Achtung: Keine Satire!

Fachverband fordert Einführung von „Proteststimme“

Dienstag
11.06.2024, 16:30 Uhr
Autor:
osch
veröffentlicht unter:
Auch wer schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat, den „real existierenden Sozialismus“ und die Bundesrepublik mit ihrer rasanten Wandlung in den letzten dreißig Jahren erlebt hat, kann immer noch überrascht werden von den skurrilsten politischen Ideen und Forderungen. Hier kommt ein Beispiel …

Angesichts des hohen Zuspruchs für populistische Parteien bei den Kommunalwahlen und der Wahl zum Europäischen Parlament in Brüssel/Strasbourg fordert der Fachverband „Mehr Demokratie“ die Einführung einer Proteststimme.

Wie genau stellen sich das die Damen und Herren vor, die auf Ihrer Seite im Netz noch formulieren:
„Wir sind der Überzeugung, dass jeder Mensch das Recht und das Potenzial hat, die Entscheidungen mit zu beeinflussen, die ihn und die Gesamtheit der Gesellschaft betreffen. Demokratie heißt: Menschen handeln miteinander aus, wie sie zusammen leben wollen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass sich die Meinung des einzelnen Menschen durchsetzt, sondern darauf, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, mit zu gestalten.“?

Ralf-Uwe Beck, Bundesvorstandssprecher von „Mehr Demokratie“, hat da einen interessanten Ansatz: „Wir brauchen ein Angebot für Menschen, die weder der Regierung noch der demokratischen Opposition vertrauen. Sie müssen der Politik einen Denkzettel verpassen können, ohne die Feindinnen und Feinde der Demokratie zu stärken.“

Aha!

Auf dem Wahlzettel, so führen die Mehrdemokraten weiter aus, sollte man nicht nur Parteien und Kandidaten wählen, sondern sich stattdessen per Kreuzchen auch enthalten können. Diese Protest-Stimmen, so die Forderung Becks, müssten ausgezählt und am Wahlabend auch bekanntgegeben werden.

Wer sich nun fragt, wozu die ausgezählt werden sollten oder was das soll, wenn es doch wie gerade bei den Kommunalwahlen gesehen, ein breites Spektrum an Parteien und Wahlplattformen gibt, der wird von Ralf-Uwe Beck folgendermaßen belehrt:
„Nicht alle Wählerinnen und Wähler extremer Parteien sind von deren Programmatik überzeugt. Viele Menschen wählen sie aus Protest, um der Politik einen Denkzettel zu verpassen. Die Proteststimme wäre für die bessere Alternative.“

So hätten beispielsweise 44 Prozent aller AfD-Wähler angegeben, die Partei aus Protest zu wählen. Hierbei bezieht sich der ausgebildete Traktorist und evangelische Pfarrer auf eine Nachwahlbefragung des Umfrageinstituts Infratest Dimap für die ARD. Diese Prozentzahl, so rechnet er uns jetzt vor, entspräche knapp drei Millionen Menschen. Deren Stimme könnte dann als Proteststimme geparkt werden und schwupps wäre die AfD um die Hälfte ihrer Stimmen ärmer und stünde der Beckschen Demokratie nicht mehr im Wege.

Eingeführt und ausprobiert werden sollte die Proteststimme zunächst bei Kommunalwahlen. Dafür müsste dann eben das Kommunalwahlrecht etwas angepasst werden, schlägt der Sprecher des 21 Thüringer Organisationen umfassenden Bündnisses zur Rettung der Demokratie vor.

Ich weiß nicht, ob er ein solches Demokratieverständnis schon als Traktorist zu DDR-Zeiten entwickelte, als es durchaus etwas rustikal manchmal hieß: „Was nicht passt, wird passend gemacht“ oder ob ihn das Studium der Evangelien zu solch einer Demokratieauffassung gebracht hat. Vielleicht war es auch nur das blanke Entsetzen nach dem Abschneiden seiner Lieblingsparteien bei den Wahlgängen der letzten beiden Wochen?

Die Idee, den Feinden der Demokratie das Stimmrecht zu entziehen, korrespondiert aber trefflich mit der Aussage der Bundesgeschäftsführerin der GRÜNEN, Emily Büning, die nach der EU-Wahl in die Mikrofone der Fernsehanstalten diktierte: „Wir konnten viele Menschen nicht davon überzeugen, demokratisch zu wählen.“

Ob sich Beck und Büning darüber bewusst sind, wie abgehoben und die Wähler verachtend sie sind und das genaue Gegenteil von demokratisch, das vermag ich nicht zu sagen und habe auch keine Lust es zu ergründen. Aber schon der legendäre englische Premierminister Sir Winston Churchill wusste ja: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.“

Damit hat er keinesfalls gemeint, was wir als ersten Satz auf der “Mehr Demokratie“-Seite im Netz lesen müssen: „Die Demokratie ist nicht in Stein gemeißelt. Sie muss ständig weiterentwickelt werden.“
Das klingt angesichts des abstrusen Vorschlags heute eher so, als wäre es das achte Gebot auf der berühmten Scheunenwand des Bauern Jones, die George Orwell einst beschrieb.

Manchmal, Herr Beck, ist weniger mehr. Das gilt auch für diesen Vorstoß von „Mehr Demokratie“.
Olaf Schulze