen an einem Absperrzaun, von wo aus sie ihren Unmut über das so genannte „Sommerfest“ der AfD freien Lauf lassen durften. Mit Trillerpfeifen, Sprechchören und Megafon wurde darauf hingewiesen, dass der Herr Höcke ein Nazi sei und auf Spruchbändern stand „Nie wieder ist jetzt“. Über diesem Protest flatterte das Banner der Antifa, zu der sich die Gruppe offensichtlich zugehörig fühlte.

Gut dreißig Meter entfernt, durch eine polizeilich abgesicherte Pufferzone und einen weiteren Absperrzaun getrennt, tummelten sich die Menschen, die sich eher zur Farbe blau und der AfD hingezogen fühlten. Auch hier gab es leckeres Bier und Schminkstände für die Kinder. Außerdem einen heiß umlagerten AfD-Devotionalienstand, an dem Beutel, Kulis, Luftballons etc. über den Klapptisch gingen. Das Kräfteverhältnis der Gegendemonstranten zu den AfD-Anhängern mag in etwa eins zu zehn gewesen sein. Etwas über vierzig antifaschistische Gegendemonstranten waren zu zählen.

In den Reden der AfD-Politiker drehte sich vieles um die abzuschaffende CO2-Steuer, den zu kündigenden Rundfunkstaatsvertrag und natürlich die Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland. Es sprachen der Direktkandidat des Landkreises, Stefan Möller, sowie Parteikollegen aus anderen Kreisen bzw. aus Sachsen/Anhalt. Neben viel CDU-Schelte und Warnungen vor dieser und der neuen Wagenknecht-Partei wurde unter anderem erklärt, dass wir in Deutschland momentan in einer offenen Psychiatrie lebten und das Gendern insofern gut wäre, weil man im Gespräch mit gendernden Mitmenschen gleich merke, wer nicht mehr alle Knöpfe am Jacket hat.

Der Hauptredner des Abends, Spitzenpolitiker und Thüringer Ministerpräsidentenkandidat der alternativen Deutschen, Björn Höcke, wurde von den Gästen auf dem Platz frenetisch jubelnd begrüßt. „Alles für Deutschland!“ hat er aber nicht gerufen, denn dafür musste er kürzlich per Gerichtsbeschluss 30.000 Euro zahlen, berichtete er seinen Zuhörern. Unter denen waren viele junge Menschen. Das registrierte und würdigte Höcke auch deutlich. Beim letzten Wahlkampf 2019 hätte er hauptsächlich vor alten, weißen Männern gestanden, in diesem Jahr seien viele Junge und viele Frauen auf seinen Veranstaltungen. Außer am Dienstag, da verhinderte in Jena eine Gruppe von 2.000 Protestierenden seinen Auftritt. In freier Rede trug er in Bad Langensalza ungestört und elektronisch verstärkt vor, was die AfD alles ändern will in Thüringen, wenn am 1. September dementsprechend gewählt würde im Freistaat.

Aber wie der Thüringer Landtag in seiner groß angelegten Werbekampagne schon betonte, bleibt es ja jedem selbst überlassen, wen er wählt. In der Mühlhäuser Straße wurde indessen vor Cafés und Gaststätten ausgelassen gefeiert und konsumiert. Eine junge Mutti schob dort ihren Kinderwagen, an dem zwei große blaue Luftballons mit dem AfD-Logo prangten, in aller Seelenruhe durch die Innenstadt, ohne spürbare Aufregung zu erzeugen. Auch das geht noch.
Olaf Schulze