Besser spät als nie: Winfried Schwarzbach

Alles Gute zum Geburtstag, Bahnhof Nordhausen Nord

Sonnabend
20.07.2024, 09:40 Uhr
Autor:
red
veröffentlicht unter:
"Wie es „im richtigem Leben“ manchmal so ist, ein Hobbykollege erinnerte mich vor ein paar Tagen an den Jubilar, der genau heute 111 Jahre und 20 Tage alt geworden ist." So beginnt Winfried Schwarzbach seine lesenswerte Laudatio auf den steinernen Jubilar...

Wer kennt die Geschichte dieses Bauwerkes an der Westseite des Bahnhofsplatzes und das, obwohl er seiner äußeren und früher auch inneren Ausstattung wegen doch sehr repräsentativ für die Stadt Nordhausen, ihre Gäste und der Auftraggeberin, der Nordhausen Wernigeröder Eisenbahn(NWE) ist, vor allem, seit er durch die HSB wieder einen neuen Anstrich bekam?

Bahnhofsgebäude Nordhausen Nord mit ehemaliger Post rechts und Köhlerscher Villa links, heute SPARDA Bank 5. Juli 2014 ws (Foto: W.Schwarzbach) Bahnhofsgebäude Nordhausen Nord mit ehemaliger Post rechts und Köhlerscher Villa links, heute SPARDA Bank 5. Juli 2014 ws (Foto: W.Schwarzbach)


Im Nordhäuser Stadtarchiv bekam ich vor etwa 15 Jahren einen Ordner in die Hand, der völlig unerwartet, Unterlagen zum Bahnhof der Harzquerbahn enthielt. Also nehme ich Sie mit in einen Ausflug in die Geschichte.

Im Jahr 1897 wurden Unterlagen für den südlichen Endpunkt der NWE erstellt, den Personenbahnhof betreffend. Während der Güterbahnhof mit seinen Anlagen von Anbeginn im Bereich Kassler Straße/Werther Straße eingezwängt zwischen den Anlagen des „Staatsbahnhofs“ Richtung Northeim und der städtischen Bebauung der damaligen Moltkestraße, heute Oscar–Cohn-Straße.

Für den geplanten Personenbahnhof samt Verwaltung aber gab es keinen Platz, man musste sich ganz klein machen und sich zwischen Paketpost und Grundstück des Brennstoffhändlers Köhler quetschen. Hier fristete die Harzquerbahn mit ihren Personenzügen ein kümmer-liches Dasein, die Gleisanlagen bestanden aus dem Hauptgleis, das am Güterbahnhof an der Wertherstraße ausfädelte, vor der Brückenrampe entlang in Richtung Wasserturm im Rechtsbogen und den Turm an seinem östlichen Fuß passierte und im Linksbogen in Richtung Bahnhofsplatz links neben der heutigen Straße „Am Wasserturm“ führte. Kurz vor dem Bahnhofsplatz auf Höhe der ehemaligen Paketpost wurde der Bahnsteig angelegt, zum Umsetzen der Lok ein Umfahrgleis mit 2 Weichen, ein hölzernes Empfangs-und Dienstgebäude zur Staatsbahn gebaut, in dem Warteraum und Diensträume waren. Dieses wurde schon nach kurzer Zeit um ein gleiches hölzernes Gebäude erweitert. Auch das erste Empfangsgebäude auf dem Brocken und in Wernigerode Westerntor am Eselskrug entsprachen dieser Zeichnung, nur jeweils in der Größe abgewandelt. Ein separates Toilettenhäuschen vervollständigte die Anlage. Der Prellbock stadtwärts befand sich etwa dort, wo auch die Straßenbahn ihr Stumpfgleis besaß. Ein großes Portal mit entsprechender Aufschrift zeigte den potenziellen Fahrgästen den Weg zu ihren Zügen in den Harz nach Wernigerode und zum Brocken.

Zeichnung des ersten Empfangsgebäudes der NWE in Nordhausen StA Nordhausen  (Foto: Sammlung Schwarzbach) Zeichnung des ersten Empfangsgebäudes der NWE in Nordhausen StA Nordhausen (Foto: Sammlung Schwarzbach)


Plan des ersten Personenbahnhofs der NWE, li. Bahnhofsplatz, oben Gelände der „Staatsbahn“ StA Nordhausen, Sammlung W. Schwarzbach, beide Pläne erstellt 27.08.1897“Vereinigte Eisenbahnbau-und Betriebs-Gesellschaft, Bau-Abtheilung Ilfeld, 27.August.1897“   (Foto: W.Schwarzbach) Plan des ersten Personenbahnhofs der NWE, li. Bahnhofsplatz, oben Gelände der „Staatsbahn“ StA Nordhausen, Sammlung W. Schwarzbach, beide Pläne erstellt 27.08.1897“Vereinigte Eisenbahnbau-und Betriebs-Gesellschaft, Bau-Abtheilung Ilfeld, 27.August.1897“ (Foto: W.Schwarzbach)


Am 17.12. 2010 sah es dort trist aus. Das Gebäude der Orthopädietechnik und die ehemalige Kegelbahn stehen auf dem alten Gleisplanum der Harzquerbahn, deren damaliges Gleis kurz vor dem Wasserturm in einer nach rechts beginnenden S-Kurve zum Güterbahnhof der NWE führte. (Foto: W.Schwarzbach) Am 17.12. 2010 sah es dort trist aus. Das Gebäude der Orthopädietechnik und die ehemalige Kegelbahn stehen auf dem alten Gleisplanum der Harzquerbahn, deren damaliges Gleis kurz vor dem Wasserturm in einer nach rechts beginnenden S-Kurve zum Güterbahnhof der NWE führte. (Foto: W.Schwarzbach)


Der Blick Richtung Bahnhofsplatz am gleichen Tag, dort, wo die beiden Gebäude rechts stehen, befanden sich Empfangsgebäude und Toilettenhäuschen der NWE von 1897 bis 1913 (Foto: W.Schwarzbach) Der Blick Richtung Bahnhofsplatz am gleichen Tag, dort, wo die beiden Gebäude rechts stehen, befanden sich Empfangsgebäude und Toilettenhäuschen der NWE von 1897 bis 1913 (Foto: W.Schwarzbach)


Mit dieser Ausstattung begann der Betrieb in Teilstrecken, zuerst bis nach Ilfeld.
Inzwischen drängte die Königliche Preußische Staatsbahn(KPEV) auf Veränderung der Situation, sie wollte dort Abstellgleise bauen. Um 1910 konnte das Areal der Gebrüder Köhler erworben werden und man plante einen großzügigen Bahnhof für den Personenverkehr, der inzwischen stark zugelegt hatte.

Der Entwurf des Architekten Gustav Ricken, den Nordhäusern sicherlich bekannt durch ab 1904 bis 1909 gebaute städtische Gebäude (Wiedigsburgschule, Bade-und Waschanstalt, das Stadthaus mit Sparkasse gegenüber dem Alten Rathaus) sowie diverse Privatbauten in der Stadt, bekam den Auftrag für das Bahnhofsgebäude der NWE sowie deren Bahnsteig-anlagen. Im Gebäude waren auch bis 1916 die verwaltung der NWE untergebracht sowie noch zwei Dienstwohnungen.

Vom Bahnhofsplatz kommend, befanden sich links die Fahrkartenausgaben und rechts des Ganges die Wartesäle. Im hinteren Drittel erweiterte sich der Gang zu einer kleinen Halle mit Sitzbänken, in den 60ger Jahren noch plätschernden Wandbrunnen und einem gläsernen Oberlicht. Später erfolgte der Umbau der beiden Fahrkartenschalter, sie wurden an die Wand links neben der Doppeltür Richtung Bahnsteig verlegt, und besaßen zur Personensortierung kleine runde Holzablagen, um den Personenfluss zu vereinzeln. Sie hatten Füße aus Eisen mit Jugendstilornamenten.
Ging man durch die Doppeltür, so erreichte man einen überdachten Platz, der durch die Bahnsteigsperre zum eigentlichen Bahnsteig getrennt war. Vor der Zugabfahrt wurde eine der Holztüren geöffnet und an einem Eisenbahner vorbei, der die Fahrkarten kontrollierte und auch Auskünfte gab, ging es zum bereit gestellten Zug. Links vor der Sperre konnte an einer vorspringenden Tür Gepäck und auch Stückgut zur Weiterbeförderung abgeben oder abholen. In den Sechzigern fanden so u.a. Fahrräder, Koffer, Kisten, Filmrollen im Paket geschnürt für das Dorfkino in Niedersachswerfen Ost am Bahnhof ihren Weg, ebenso Kartons mit Backhefe für die Bäcker in Niedersachswerfen, Ilfeld und sogar Sorge. Das alles und noch viel mehr hatte in den großen hölzernen Packwagen der Personenzüge Platz.

Hinter der Sperre war dann auch die Räume für die Aufsicht, hier residierte der letzte Bahnhofschef und Fahrdienstleiter, Herr Hesse in stets korrekter Uniform mit roter Mütze und der Abfahrtskelle unterm Arm in seinem Reich. Die Bahnsteige werden durch Spannbetondächer im ersten Drittel geschützt, früher waren hier an den Säulen noch die gleichen Ornamente angebracht, wie vor den Fahrkartenschaltern. Die Züge wurden per Lautsprecheranlage ausgerufen, deren Konsolen erst bei der letzten Renovierung beseitigt wurden.

Blick vom Bahnsteig zum Empfangsgebäude, unter dem Bahnhofsschild gab eine Fensterreihe den Blick der Aufsicht auf den Bahnsteig frei, vor der hintersten Säule sperrte die hölzerne bahnsteigsperre den unbefugten Weg zu den Gleisen ab, hinter der kleinen braunen Doppeltür befand sich die Gepäckabfertigung und links befanden sich die Toilettenanlagen. Ganz links hinter dem neuen Zaun (früher eine Mauer), fährt auf der Oscar-Cohn-Straße die Linie 10 der Nordhäuser Straßenbahn nach Ilfeld Neanderklinik vom Bahnhofsplatz vorbei.  (Foto: W.Schwarzbach) Blick vom Bahnsteig zum Empfangsgebäude, unter dem Bahnhofsschild gab eine Fensterreihe den Blick der Aufsicht auf den Bahnsteig frei, vor der hintersten Säule sperrte die hölzerne bahnsteigsperre den unbefugten Weg zu den Gleisen ab, hinter der kleinen braunen Doppeltür befand sich die Gepäckabfertigung und links befanden sich die Toilettenanlagen. Ganz links hinter dem neuen Zaun (früher eine Mauer), fährt auf der Oscar-Cohn-Straße die Linie 10 der Nordhäuser Straßenbahn nach Ilfeld Neanderklinik vom Bahnhofsplatz vorbei. (Foto: W.Schwarzbach)


Während der Privatbahnzeit wurde ständig in Verbesserungen der Technik, besonders auch der Sicherheitstechnik investiert. Als einziger Bahnhof der Schmalspurbahnen im Harz und natürlich auch der HSB besitzt Nordhausen Nord Ausfahrsignale, wobei es heute nur noch 3 sind, wobei das 3.Ausfahrtsignal erst im Zusammenhang mit der Einführung der Straßenbahnlinie 10 errichtet wurde. Bis etwa 1950 gab es 4 Ausfahrsignale, eines davon ermöglichte die direkte Ausfahrt von Güterzügen aus Gleis 10 am Bahnübergang Kassler Straße in Richtung Harz, die 3 anderen Signale sicherten die Ausfahrten aus den Bahnsteiggleise 1 und 2 sowie als Gruppensignal für die Gleise 5 und 6, zwei Ab-bzw. Aufstellgleise wovon heute Gleis 5 als Verbindungsgleis zum Straßenbahnnetz auf den Bahnhofsvorplatz führt.

Zum Abschluss der kurzen und sicherlich unvollständigen Würdigung des Jubilars möchte ich noch eine Detailansicht der Gebäudefront zum Bahnhofsplatz zeigen. Dort hat sich natürlich die Eigentümergesellschaft mit ihrer Bezeichnung stolz verewigt. Darunter sind zwei Schriftfelder angebracht, um dort zwei Zwischenstationen der Harzquerbahn nach Wernigerode zu benennen, nämlich Ilfeld im Kilometer 10,7 von Nordhausen und Benneckenstein im km 29,7, genau auf der Mitte der Harzquerbahn.
Im zweiten rechten Fenster erscheint die seit 1905 gleismäßig in Eisfelder Talmühle anschließende Gernroder-Harzgeroder Eisenbahn mit ihren Stationen Alexisbad und Gernrode.

Dem Kenner der Materie über die Schmalspurbahnen im Harz fällt natürlich sofort auf, da fehlt doch etwas!  (Foto: W.Schwarzbach) Dem Kenner der Materie über die Schmalspurbahnen im Harz fällt natürlich sofort auf, da fehlt doch etwas! (Foto: W.Schwarzbach)


Genau, so ist es, denn gleichzeitig mit der NWE von 1897 bis 1899 wurde nur etwa 25 Bahnkilometer weiter in Richtung West ab Walkenried an einer ebenfalls meterspurigen Bahn gebaut, die über Wieda und Brunnenbachsmühle nach Braunlage und von Brunnenbachsmühle über Sorge nach Tanne führen sollte und als Südharz Eisenbahn(SHE) bezeichnet wurde.

Da sich nun aus Gründen eines Konkurrenzdenkens sich beide Bahngesellschaften nicht so recht „grün“ waren, aber in Sorge in verschiedene Ebenen ihre Strecken kreuzten, erscheint sie hier nicht mit auf der Fassade. Im Jahre 1913(Baubeginn des Bahnhofs Nordhausen NWE war 1911), war es schon zu spät, um die SHE als dritte Schmalspurbahn im Harz zu würdigen, obwohl am 01.Mai 1913 (endlich) ein 230 m langes Verbindungsgleis eröffnet wurde, das einmal direkte Wagenübergänge, sogenannte Kurswagen, zwischen beiden Bahngesellschaften erlaubte, wie schon 1905 in EisfelderTalmühle. So war ein 178 km langes meterspuriges Schmalspurnetz im Harz entstanden, das bis Mai 1945 in dieser Form bestand hatte. Aber das wäre schon wieder eine andere Geschichte.
Nur mal nebenher, im August 2024 feiert die ehemalige SHE auch ihr 125jähriges Jubiläum wie es die NWE am 27. März 2024 schon getan hat. Während es im August in Wernigerode aus diesen Anlass für das NWE und nun HSB-Jubiläum ein Bahnhofsfest geben wird, soll es für die ehemalige und längst abgebaute SHE im Herbst auch Festivitäten in Braunlage und um Walkenried herumgeben.

Wünschen wir dem Jubilar und seinen Bahnen noch ein langes Leben in aller Frische!
Winfried Schwarzbach