Zahlenspielereien von Alexander Rathnau

Wie Zahlen unser Leben (mit)bestimmen

Sonntag
21.07.2024, 15:15 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
Es vergeht kaum ein Tag an den uns Informationen verbunden mit aufbereiteten Zahlen in den verschiedenen Formen bereitgestellt werden. Meistens dienen sie zur Untermauerung von (politischem) Handeln oder aber als Grundlage für Entscheidungen, die zu teils nicht absehbaren Veränderungen in unserer Zukunft führen können...

Wobei ein Lotto-Gewinn eher zu den positiven Abhängigkeiten von Zahlen zählt.

Eine Zahl, welche uns monatlich und jährlich begegnet ist die Inflationsrate. Aus meiner Sicht ist es wert etwas genauer hinzuschauen, wie diese Zahl zu Stande kommt und welche Auswirkung sie auf unser tägliches Leben hat. Zuständig für die Ermittlung ist das Bundesamt für Statistik.

Es gab und gibt zwei Dinge, welche bei der Berechnung der Inflationsrate eine Rolle spielen. Da ist zunächst die Festlegung eines Warenkorbes. Dieser wird alle fünf Jahre neu gewichtet und bildet somit für die Folgejahre die Berechnungsgrundlage. Hinzukommt eine geänderte Inflationsberechnung seit 2002, sie wird auch als hedonische Inflationsberechnung bezeichnet.

Was eher unbemerkt geblieben ist, der Warenkorb wurde 02/2023 (!) rückwirkend zum Jahr 2020 neu gewichtet. Ins Auge fällt dabei die Veränderung unter dem Punkt „Wohnung und Haushaltsenergie“. Hier wurde gegenüber 2015 der Wert von 32,47 Prozent auf 25,92 Prozent gesenkt. Anders ausgedrückt, das Bundesamt geht von einer Verringerung dieser fixen monatlichen Kosten um 6,55 Prozent aus. Nun wäre es recht einfach, die Haushalte zu fragen inwieweit ihre monatlichen Kosten für Wohnen (inklusive Nebenkosten) und Energie seit 2015 gesunken sind. In meinem Umfeld kenne ich niemanden, dem es so ergangen ist. Allerdings begründet das Bundesamt seine Zahlen damit, nicht mehr die Haushalte zu befragen, sondern volkswirtschaftliche Datenquellen für die Ermittlung der Daten zu nutzen. Im Übrigen wurden 2023 die Inflationsraten rückwirkend geändert, so erfolgte eine Senkung für 2022 von 7,9 Prozent auf 6,9 Prozent!

Die hedonische Inflationsberechnung hat „amerikanische Vorfahren“. Die Idee dahinter ist, dass zwar die meisten Güter und Dienstleistungen im Laufe der Zeit teurer werden, jedoch nur relativ, da diese aus Sicht der Erfinder mit einer Qualitätsverbesserung einhergehen. Kostete bspw. ein PKW (Grundpreis) 2023 20.000,00 Euro und 2024 22.000,00 Euro, so bedeutet dies zunächst eine Teuerung von zehn Prozent. Da aber die Ausstattung deutlich besser ist, wird diese zunächst herausgerechnet, in unserem Beispiel entspricht der qualitative Mehrwert 1.000,00 Euro. Dadurch halbiert sich die Teuerung auf fünf Prozent. Es ist dabei uninteressant ob der Bürger den Mehrwert haben möchte, denn günstiger bekommt er den PKW nicht. Er zahlt zwar zehn Prozent mehr, nach Ansicht der Experten sind es aber nur fünf Prozent, welche in die Inflationsberechnung einfließen.

Was am Ende bleibt, ist dass die gefühlte Inflation, welche wir jeden Tag wahrnehmen, der tatsächlichen Inflation sehr nahekommt und die veröffentlichten Zahlen eher als „volkswirtschaftliche Magie“ bezeichnet werden können. Frei nach Habeck, das Unternehmen nicht in Insolvenz gehen, sondern aufhören zu arbeiten.

Leider bildet die Inflationsrate die Berechnungsgrundlage für die meisten Lebensbereiche. So sind sämtliche Sozialleistungen ebenso an sie gekoppelt wie Tarifverhandlungen und nachfolgend Rentenerhöhungen und … Ebenso trifft es Verträge, welche als Grundlage für den zu verhandelnden Preis die Inflationsrate haben und nicht zuletzt die Zinssätze der Banken ob beim Sparen oder Finanzieren.

Die Frage, die sich stellt, ist warum die Inflationsrate aus meiner Sicht niedriger angegeben wird als sie tatsächlich (gefühlt) ist. Bei der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung lässt sich vermuten, dass die Bürger aufgemuntert werden sollen bei einer so niedrigen Inflationsrate zwischen zwei und die Prozent doch mehr zu konsumieren. Denn nach den Habeckschen Vorstellungen soll der Wirtschaftsaufschwung vor allem durch den privaten Konsum in diesem Jahr zustande kommen. Auf längere Sicht betrachtet gilt es auf die Rolle der Gewerkschaften bei den Tarifverhandlungen zu schauen. Bisher habe ich in den Verhandlungen noch nicht wahrgenommen, dass Bezug genommen wurde auf die Neuberechnung der Inflationsrate rückwirkend seit 2020. Dass sich über Jahre die Kaufkraft verringert und Tariferhöhungen regelmäßig unter der tatsächlichen Inflationsrate abgeschlossen werden ist ein offenes Geheimnis. Mögen Gewerkschaftsmitglieder dies bei den anstehenden Tarifverhandlungen für 2025 und darüber hinaus zum Anlass nehmen einmal nachzufragen.

Meine Empfehlung ist auf das eigene Gefühl „zu hören“ und das nicht nur wenn es um finanzielle Dinge geht. Und wie immer gilt, lesen bildet und sei es das Wägungsschema für das Basisjahr 2020 oder einfach einen schönen Sommer-Roman.
Alexander Rathnau