Unterwegs mit Nordhausens Hoheiten

Wie war das mit Widukind?

Sonntag
28.07.2024, 18:04 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Wenn die königlichen Herrschaften Heinrich und Mathilde ihr Gefolge um sich Scharen, um die Lande zu bereisen, dann kann sich das sehen lassen. Am gestrigen Samstag begab man sich erneut auf große Fahrt und die nnz war mit dabei. Auf dem Programm: ein Besuch am Grab des Ahnherren und ein Abstecher zu einem ungewöhnlichen Kloster…

Heinrich, Mathilde und Otto samt Gefolge zu Gast in Enger (Foto: agl) Heinrich, Mathilde und Otto samt Gefolge zu Gast in Enger (Foto: agl)


Wenn man heute von „Hofberichterstattung“ spricht, dann hat das einen negativen Beigeschmack, den Damen und Herren gefällig schreibt dann der Journalist. Doch heute einmal können wir den Begriff in seinem engeren Sinne verstehen und vom Hof der königlichen Hoheiten Heinrich I. und seiner Gattin Mathilde berichten. Nicht von den historischen Persönlichkeiten freilich, die sind schon über 1000 Jahre ins Jenseits gegangen, sondern von den Nordhäusern rund um Hannelore und Wolfgang Müller, die sich mit dem „Verein für lebendiges Mittelalter“ seit Jahren und Jahrzehnten regelmäßig in Schale werfen und die beiden Gründerfiguren samt Gefolge darstellen.

Und „gefällig“ darf der Hofberichterstatter durchaus einmal sein, kann das, was der Verein für die Ebersburg im speziellen und damit für die Region im Allgemeinen getan hat, dem Geschichtsfreund an der Tastatur doch nur „gefallen“. Oft und viel haben wir vom Treiben rund um die alten Burgmauern berichtet und so gehörte auch die nnz gestern zum bunten Haufen aus Freunden, Unterstützern, Weggefährten und Helfern, die der Verein zur seiner diesjährigen Wallfahrt eingeladen hat.

Wie war das mit Widukind?
Das erste Ziel: Enger bei Herford. Der versierte Kenner der Nordhäuser Geschichte spitzt da sogleich die Ohren, das sind bekannte Namen aus den frühesten Tagen der Stadtgeschichte - hier ward einst die Heilige Mathilde geboren und aufgewachsen, die Gründungsmutter der späteren Rolandstadt. Ihr Ahnherr liegt bis heute hier begraben: Widukind der Sachsenkönig, der sich anno dazumal gegen Karl den Großen aufgelehnt hatte und schließlich doch das Knie beugte und sich taufen lies.

Einzug in vollem Ornat - die Ruhestätte des Ahnherrn der Ottonen wurde besucht (Foto: agl) Einzug in vollem Ornat - die Ruhestätte des Ahnherrn der Ottonen wurde besucht (Foto: agl)


In feinem Zwirn gewandet durchschreitet die Nordhäuser Delegation den kleinen Ort, Ziel ist das Widukind Museum, das in den 1930 Jahren von den Nationalsozialisten ins Leben gerufen wurde. Den widerspenstigen Sachsen nahmen sich die Nazis nur zu gerne zum Propganda-Vorbild und man sah sich in guter Tradition. Schon der aufkommenden Nationalismus im Kaiserreich rückte sich den Widukind so zurecht, wie man es brauchte und es auch mit dem alten Rotbart oder dem Arminius getan hatte, samt finsterem Blick und Flügelhelm. Dieser Tage denkt man beim betrachten der alten Darstellungen unweigerlich eher an Asterix und Obelix.

Heuer sind es Wissenschaftler mit Schaufel, Spaten und Empirie, die über die Vergangenheit befinden und die haben sich in den letzten Jahren in Sachen Widukind auch vermehrt für seine Ur-, ur-, Urenkelin interessiert, unsere Mathilde. Im Museum finden sich für Nordhäuser bekannte Motive und auch Gesichter: die Mittelalterfreunde spielen ihre Charaktere in einer hübschen Dokumentation, die eigens für das Haus produziert wurde (und sich auch zurück in der Heimat gut auf dem einen oder anderen Bildschirm machen würde, aber das ist ein anderes Thema).

Direkt nebenan in der Kirche liegen (wahrscheinlich) die Gebeine des Widukind. Wie in Nordhausen geht das älteste Gotteshaus im Ort auf eine Stiftungsgründung Mathildes zurück und wie in Nordhausen, ist von den ursprünglichen Gemäuern nicht mehr viel geblieben. Sehenswert ist der überschaubare Bau aber allemal unter anderem dank eines prachtvollen Altars, installiert anno domini 1525, also justament in der Zeit, in der die Reformation über das Land fegt und allen Prunk und Pomp aus den Kirchen verbannt. Dass sich das protzige Stück gehalten hat, das habe man dem Pragmatismus der Engerer zu verdanken, erzählt die Gästeführerin, man habe die Sache mit dem Protestantismus hier schon damals eher ökumenisch gehandhabt.

Ein Leben in der Ewigkeit
Um den zweiten Stopp der Reise zu erreichen, muss neuerlich das motorisierte Fuhrwerk bestiegen werden - diesmal geht es nach Buchhagen, einem kleinen Ort nahe Hameln. Hier schmiegt sich, gut versteckt im Weser Bergland, ein Kloster an bewaldete Hänge in dem man auch heute nach der Devise „ora et labora“ lebt - bete und arbeite.

Widukind (von Corvey) in tiefer Kontemplation oder auch: Thomas Kopf, als Mönch verkleidet, macht kurz Verschnaufpause (Foto: agl) Widukind (von Corvey) in tiefer Kontemplation oder auch: Thomas Kopf, als Mönch verkleidet, macht kurz Verschnaufpause (Foto: agl)


Wer graue Kutten und alte Gemäuer erwartet, vielleicht Sean Connery als William von Baskerville oder die verfallenen Reste des Walkenrieder Klosters vor Augen hat, der liegt ganz und gar falsch. Das Dreifaltigkeitskloster zu Buchhagen wurde 1985 von Altvater Johannes in einer Westberliner Wohnung aus der Taufe gehoben und befindet sich seit 1990 im Aufbau.

Konfessionell folgt man der Orthodoxie nach griechisch-russischem Vorbild aber in deutscher Ausprägung, gepredigt und gebetet wird auf Deutsch. Und das mehrere Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, wie es die anderen „Väter“ auf dem Berg Athos in Griechenland seit Jahrhunderten tun. Die Tradition ließe sich bis auf Johannes den Täufer zurückverfolgen, berichtet Vater Lazarus und obschon man am eigenen Kloster mit modernen Mitteln arbeitet, sucht man die Vergangenheit nachzuvollziehen und baut „vorromanisch“, nach alter Proportionslehre.

Vater Lazarus erläutert den Kirchenbau  (Foto: agl) Vater Lazarus erläutert den Kirchenbau (Foto: agl)


Was die Mönche hier aufbauen, soll keine Touristenströme locken, ein Holztor am Wegesrand und eine kleine Infotafel - mehr weist nicht auf die Existenz der Klosteranlage hin. Besucher, die nur zum schauen und nicht zum anpacken hier sind, sind daher eher selten aber man kennt die Nordhäuser - am bereits erwähnten Kloster Walkenried lief man sich das erste mal über den Weg. Und auch anderweitig finden sich Verbindungen in den Südharz - man baut mit Qualität, die Ziegel stammen aus Sourell’scher Fertigung.
Voran geht es langsam, mit Gottes Hilfe und fünf paar Händen, sagt der Vater, Stein für Stein und Tag für Tag. In etwas über 30 Jahren hat wurde so viel geschafft, angefangen hat man mit Krypta und Haupthaus, nun ist die Kirche dran, deren Rohbau nur noch der Turm fehlt. Das Wasser kommt aus einer Quelle im Wald, das Essen aus dem Garten und beim Steine schleppen hat man gerade im Sommer und vermehrt in den letzten Jahren, immer mal wieder Hilfe von jungen Händen.

Jung war auch Vater Lazarus, als er „den Ruf Gottes“ hörte und nach langer Suche sein Heil, seine „geistige Nahrung“ in der Orthodoxie und der Einkehr erkannte, berichtet der Mönch. Ein Klosterneubau ist für Deutschland eine Seltenheit, in Europa, gerade im Osten, aber wieder in Mode. Alleine in Rumänien, so der Vater weiter, wurden in den letzten Jahrzehnten rund 600 neue Klöster gegründet.

Den Weg in die geistliche Gemeinschaft fänden oft solche, die an der Vergänglichkeit und Schwäche der Existenz litten und dem nicht zu entkommen wüssten, bis sie „die Freude Jesu Christu“ erleben. Wer Mönch wird, der tue dies mit voller Hingabe, ganz und gar, um „ein Leben in der Ewigkeit“ zu verbringen. Die Väter sprechen vom „Hirschsprung“, einem Opfer, dass der Mönch für das Heil eines größeren Ganzen erbringe.

Mit Gottes Hilfe und ohne Eile - am Kloster bauen fünf Mönche seit 30 Jahren (Foto: agl) Mit Gottes Hilfe und ohne Eile - am Kloster bauen fünf Mönche seit 30 Jahren (Foto: agl)


Romantische Vorstellungen vom Klosterleben verflüchtigten sich bei Besuchern spätestens nach zwei Tagen, berichtet der Vater weiter, man arbeitet und betet bis zu 18 Stunden am Tag. Am späten Nachmittag tritt auch der „Altvater“, Abt Johannes, ins Licht und begrüßt die Gäste. Viel Zeit hat er nicht, bald schlägt die Stunde für das Gebet. Da sich die Kirche noch im Bau befindet, begibt man sich zum Allerheiligsten in die Krypta. Elektrisches Licht gibt es hier keines, nur Öllampen, Ikonen, Gesang, Gebet und Kontemplation.

Bis zum Ende der über zweistündigen Zeremonie bleiben die Nordhäuser nicht, die Heimat und die Pflicht rufen. Schon kommendes Wochenende werden die Herrschaften beim Ilfelder Klosterfest erwartet, danach wird man zum Nordhäuser Altstadtfest wieder in der Domstube Auftafeln und auch auf der alten Ebersburg soll es bis zum Jahresende noch ein paar mal hoch hergehen, unter anderem mit zwei majestätischen Geburtstagen. Doch das sind Geschichten für ein anderes mal.
Angelo Glashagel